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Scheint seine Wahl zum Pirnaer Oberbürgermeister noch gar nicht zu realisieren: Tim Lochner (links) zusammen mit Jörg Urban, Vorsitzender der AfD in Sachsen am Sonntagabend.

© dpa/Sebastian Kahnert

Erster AfD-Oberbürgermeister für Pirna: Lochners Traum von der „Blauen Wende“

Tim Lochner brach einst mit Merkels CDU – nun sitzt er für die AfD als Chef im Pirnaer Rathaus. Was treibt den 53-Jährigen an?

Von Thomas Möckel

Gleich nachdem sein Sieg am Sonntagabend feststand, bedankte sich Tim Lochner bei Sachsens AfD-Landeschef Jörg Urban und Generalsekretär Jan Zwerg dafür, dass sie ihn im Wahlkampf unterstützt haben.

Lochner hatte soeben die Oberbürgermeisterwahl in Pirna im zweiten Wahlgang mit 38,5 Prozent der Stimmen gewonnen. Und Urban frohlockte, mit ihm stelle die AfD nun den ersten Oberbürgermeister in Deutschland. Dabei ist der 53-jährige künftige Rathauschef der 40.000-Einwohner-Stadt gar nicht Mitglied der AfD – und wird es aller Voraussicht auch nicht werden.

Lochner, das graue Haar gescheitelt und leicht nach hinten gekämmt, meist in Jeans und Oberhemd gekleidet, darüber gelegentlich ein Sakko und in letzter Zeit häufiger ein Trachten-Janker, hat sich nicht zum ersten Mal um das Amt beworben. Bei der Wahl 2017 bekam er 32,9 Prozent der Stimmen, im ersten Wahlgang 2023 prozentual exakt so viel.

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2016 kam der Bruch mit der CDU

Er war im Herbst 2016 aus der CDU ausgetreten, kurz darauf trat er als parteiloser Einzelkandidat erstmals zur Oberbürgermeisterwahl in Pirna an. Als er damals im Vorfeld wegen seiner Nähe zu Pegida und zur AfD befragt wurde, ob es während einer möglichen Amtszeit mit ihm den ersten AfD-Oberbürgermeister geben werde, verneinte er. Er schloss damals generell aus, in den kommenden Jahren in irgendeine Partei einzutreten, auch die AfD komme für ihn nicht infrage.

Daran hat er sich bis heute gehalten, am Wahlabend schloss er erneut eine Parteimitgliedschaft aus. Gleichwohl ist er dieses Mal als Kandidat für die AfD angetreten. Der Pirnaer AfD-Stadtverband hatte ihn im März einstimmig nominiert, der AfD-Fraktion im Stadtrat gehört er bereits seit Anfang 2020 an. Lochner sagt, so sei es im Vorfeld vereinbart worden: Er kandidiere, werde aber kein Parteimitglied und bleibe so parteipolitisch unabhängig.

Es ist aberwitzig, eine Partei als rechtsextrem einzustufen, die versucht, auf parlamentarischen Wegen Mehrheiten zu generieren

Tim Lochner, neuer Oberbürgermeister von Pirna

Dass er nun für eine Partei ins Rathaus einzieht, deren sächsischen Landesverband mittlerweile vom Verfassungsschutz als „gesichert rechtsextrem“ eingestuft wird, störe ihn nicht. Aus Lochners Sicht sei diese Einstufung ohnehin politisch gesteuert. „Es ist aberwitzig“, sagt Lochner, „eine Partei als rechtsextrem einzustufen, die versucht, auf parlamentarischen Wegen Mehrheiten zu generieren.“ Befragt zu den extremistischen Positionen in der AfD sagt er, es gebe in jeder Partei unglückliche Aussagen, die nach einer Seite ausreißen. Ihm gehe es jetzt vor allem darum, Pirna neuen Schwung zu geben, die Stadt müsse sich wieder Visionen leisten können.

Vom Tischlerhandwerker zum Restaurator

Lochner wurde 1970 in Pirna geboren, nach der Schule absolvierte er eine Lehre zum Holzmodellbauer, 1993 erwarb er den Meistertitel im Tischlerhandwerk. In einem zweijährigen Studium am Europäischen Institut für Denkmalpflege ließ er sich zum staatlich geprüften Restaurator ausbilden, seit 30 Jahren ist er mit einer eigenen Werkstatt selbstständig.

