zum Hauptinhalt

© dpa/Monika Skolimowska

Update

Verfahren um Milliardenausschreibung in Berlin: Richterin bietet Lösung im S-Bahn-Streit an – Verkehrsverwaltung will prüfen

Im Streit um die S-Bahn-Ausschreibung hält das Kammergericht die wichtigsten Rügen der Konzerns Alstom für begründet – aber unzulässig. Nun bahnt sich womöglich eine Lösung an.

| Update:

Das Berliner Kammergericht hat am Freitag nach ganztägiger Verhandlung eine Lösung im Streit um die milliardenschwere Ausschreibung der Berliner S-Bahn aufgezeigt. Die Vorsitzende Richterin Cornelia Holldorf bot an, gemeinsam mit dem Kläger Alstom und dem beklagten Land Berlin eine neue Formulierung der rechtlich riskanten Formulierungen in der Ausschreibung zu finden. Beide Parteien stimmten diesem Vorschlag am späten Nachmittag zunächst zu. Eine Entscheidung des Gerichts gab es wegen der in Aussicht gestellten Einigung nicht. Am späten Abend teilte die Verkehrsverwaltung allerdings mit, dass der Vorschlag zunächst geprüft werden müsse. Eine finale Einigung gebe es bisher nicht. 

Der französische Konzern Alstom hatte Beschwerde gegen eine Ausschreibung durch das Land Berlin eingelegt, über die nun der Vergabesenat des Kammergerichts entscheiden musste. Es geht um einen Auftrag von bis zu elf Milliarden Euro, nämlich die Lieferung von bis zu 1400 Waggons und den Betrieb von zwei der drei Teilnetze der S-Bahn für 15 Jahre. Wegen des Rechtsstreits konnte Berlin noch keinen Zuschlag erteilen, eigentlich sollte dies schon vor drei Jahren geschehen.

Zunächst hatte es in der Verhandlung so ausgesehen, als ob die Ausschreibung an den Bedenken des Gerichts scheitert. Denn das Kammergericht hielt die wichtigsten von Alstom vorgebrachten Rügen für begründet. Erst Stunden später, nach der Mittagspause, stellte Holldorf klar, dass die Rügen aufgrund abgelaufener Fristen rechtlich dennoch unzulässig seien.

Alstom hatte die Beschwerde mit 26 einzelnen Rügen damit begründet, dass die Ausschreibung keinen fairen Wettbewerb zulasse: Einzelangebote ohne Komplementärangebot hätten keine Chance. Die Deutsche Bahn (DB) sei deshalb bevorzugt. Die Vergabekammer des Landes Berlin hatte die Beschwerde zurückgewiesen, gegen diesen Beschluss wehrte sich Alstom vor dem Kammergericht.

Richterin äußerte Bedenken zur Konstruktion der Ausschreibung

Holldorf hatte zu Beginn der Verhandlung grundsätzliche Bedenken über die Konstruktion der Ausschreibung geäußert. Diese erlaubt eine komplizierte Kombination von Einzel-, Kombinations- und auch Gesamtangeboten, insgesamt neun Kombinationen. „Wir können die Wirtschaftlichkeit des Gesamtangebots nicht feststellen“, lautete ihre Einschätzung. Deshalb gebe es „ein Restrisiko, dass ein unwirtschaftliches Gesamtangebot“ den Zuschlag bekomme. Am Freitagabend begann das Gericht schließlich, mit beiden Seiten Formulierungen auszuhandeln.

In den ersten drei Stunden musste nahezu ausschließlich der Anwalt des Landes Berlin reden, es entstand bei Prozessbeobachtern der Eindruck, dass Berlin mit der Ausschreibung grundsätzliche Probleme hat. Dies änderte sich nach der Pause völlig. Nach der Feststellung, dass die beiden ersten Rügen unzulässig sind, geriet Alstom in die Defensive, nun musste sich die Riege der Konzern-Anwälte verteidigen.

Trio aus Bahn, Siemens und Stadler hat großen Vorteil

Die Bahn hatte 2021 ein Konsortium mit den beiden Fahrzeugherstellern Siemens und Stadler gebildet. Diese bauten für die S-Bahn zuletzt die neuen Züge der Baureihe 483/484, die seit drei Jahren in Berlin unterwegs sind. Das Trio hat deshalb einen Riesenvorteil gegenüber der Konkurrenz: Für die Ausschreibung muss kein neues Fahrzeug mehr konstruiert werden, es kann unverändert angeboten werden. Experten schätzen den Kostenvorteil auf eine halbe Milliarde Euro. Und: Alstom hat keinen Partner, der den Betrieb übernehmen würde.

Das Kammergericht hielt zunächst die Bahn auch in mehreren anderen Punkten in der Ausschreibung für bevorzugt. So könne die Bahn als bisheriger Monopolist die bestehenden Werkstätten weiter nutzen. Dies sei ein Vorteil für eine Partei, kritisierte Holldorf, der nicht finanziell ausgeglichen werde in der Ausschreibung. Aber auch diese Rüge kippte sie nach der Pause als unzulässig.

Auch bei den Kosten der Gleisanschlüsse seien die Vorteile der Bahn nicht ausgeglichen. Das gesamte Netz gehört bekanntlich der Deutschen Bahn. Auch hier hätte das Bestandsunternehmen Vorteile, befand das Gericht.

Die vierte von Alstom vorgebrachte Rüge zum Zugbeeinflussungssystem ZBS hielt Holldorf ebenfalls für begründet. Dieses stammt vom Konkurrenten Siemens, der sich in der Ausschreibung mit der Bahn verbündet hat. Da das Land Berlin in der Ausschreibung hier aber Zugeständnisse gemacht habe, sei Alstom in diesem Punkt nicht benachteiligt. Das Gericht machte deutlich, dass es eine Lösung insgesamt geben könne, wenn es solche Zugeständnisse auch bei den anderen Punkten gäbe.

Die fünfte wichtige Rüge, dass ein Gemeinschaftsunternehmen grundsätzlich Vorteile habe, war vom Gericht gleich zu Beginn zurückgestellt worden. Sie könne schlicht noch nicht bewertet werden, sagte Holldorf. „Diese Rüge könnte interessant werden, wenn wir wissen, dass ein Gemeinschaftsunternehmen sich beteiligt. Das wissen wir aber noch nicht.“ Offiziell ist nicht bekannt, dass sich das Bahnkonsortium um den Auftrag beworben hat. Möglich ist deshalb, dass es nach Erteilung des Auftrags eine weitere Klage eines unterlegenen Anbieters gibt.

Holldorf hatte zu Beginn der Verhandlung ausdrücklich den Aufwand gewürdigt, den die Länder Berlin und Brandenburg bei der Ausschreibung betrieben haben. Sie seien wirklich um ein korrektes Verfahren bemüht gewesen. Diese unscheinbare Bemerkung sollte letztlich wegweisend sein für die am Freitagabend begonnene Einigung.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false