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Berlin: Teilnehmer der linken Demonstration «MyGruni» stehen mit Plakaten im Villenviertel Berlin-Grunewald, eine Rauchfackel wurde gezündet.

© dpa/Lukas Dubro

Update

„Wo eine Villa ist, ist auch ein Weg“: Enteignungsdemo im Grunewald, Buhrufe für Wegner und eine Überraschung für die Berliner Polizei

Von den Gewerkschaften bis zu den Autonomen: Auch politisch ist der Tag der Arbeit in Berlin weit gefächert. Mit dabei: ein Pappmachébagger und klare Worte.

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Zum Schluss stellt die Polizei die Lautsprecher ihrer Einsatzwagen am Kottbusser Tor ein und ein Beamter sagt: „Bitte gehen Sie jetzt nach Hause, es passiert hier nichts mehr, außer dass Polizeiautos rumstehen.“ Es ist das unerwartet schnelle Ende der Revolutionären 1.-Mai-Demonstration am Montag in Kreuzberg, die befürchteten Krawalle sind bis dahin auch in diesem Jahr ausgeblieben.

Im Fernsehen zeigte sich am Abend eine gelöste, geradezu strahlende Polizeipräsidentin. Die Bilanz sei „positiv“, sagte Barbara Slowik im RBB, es sei ein „sehr friedlicher 1. Mai“ gewesen. „Berlin war draußen.“ Auch die „Revolutionäre 1.-Mai-Demo“ am Abend sei „überraschend friedlich“ verlaufen.

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Diese traditionelle 18-Uhr-Demonstration war mit Spannung erwartet worden. 12.000 Teilnehmende zogen von Neukölln nach Kreuzberg. Wenig später war dann schon Schluss: Nachdem die Spitze die symbolträchtige, erst im Februar eröffnete Kiezwache der Polizei, die Kotti-Wache, erreicht hatte, erklärten die Veranstalter die Demonstration vorzeitig für beendet – um 19.51 Uhr.

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Damit hatte auch die Polizei nicht gerechnet. „Das war natürlich überraschend auch für uns“, sagte ein Polizeisprecher dem Tagesspiegel. Ursprünglich sei an dieser Stelle lediglich eine Zwischenkundgebung auf dem Weg zum Oranienplatz vorgesehen gewesen. Stattdessen wurden die tausenden Teilnehmenden in mehrere Richtungen abgeleitet.

Das war natürlich überraschend auch für uns.

Ein Polizeisprecher zum vorzeitigen Ende der „Revolutionären 1.-Mai-Demo“

Vor allem zwischen U-Bahnhof Kottbusser Tor und der Kotti-Wache im Neuen Kottbusser Zentrum kam es zu hektischen Szenen. Zum einen ging es nicht weiter, während aus Richtung des Kottbusser Damms noch viele Menschen nachdrückten – und Menschen in Platznot keinen Ausweg fanden. Zum anderen lösten Böllerwürfe vereinzelt Panik aus.

In der Enge kam es offenbar auch zu Verletzten, ein Rettungswagen war im Einsatz. Es gab vereinzelte Festnahmen. Nach einer Weile beruhigte sich die Lage jedoch.

Der Polizeisprecher bezeichnete die Stimmung unter den "ehemaligen Teilnehmenden" als "deutlich friedlich" bis "entspannt". Im Verlauf der Demonstration seien zwar vereinzelt Pyrotechnik gezündet und sogar eine Stinkbombe geworfen worden. Größere Übergriffe habe es jedoch nicht gegeben.

Diesmal die Ausnahme: hektische Szenen zwischen Polizei und Demonstrierenden am Kottbusser Tor.
Diesmal die Ausnahme: hektische Szenen zwischen Polizei und Demonstrierenden am Kottbusser Tor.

© dpa/Kay Nietfeld

Die Polizei sei auch auf die Nacht vorbereitet. "Wir rechnen damit, dass kleinere Gruppen die Dunkelheit nutzen könnten, um Straftaten zu begehen", sagte der Sprecher.