Zehn Jahre saß er im Aufsichtsrat der Volksbank Pirna, aktuell ist er Aufsichtsrat der Städtischen Wohnungsgesellschaft Pirna, der Stadtwerke sowie der Pirnaer Holding. Darüber hinaus war er an der Gründung des 1. FC Pirna beteiligt und leitete ihn eine geraume Zeit. Lochner ist Vater zweier erwachsener Kinder.

Seit 2014 ist er Mitglied des Stadtrats, anfänglich für die CDU-Mittelstandsvereinigung MIT, dann kam der Austritt aus der Partei. Nach der OB-Wahl 2017 gründete er mit Mitstreitern die Wählervereinigung „Pirna kann mehr“ (PKM), suchte später die Nähe zur einstigen AfD-Chefin Frauke Petry und ihrer neuen Sammlungsbewegung „Blaue Wende“.

Ex-AfD-Chefin Frauke Petry. Zu ihrer Bewegung „Blaue Wende“ suchte Tim Lochner vorübergehend eine Nähe.
Ex-AfD-Chefin Frauke Petry. Zu ihrer Bewegung „Blaue Wende“ suchte Tim Lochner vorübergehend eine Nähe.

© AFP/Monika Skolimowska

Im Herbst 2018 gründete Lochner mit zwei anderen Stadträten die Fraktion „Pirna kann mehr – Blaue Wende“. Doch im Frühjahr 2019 ging Lochner auf Distanz zu Petry, weil er sich zu sehr für sie und ihre Ziele sowie für Ziele der Landes- und Bundespolitik vereinnahmt gefühlt habe. Jetzt findet er sich in ähnlicher Rolle wieder, nun mit der AfD. Er selbst sehe indes keine Gefahr, sich vereinnahmen zu lassen. Seit Anfang 2020 ist er Mitglied der AfD-Stadtratsfraktion. „Das hat Nähe gebracht“, sagt Lochner, „aber keine Abhängigkeit.“

Wenn er im Stadtrat auftritt, dann stets ruhig und sachlich. Er formuliert Anliegen meist kurz und gibt nach außen hin gern den Gemäßigten. In sozialen Netzwerken schlägt er aber auch anderer Töne an. Mal bezeichnet er Sachsens Ministerpräsidenten Michael Kretschmer (CDU) als Lügner. Mal schreibt er, mit diesem Staat, dieser Regierung und den Medien habe er abgeschlossen. Und in einem öffentlichen Wahlforum drohte er vom Podium aus einem Fragesteller.

Warnung vor „Austausch der einheimischen Bevölkerung“

Seine Wahlziele hatte Lochner in einer eigenen Wahlkampfzeitung umrissen, mit teils widersprüchlichen Aussagen. So haderte er beispielsweise heftig mit der Corona-Politik von Land und Bund, organisierte bereits 2020 Corona-Demonstrationen. Er wendet sich auch gegen unkontrollierte Migration, bedient sich dabei auch Verschwörungsmythen etwa vom sogenannten „großen Austausch“ der Bevölkerung.

Auch am Wahlabend äußerte sich in diese Richtung: „Wenn wir einen Ausländeranteil in gewissen Stadtteilen haben von nachweislich 38 Prozent in den Grundschulen und Kitas, dann ist das für mich schon ein Austausch der einheimischen Bevölkerung.“

Auch mit Vielfalt und Diversität tut sich Lochner schwer. Als das Landratsamt 2016 anlässlich des Christopher Street Day die Regenbogenflagge hisste, warf er mit anderen der Behörde vor, dass sie dem „Zeitgeist hinterher stolpert“. Erst kürzlich ließ er wissen, dass es mit ihm als OB keine Regenbogenfahne vor dem Rathaus geben werde.

Die Altstadt von Pirna mit dem Rathaus (vorne) und der Marienkirche (Luftaufnahme mit einer Drohne).
Die Altstadt von Pirna mit dem Rathaus (vorne) und der Marienkirche (Luftaufnahme mit einer Drohne).

© dpa/Sebastian Kahnert

Viele seiner Themen sind auf kommunaler Ebene nicht lösbar. Gleichwohl erwarte er, dass sich ein Rathauschef in solchen Fällen bei zuständigen Stellen engagiert, damit sich etwas ändert. „Ich für meinen Teil“, sagt Lochner, „stehe für neuen Schwung und tatsächliche Veränderung.“

Wie das aussehen soll, dafür lieferte er am Wahlabend schon einen Vorgeschmack. Er werde versuchen, verkündete Lochner, die Mitarbeiter im Rathaus möglichst einzeln persönlich kennenzulernen – und auf ihre Loyalität prüfen.

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