zum Hauptinhalt
Seit Mai tagte die BVV Tempelhof-Schöneberg in der Halle am Sachsendamm, weil dort die Hygieneregeln eigentlich besser eingehalten werden können.

© Sigrid Kneist

Update

Videokonferenz statt Turnhalle: Online-Sitzungen der Berliner Bezirkspolitik machen noch Probleme

Wegen der Pandemie will der Senat es den Bezirksverordneten rechtlich ermöglichen, per Videokonferenz zu tagen. Es gibt jedoch auch technische Probleme.

Von

Auf dem heimischen Sofa fläzen, die Füße auf den Tisch legen und ganz nebenbei die Geschicke eines Bezirks lenken? Für die Mitglieder der zwölf Bezirksverordnetenversammlungen (BVV) könnte das bald Realität werden. Nachdem sie zuletzt in Turnhallen oder sogar – wie in Friedrichshain-Kreuzberg der Fall – bei klirrender Kälte auf Fußballplätzen getagt hatten, um die Abstandsvorgaben einzuhalten, winken nun digitale BVV-Sitzungen.

Ein entsprechender Entwurf zur Änderung des Bezirksverwaltungsgesetzes liegt dem Tagesspiegel vor. Er soll am Dienstag im Senat und später im Abgeordnetenhaus beschlossen werden. In Kraft treten könnte das von der Innenverwaltung erarbeitete Gesetz Anfang 2021.

Wichtigste Regelung des seit Ausbruch der Pandemie von den Bezirken sehnlichst erwarteten Entwurfs: Sitzungen der Bezirksverordneten sollen künftig per Video-, die der Ausschüsse sogar per Audiokonferenz stattfinden können. Voraussetzung für beide Lösungen ist, dass „außergewöhnliche Gefahren für Leib, Leben oder Gesundheit der Mitglieder der BVV“ bestehen und durch das digitale Format abgewendet werden können.

Darüber, ob eine Sitzung analog oder digital stattfinden soll, entscheidet dem Entwurf zufolge der Vorstand der BVV im Einvernehmen mit dem Ältestenrat. Im Fall einer digitalen Tagung soll die Öffentlichkeit durch ein Live-Übertragung der Video- oder Audiokonferenz hergestellt werden.

Während der Kern des Entwurfs in den Bezirken auf positive Resonanz trifft – Reinickendorf hat im November bereits eine BVV-Sitzung online abgehalten, kommenden Mittwoch folgt die nächste –, ist die technische Umsetzung unklar. Pankows Bezirksbürgermeister Sören Benn (Linke) sprach mit Blick auf die Durchführung von Abstimmungen im digitalen Format gar von einem „Pferdefuß“.

Die technischen Voraussetzungen für rechtssichere Abstimmungen fehlen

Diese müssten in der Konferenz auf ein Minimum reduziert werden, weil technische Voraussetzungen für rechtssichere Abstimmungen fehlen. Der namentliche Aufruf aller Verordneten ist möglich, dauert aber zu lange. In Reinickendorf gaben die Abgeordneten Zeichen per Tastatur – auch das nahm viel Zeit in Anspruch.

Um eine digitale BVV abhalten zu können, müsse das IT-Dienstleistungszentrum Berlin (ITDZ) auch ein digitales Abstimmsystem aufsetzen, sagte Michael van der Meer (Linke), Vorsteher der Pankower BVV. „Auf dem freien Markt gibt es durchaus Angebote, zum Beispiel OpenSlides“, sagte van der Meer. „Für eine solche oder vergleichbare Lösung will ich mich einsetzen. Noch habe ich sie aber nicht, nicht mal in Aussicht“, sagt er weiter.

Wenn Sie alle aktuellen Nachrichten live auf Ihr Handy haben wollen, empfehlen wir Ihnen unsere runderneuerte App, die Sie hier für Apple- und Android-Geräte herunterladen können.]

Marlene Heihsel (FDP), Mitglied der BVV Friedrichshain-Kreuzberg und von Beginn an Befürworterin der Videokonferenzen, zeigte sich ebenfalls enttäuscht vom Gesetzentwurf. Solange entsprechende Abstimmungsmöglichkeiten fehlten, könnten digitale Sitzungen die analogen nicht ersetzen, erklärte Heihsel.

