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Heinrich Bedford-Strohm bei einer Pressekonferenz 2019.

© Imago/Photothek/Florian Gaertner

Bayerischer Landesbischof Bedford-Strohm: „Wir brauchen die Klimaaktivisten in der Politik“

Höchstens 100 km/h auf kirchlichen Dienstfahrten? Das findet Heinrich Bedford-Strohm richtig. Der bayerische Landesbischof über das Folteropfer Jesus, Protestler und Protestanten – und Gewalt als letztes Mittel.

Herr Bedford-Strohm, Ihnen ist Ende 2022 eine Art Wunder gelungen: Sie haben die Letzte Generation und den bayerischen Innenminister an einen Tisch gebracht. Wie haben Sie das gemacht?
Der entscheidende Punkt war, dass das Gespräch auf neutralem Gebiet in meinen Münchner Bischofsräumen stattfand. Ich war im Kontakt mit einer Aktivistin, die sich um die Vernetzung der Letzten Generation kümmert. Als Kirche wollten wir die harten Präventivhaftmaßnahmen gegen die Letzte Generation in Bayern thematisieren. Aus einem Anruf bei Innenminister Joachim Herrmann ist der noch bessere Plan erwachsen: Wäre es möglich, dass wir uns mal treffen? Er hat spontan zugesagt.

Was haben Sie sich davon versprochen?
Ich wollte, dass die Letzte Generation sieht, dass ein Innenminister nicht einfach hinnehmen kann, dass der Verkehr blockiert wird. Und umgekehrt: Dass der Innenminister versteht, dass diese Leute nicht handeln, weil sie irgendwie Radau machen wollen, sondern weil sie zutiefst besorgt, ja verzweifelt sind, wegen einer objektiv bestehenden Gefahrensituation. Schon jetzt sterben Menschen an den Folgen des Klimawandels.

Gab es denn Ergebnisse?
In jedem Falle war es gut, mal direkt von Angesicht zu Angesicht zu reden. Es war mir natürlich klar, dass ein Gespräch in München keine Wende in der Politik verursacht und auch die Klimaaktivisten nicht davon überzeugt, dass es bessere Methoden gibt. In dem Gespräch entstand die Idee, eine Protestpause über Weihnachten einzulegen. Die hat sich aber leider bei den Aktivisten nicht durchgesetzt..

Kann die Klimakrise denn Ferien machen?
Wir wissen alle, dass die Frage, ob die notwendigen politischen Umsteuerungen stattfinden, nicht von fünf Tagen mehr oder weniger Protest abhängt. Es geht doch darum: Wie kann ich politische Prozesse fördern, die wirklich zu effektiven Maßnahmen führen? Die aktuellen Forderungen der Letzten Generation, 9-Euro-Ticket und Tempolimit, sind ja eher symbolisch.

Wie meinen Sie das?
Auch die Letzte Generation weiß, dass es sich um marginale CO2-Einsparungen handelt im Verhältnis zum weltweiten Ausstoß. Die eigentliche Aufgabe lautet: Wie schaffen wir es, eine hochdifferenzierte Wirtschaft so schnell umzusteuern, dass es eine Wirkung auf den Temperaturanstieg hat, ohne dass das System völlig zusammenbricht?

Ich verstehe, dass die Aktivisten sich nicht auf die Einzelheiten etwa von Lieferketten einlassen können, aber auf die Schwierigkeiten der politischen Prozesse schon. Andererseits muss die Politik die Dringlichkeit verstehen.

Genau das scheint aber doch nicht zu passieren.
Wenn man über die Frage diskutieren muss, ob man mit dem Auto nicht mehr 180 fahren darf, hat man in der Tat den Eindruck, dass die Dringlichkeit noch nicht verstanden wurde. Immerhin hat sogar das Umweltbundesamt gezeigt, dass sich durch Tempolimits zwischen drei und fünf Millionen Tonnen CO2 im Jahr einsparen lassen. Die EKD-Synode etwa hat sich selbst auf maximal 100 Stundenkilometer verpflichtet – wenn das alle täten, könnten wir sogar mehr als fünf Millionen Tonnen einsparen.

Wir wollen auf kirchlichen Dienstfahrten maximal 100 fahren – und 80 auf Landstraßen.

Heinrich Bedford-Strohm über die Selbstverpflichtung der evangelischen Kirche

Für die evangelische Kirche gilt ein Tempolimit?
Die EKD-Synode hat kein gesetzliches Tempolimit als politische Forderung beschlossen, aber sie hat dazu aufgefordert, darüber zu diskutieren. Beigestellt hat sie dem ein umso schärferes Tempolimit als Selbstverpflichtung: Wir wollen auf kirchlichen Dienstfahrten maximal 100 fahren – und 80 auf Landstraßen. In meinem neuen Amt als Vorsitzender des Weltkirchenrates muss ich aber natürlich auch fliegen, auch wenn wir nicht vermeidbare Flüge natürlich immer kompensieren..

