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French President Emmanuel Macron gestures as he delivers a speech at the Camp des Milles memorial site, in Aix-en-Provence, southeastern France, on December 5, 2022. (Photo by CHRISTOPHE SIMON / POOL / AFP)

© AFP / CHRISTOPHE SIMON

Kritik an Idee aus Paris: „Macron übernimmt Narrative des Kremls“

Der Westen solle Russland Sicherheitsgarantien geben, schlägt Frankreichs Präsident Macron vor. Nicht nur die Ampelkoalition in Berlin hält das für brandgefährlich.

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Die Bundesregierung ist auf Distanz zum Vorschlag des französischen Präsidenten Emmanuel Macron gegangen, Russland bei Friedensverhandlungen zum Ukrainekrieg Sicherheitsgarantien zu geben. Deutsche Außen- und Sicherheitspolitiker aus Koalition und Opposition kritisierten Macrons Pläne teilweise scharf, die vor allem in den osteuropäischen Mitgliedstaaten von EU und Nato auf Ablehnung gestoßen waren.

Regierungssprecher Steffen Hebestreit sagte am Montag, Macron habe „richtigerweise“ darauf hingewiesen, dass es in Sicherheitsfragen auch „russische Belange“ gebe. Friedensverhandlungen könnten aber erst stattfinden, wenn Russland seine Kriegshandlungen einstelle und erobertes Territorium zurückgebe. „Die Voraussetzung dafür ist, dass Russland die Bombardierungen stoppt und seine Truppen zurückzieht“, sagte er.

Im Gegensatz zu Macron, der von Sicherheitsgarantien für Russland sprach, betonte Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) in einem Gastbeitrag für die Zeitschrift „Foreign Affairs“ am Montag, Deutschland sei bereit, der angegriffenen Ukraine Sicherheitsgarantien zu geben. Auch in einem Telefonat mit Russlands Präsident Wladimir Putin hatte Scholz am Freitag auf einen sofortigen Rückzug russischer Truppen aus der Ukraine gedrängt.

Er gehe nicht davon aus, dass Macrons Äußerungen mit der Bundesregierung abgestimmt gewesen seien, sagte der außenpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Nils Schmid, dem Tagesspiegel. Macron, der schon länger als Vertreter einer offenen Linie gegenüber Moskau gilt, hatte bei seinem USA-Besuch vergangene Woche erklärt, er halte Gespräche über eine Friedenslösung mit Russland weiterhin für möglich.

Schmid sagte, es sei „grundsätzlich zu begrüßen“, wenn über Wege zur Beendigung des Krieges nachgedacht und dazu Vorschläge unterbreitet würden. „Sie dürfen aber nicht auf falschen Annahmen fußen“, warnte er. Im Falle Russlands seien nicht fehlende Sicherheitsgarantien der Grund für den Angriff gewesen. Zudem habe es mit der Nato-Russland-Grundakte bereits seit langem einen gemeinsamen Rahmen für Sicherheitsfragen gegeben. Der tatsächliche Grund für den Überfall auf die Ukraine sei „die Weigerung Russlands zu akzeptieren, dass sich Länder aus seinem einstigen Herrschaftsbereich längst emanzipiert haben und ihren eigenen Weg gehen“.

Sicherheitsgarantien der Nato hielten ihn nicht davon ab, die Ukraine anzugreifen: Russlands Präsident Wladimir Putin.
Sicherheitsgarantien der Nato hielten ihn nicht davon ab, die Ukraine anzugreifen: Russlands Präsident Wladimir Putin.

© REUTERS / Foto:Reuters/Sputnik

Der französische Präsident unterstelle, „der Überfall Russlands auf die Ukraine sei eine Reaktion auf ein aggressives Handeln der Nato. Damit verwechselt er Ursache und Wirkung“, sagte die sicherheitspolitische Sprecherin der Grünen-Bundestagsfraktion, Sara Nanni, dieser Zeitung: „Waldimir Putin wolle die Ukraine zu einem Teil Russlands machen, deshalb habe er den Krieg angefangen. Die Grünen-Politikerin weiter: „Er wird ihn auch nicht wegen Sicherheitsgarantien der Nato beenden, die gab es schon früher. Deshalb bleibt es weiter die Aufgabe, das russische Militär zu stoppen.“

Der außenpolitische Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, Ulrich Lechte, warf Macron indirekt vor, er übernehme die „Narrative des Kremls“ und stelle sie „unabgestimmt in den Raum“. Dies sei „der falsche Weg“, sagte er dieser Zeitung. Die Intention von Macron, nach einer diplomatischen Lösung zu suchen, könne er aber nachvollziehen. „Der Aggressor in der Ukraine ist und bleibt Russland“, meinte der FDP-Politiker. Deshalb müssten Sicherheitsgarantien für die Ukraine „klar im Vordergrund“ stehen.

Macron stellt die Dinge auf den Kopf und macht wenig hilfreiche Avancen gegenüber dem Aggressor Russland.

Johann Wadephul (CDU), stellvertretender Vorsitzender der Unionsfraktion im Bundestag

Macrons Vorstoß sei „hochproblematisch“, sagte der Vizechef der Unionsfraktion, Johann Wadephul (CDU). Der französische Präsident stelle „die Dinge auf den Kopf und macht wenig hilfreiche Avancen gegenüber dem Aggressor Russland. Nicht Russland braucht Sicherheitsgarantien von einem rein defensiven Bündnis, sondern die Ukraine“, warnte er.