Der Entwurf selbst trifft lediglich Aussagen zur Durchführung geheimer Abstimmungen oder Ernennungen. Diese „können im schriftlichen Verfahren durchgeführt werden“, sprich per Briefwahl.

Klar ist: Das Vorgehen in den Bezirken lässt sich nicht aufs Abgeordnetenhaus übertragen. Der Wissenschaftliche Parlamentsdienst hat digitalen Sitzungen und Abstimmungen eine Absage erteilt. Auch die Grünen ließen die Forderungen fallen und öffneten sich für eine Absenkung der Grenze zur Beschlussfähigkeit des Parlaments. Sie soll am kommenden Donnerstag per Verfassungsänderung beschlossen werden.

Marzahn-Hellersdorf hält die Videokonferenz-Software für untauglich

Von ganz anderen Problemen mit der Digitalisierung ist aus Marzahn-Hellersdorf zu hören. Dort appellierte die BVV jetzt an den Senat, „die Berliner Bezirksverordnetenversammlungen in die Lage zu versetzen, ihre Arbeit digital auszuführen und damit auch in einer sich verschärfenden Pandemiesituation vollumfänglich arbeitsfähig zu bleiben“. Nötig sei „eine leistungsfähige und datensichere Plattform für die Durchführung von Videokonferenzen“.

[Wo Politik nahe geht: In unseren Leute-Newslettern berichten wir wöchentlich aus den zwölf Berliner Bezirken. Die Newsletter können Sie hier kostenlos bestellen: leute.tagesspiegel.de]

Nun gibt es bereits eine datensichere Plattform, Nextcloud, vom Land den Bezirken zur Verfügung gestellt. Sie taugt aber nicht für die BVV-Arbeit, lautet die einhellige Meinung. „Diese Software funktioniert relativ stabil – wenn ich zwei oder drei Teilnehmer habe“, sagt CDU-Fraktionschef Alexander J. Herrmann. „Wenn es nur wenig mehr sind, bricht sie zusammen.“

Ein Befürworter von Nextcloud war anfangs Linken-Fraktionschef Bjoern Tielebein. Doch in der Praxis machte er dieselben Beobachtungen wie sein CDU-Kollege. Nach seinen Informationen werde das von der Innenverwaltung beschaffte System wegen seiner Mängel von keiner BVV in Berlin eingesetzt, sagt der Linken-Politiker. Tielebein formulierte auch den überfraktionellen BVV-Antrag. Der beinhaltet auch den Wunsch, die Einwahl per Telefon zu ermöglichen und Sitzungen öffentlich durchzuführen.

Zoom dient als Ersatz - Bezirkspersonal nutzt private Rechner

In seiner Not entschied sich der Ältestenrat der BVV für eine Lösung im rechtlichen Graubereich: die Konferenzsoftware Zoom. „Wiederholt hat der Senat angemahnt, es müsste das bereitgestellte System Nextcloud genutzt werden, nur so sei Datensicherheit gegeben“, schreibt Tielebein. Nun fordert er: Wenn der Senat rechtliche Möglichkeiten für digitale BVV-Sitzungen schaffe, dann solle er auch die technischen Voraussetzungen schaffen.

Die Senatsinnenverwaltung teilt auf Tagesspiegel-Anfrage mit: Die Verwendung von anderen Systemen als Nextcloud sei möglich, allerdings müssten „Laptops oder Tablets verwendet werden, die nicht in die Infrastruktur der Behörde und das Landesnetz eingebunden sein dürfen und lediglich für die Teilnahme an Videokonferenzen vorgesehen sind.“

Die Folge: Sämtliche Ausschüsse der BVV in Marzahn-Hellersdorf tagen mit Zoom, Beschäftigte der Bezirksverwaltung nutzen dafür private Rechner oder ein Telefon. Vom Land heißt es, die Einwahl per Telefon sei bisher nicht Teil des vereinbarten Pakets, doch technisch möglich. Zumindest die Gesamt-BVV tagt analog – in der großen und gut belüfteten Frauensporthalle.

Zur Startseite