Auf dem nahen Mariannenplatz wurde noch in den Abend getanzt, in der Oranienstraße war viel Partypublikum unterwegs, es gab Auseinandersetzungen, als die Polizei die Fahrbahn räumen wollte. Die Leute wollten sich nicht wegdrängen lassen – und hatten auch keine Lust, nach Hause zu gehen.

Feuerwehr unter Polizeischutz

Der Regierende Bürgermeister Kai Wegner (CDU) und Innensenatorin Iris Spranger (SPD) hatten kurz vor Beginn der Demonstration Feuerwehr und Polizei einen friedlichen Einsatz gewünscht. „Wir wünschen unseren Einsatzkräften alles Gute für die Nacht und wir hoffen auf einen friedlichen 1. Mai“, sagte Wegner bei einem gemeinsamen Besuch mit Spranger bei der Feuerwehr in Neukölln.

„Zur Zeit ist alles ruhig“, sagte Spranger. „Und wir hoffen sehr, dass wir das heute Abend dann auch noch berichten können.“ Laut Spranger wird die Feuerwehr, die in der Berliner Silvesternacht bei Ausschreitungen attackiert worden war, bei Einsätzen rund um die Demonstration von der Polizei geschützt.

Rund 6000 Teilnehmer bei DGB-Kundgebung

Der 1. Mai startete am Montagvormittag traditionell mit der Demo des Deutschen Gewerkschaftsbunds (DGB), die in diesem Jahr unter dem Motto „Ungebrochen solidarisch“ stand. Vom Platz der Vereinten Nationen in Friedrichshain zogen mehr als 6000 Demonstrant:innen zur Kundgebung vor dem Roten Rathaus.

Das Wetter spielte mit: 16 Grad Celsius, sonnig. Ein Trompeter spielte die linke Hymne „Bella Ciao“. Mehrere umstehende Demonstranten sangen und summten mit. Der DGB macht sich in diesem Jahr für eine höhere Tarifbindung stark. Mindestens 80 Prozent der Beschäftigten sollten unter Tarifbedingungen arbeiten, lautet die Forderung. Nur so werde Arbeit attraktiv, nur so würden Arbeitende vor Armut geschützt. Derzeit seien weniger als die Hälfte der Beschäftigten von Tarifverträgen erfasst.

Für uns Sozialarbeiter ist der neue Koalitionsvertrag ein Schlag ins Gesicht.

Clemens, Solidaritätstreff Soziale Arbeit

Von einem Lautsprecherwagen rief Clemens vom Solitreff Soziale Arbeit in einem Redebeitrag in die Menge: „Für uns Sozialarbeiter ist der neue Koalitionsvertrag ein Schlag ins Gesicht.“ Und zwar: „Es ist uns egal, welches Arschloch gerade im Berliner Senat sitzt.“ Was gebraucht werde, seien „einen Inflationsausgleich, Lohnerhöhungen und eine langfristige Finanzierung sozialer Projekte“, forderte er.

Satiredemo trifft auf gemischte Gefühle

Gegen Mittag begann im Villenviertel in Grunewald die linke Demonstration „MyGruni“. Unter dem Motto „Reichtum wird enteignet (RWE)“ inszenierten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer ironische Rollenspiele zwischen angeblichen Villenbesitzern, deren Haus für Kohle abgebaggert werden sollte, und angeblichen RWE-Bauarbeitern. „Wo eine Villa ist, ist auch ein Weg“, hieß es. Die Veranstalter, das selbsterklärte Quartiersmanagement Grunewald, sprachen am Nachmittag von 7000 Menschen. Die Polizei nannte kurz vor Demo-Ende 3700 Protestierende als offizielle Zahl.

„Baggersee statt Swimmingpool“ steht auf einem Plakat im Zuge der linken Spaßdemo „MyGruni“ im Berliner Grunewald.
„Baggersee statt Swimmingpool“ steht auf einem Plakat im Zuge der linken Spaßdemo „MyGruni“ im Berliner Grunewald.

© Getty Images/Omer Messinger

Der satirische Protest rief bei Anwohner:innen gemischte Reaktionen hervor. In zahlreichen Häusern entlang der Demo-Route waren Fenster und Türen verrammelt. Manche Passant:innen filmten, offensichtlich belustigt, während der Zug, versammelt hinter einem großen Pappmachébagger, mit lauter Musik durch die Bismarckallee zog.