Zudem gebe Macron mit diesem Vorstoß „Putin die Illusion, den Westen weiter spalten zu können“. Die französische Forderung scheine mit niemandem abgestimmt zu sein. „Allein das ist für uns fatal und zeigt einmal mehr wie dysfunktional das deutsch-französische Tandem ist. Die Abstimmung über elementare Fragen scheint nicht mehr zu funktionieren“, meinte der CDU-Politiker. Dabei sei gerade in der jetzigen Zeit ist Geschlossenheit des Westens gegenüber Putin wichtig. „Es ist höchste Zeit, dass die Bundesregierung diesen Gesprächsfaden mit Frankreich endlich wieder hinbekommt. Das muss oberste Priorität für die Bundesregierung sein“, forderte Wadephul.

Forderte zuletzt am Freitag in einem Telefonat mit Wladimir Putin den Abzug russischer Truppen aus der Ukraine: Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD).
Forderte zuletzt am Freitag in einem Telefonat mit Wladimir Putin den Abzug russischer Truppen aus der Ukraine: Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD).

© dpa / Michael Kappeler

Macrons Bemerkung komme zur absoluten Unzeit, meint Stefanie Babst, ehemalige stellvertretende beigeordnete NATO-Generalsekretärin. Sie glaube nicht, dass er die Richtung dies mit den anderen EU und NATO-Staaten abgesprochen habe. „Dass sich noch nicht viele Regierungen geäußert haben, mag auch daran liegen, dass man Macrons erneuten Affront nicht noch größer machen will, als er schon ist,“ sagte Babst gegenüber dem Tagesspiegel. Viele europäische Regierungen und auch Washington seien über den Vorstoß sicherlich nicht begeistert. Gleiches gelte für den NATO-Generalsekretär. „Aber er kann gegenwärtig nur den Kopf einziehen,“ so Babst.

Inhaltlich sei Macrons Aussage einfach nur hanebüchen. Er übernehme das Kreml-Narrativ eins zu eins und stelle das Verhältnis Aggressor-Opfer komplett auf den Kopf. „Warum er das tut? Für mich ist es eine Mischung aus persönlicher Hybris und französischen Wirtschaftsinteressen, sowohl in Russland als auch mit Blick auf China,“ erläutert die NATO-Expertin. „Der politische Schaden ist jedenfalls immens. Europa hat wieder einmal gezeigt, wie weit es davon entfernt ist, mit einer Stimme zu sprechen.“ Erneut habe eine der wichtigen Führungspersonen vorgeführt, dass politischer Zusammenhalt für sie nur eine Sprechblase sei.

Ich sehe nicht, dass Macrons Forderung zu einem Umdenken im Kreml führt.

Rafael Loss, European Council on Foreign Relations (ECFR)

Rafael Loss vom European Council on Foreign Relations (ECFR) wies darauf hin, dass auch der Bundeskanzler „immer mal wieder durchblicken lasse, dass Russland in eine europäische Nachkriegsordnung eingebunden werden“ müsse. Mit dieser Forderung täten sich weder Macron noch Scholz „politisch einen Gefallen“. Der ECFR-Vertreter meinte weiter: „Gerade die nord-, mittel- und osteuropäischen Partner Frankreichs und Deutschlands fürchten, dass Entscheidungen wieder über ihre Köpfe hinweg getroffen werden. Der Minsk-Prozess, Nord Stream und Macrons unilateraler Annäherungsversuch an Moskau sind eine schwere Hypothek, die es jetzt eigentlich abzubauen gilt.“

Der Kreml rücke nicht von seinen Maximalforderungen gegenüber der Ukraine und ihren westlichen Unterstützern ab. „Insofern sehe ich nicht, dass Macrons Forderung tatsächlich zu einem Umdenken im Kreml führt“, meinte Loss. Es sei zu befürchten, „dass Putin sich durch sie bestätigt sieht: der Westen fordert immer lauter ein Zugehen auf Russland, also funktioniert die Strategie aus Bombenterror, Energiekrieg und nuklearen Drohungen.“ Wichtiger als Sicherheitsgarantien für Russland sei „die zukünftige Abschreckungsfähigkeit der Ukraine, und das bedeutet Nato-Mitgliedschaft oder Waffen, die Ziele in Russland treffen können“.

Michal Baranowski, der das Büro des Think Tank German Marshall Fund in Warschau leitet, sagte, er sei sicher, dass die komplette Ostflanke der EU von Macrons Vorstoß überrascht wurde. „Damit geht Macron komplett gegen unsere Sicht auf den Krieg in der Ukraine. Wenn irgendjemand Sicherheitsgarantien benötigt, dann die Ukraine und nicht Russland.“

Akzeptiere man Macrons Vorschlag, begebe man sich in gefährliches Fahrwasser. Ein Einschwenken auf die Linie des französischen Präsidenten wäre deshalb ein klares Signal an Putin, dass sein Krieg in der Ukraine strategisch erfolgreich war, warnte der GMF-Experte.

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