Dazu erklärten die Veranstalter: „Höchste Zeit, Kohleabbau ganz neu zu denken! Unter dem Villenviertel Grunewald lagert ein gigantischer Kohleflöz: Fossiles Kapital, das dringend abgetragen werden muss! Für das Klima, für eine gerechte Gesellschaft!“ Auf Twitter teilte die Polizei mit, die Route sei auf Wunsch des Versammlungsleiters etwas geändert worden, führe aber weiter zum Endpunkt Johannaplatz.

Buhrufe für Kai Wegner

Auf der DGB-Demo nahe dem Alexanderplatz verteidigte IG-Metall-Chef Jörg Hofmann vehement die Rechte der Gewerkschaften zum Arbeitskampf. „Wir werden keine Einschränkung des Streikrechts dulden – Punkt, aus, Ende“, ruft er – und wies Kritik an den Folgen für Bürger und Verbraucher, etwa bei Flughafenstreiks, zurück. Es sei Sinn von Streiks, „ökonomisch und politisch Druck zu machen“.

„Ungebrochen solidarisch“: Die Demo des Deutschen Gewerkschaftsbunds (DGB) beginnt bereits am Montagvormittag.
„Ungebrochen solidarisch“: Die Demo des Deutschen Gewerkschaftsbunds (DGB) beginnt bereits am Montagvormittag.

© Getty Images/Omer Messinger

Die Gewerkschaften kämen mit kräftigem Schwung aus den Jahren der Corona-Zeit, sagt Hofmann. Die Beteiligung an Warnstreiks sei hoch, in den laufenden Tarifrunden seien deshalb gute Ergebnisse erzielt worden. Zehntausende neue Mitglieder seien hinzugekommen. „Die Gewerkschaftsbewegung in Deutschland wird stärker“, sagte er und wiederholte seinen Vorstoß für eine Vier-Tage-Woche. Er sei der festen Überzeugung, dass ein voller Lohnausgleich tragbar sei, betonte der IG-Metall-Chef.

Als die Moderatorin neben Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Grüne) und der Berliner Senatorin für Soziales, Cansel Kiziltepe (SPD), auch Kai Wegner (CDU) begrüßte, hagelte es Buhrufe. Noch ein Fehlstart für Berlins neuen Regierenden Bürgermeister.

Auch auf der sogenannten Spaßdemo in Grunewald gab es Kritik an der neuen Berliner Landesregierung. „Alles Gute wird in Zukunft von unten kommen“, rief darauf Klimaaktivist Tadzio Müller. „Wir müssen Berlin für uns halten, für die gute Sache, für den Regenbogenkommunismus“, sagte er unter Applaus der Teilnehmenden. Wenn der Aktivist zu einer breiten Protestbewegung aufruft, klingt es nicht nur nach Satire.

Festnahmen in der Walpurgisnacht

Bei der queer-feministischen Demo in der Walpurgisnacht in Kreuzberg seien zuvor jedoch mehrere Polizisten und ein Journalist attackiert worden.

Nach Angaben der Polizei wurden Beamte mit Regenschirmen angegriffen, mit Flaschen beworfen und getreten. Mehrfach stoppte die Polizei die Demonstration auf dem Weg vom Mariannenplatz Richtung Schlesisches Tor und forderte zu Friedfertigkeit auf. Im Aufruf zu der Demonstration waren alle Teilnehmerinnen gebeten worden, Schirme mitzubringen. Polizisten nahmen ihnen die Schirme zum Teil ab, da sie sie als Sichtschutz verwendeten.

Wie die Polizei am Montagnachmittag mitteilte, wurden insgesamt neun Männer und vier Frauen in der Walpurgisnacht festgenommen. Elf Polizeikräfte seien verletzt worden, eine sei nach ambulanter Behandlung vom Dienst abgetreten.

20 Ermittlungsverfahren wurden eingeleitet, unter anderem wegen Landfriedensbruchs, Sachbeschädigung und tätlichen Angriffs auf Vollstreckungsbeamte. 3300 Polizisten aus Berlin und anderen Bundesländern sowie von der Bundespolizei waren an dem Abend im Einsatz. (mit dpa)

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