Warum können Sie nicht auf Flüge verzichten?
Man kann ja nicht sagen, die Business-Community fliegt weiter, aber die Menschen, die versuchen, weltweit Humanität zu organisieren, hören jetzt auf, sich zu vernetzen. Leider gibt es inzwischen auch einige, die sagen: „Na ja, 2,5 oder gar 1,5 Grad schaffen wir sowieso nicht mehr“. Doch wer sich damit zufriedengibt, gibt sich auch mit dem Tod vieler Menschen zufrieden.

Sie teilen also die Ziele, sehen die Mittel aber kritisch. Wie weit darf Protest für Sie gehen?
Ich sage nicht, es darf keinen zivilen Ungehorsam geben. Ich habe mich selbst als Student an dergleichen beteiligt. Da haben wir allerdings Militärlaster blockiert, auf denen Atomwaffen transportiert wurden. Nun sind Unbeteiligte die Leidtragenden. Gerade die, die wir dringend gewinnen müssen, um Mehrheiten zu kriegen, werden nach meiner Erfahrung eher davon abgestoßen.

Aktivist:innen blockieren die Ausfahrt Spandauer Damm auf dem Stadtring Berlin.
Aktivist:innen blockieren die Ausfahrt Spandauer Damm auf dem Stadtring Berlin.

© Fritz Engel/Archiv Agentur Zenit

Was würden Sie denn vorschlagen?
Wir brauchen diese kompetenten Aktivisten, die ein tolles Engagement zeigen, in der Politik! Als Motoren der politischen Veränderung. Ich wünsche mir, dass solche Leute in den Parteien aktiv sind und massiv darauf hinwirken, dass man kapiert, dass noch nicht ausreicht, was gegenwärtig passiert.

Billiger als über die Politik kriegt man die Klimawende nicht. Mir muss jedenfalls erst einmal einer sagen, wie man diese riesigen Transformationsprozesse stemmen soll, ohne die politischen Zwischenschritte zu gehen. Wenn wir es nicht schaffen, China oder Indien zu überzeugen, werden wir scheitern. Das geht am besten, wenn wir in unserem eigenen Land glaubwürdig handeln.

Trotzdem muss man klar sagen, dass es sich hier nicht um Kriminelle handelt. Das sind Menschen, die aus einem tiefen Verantwortungsgefühl heraus handeln.

Heinrich Bedford-Strohm über die Klimaaktivisten

Gerade in Bayern reagiert aber auch die Politik radikal. Protestler wurden verhaftet, es gab Hausdurchsuchungen.
Ich fand es auch überzogen, dass Leute für viele Tage in Präventivhaft genommen wurden. Aber die Polizei steht natürlich vor einem Problem. Wenn jemand sagt: „Wenn Ihr mich freilasst, mache ich das sofort wieder“, kommt das aus Sicht des Innenministers einer permanenten Blockade, etwa des Stachus in München, gleich.

Sie meinen, die Polizei kann gar nicht anders?
Sie können sich vorstellen, was die Polizei und die Politik für Briefe kriegen, wenn sie nicht dafür sorgen, dass man sich von einem Ort zum anderen bewegen kann. Trotzdem muss man klar sagen, dass es sich hier nicht um Kriminelle handelt. Das sind Menschen, die aus einem tiefen Verantwortungsgefühl heraus handeln. Für die rechtliche Beurteilung spielt übrigens auch eine Rolle, dass das Bundesverfassungsgericht der Politik deutlich signalisiert hat, dass sie mit unzureichenden Klimaschutzmaßnahmen ihrerseits gegen geltendes Recht verstößt.

Herr Bedford-Strohm, es gibt in Deutschland aus guten Gründen eine Trennung von Staat und Kirche. Sollte sich Letztere überhaupt politisch einmischen?
Wer fromm ist, muss auch politisch sein. Jesus hat gesagt: Du sollst Gott lieben und deinen Nächsten wie dich selbst. Christentum heißt, dass die Gottesliebe nie von der Nächstenliebe zu trennen ist. Viele Aspekte menschlicher Not haben auch politische Ursachen. Diese anzugehen, gehört genauso zu unserem Auftrag, wie die Symptome zu bekämpfen.

Wenn ich von etwas überzeugt bin, habe ich überhaupt kein Problem damit, Gegenwind auszuhalten. Und Morddrohungen, das klingt jetzt so schlimm, aber es gibt viele Verrückte auf der Welt.

Heinrich Bedford-Strohm über Bedrohungen

Sie haben aus diesem abstrakten Auftrag immer wieder konkrete politische Forderungen abgeleitet. Zuletzt haben Sie sich in der Flüchtlingskrise dafür eingesetzt, dass die „Sea Watch 4“ zur Seenotrettung im Mittelmeer gechartert wird. Sehen Sie das als Erfolg?
Ich würde es genauso wieder machen. Wir haben über Jahre sehenden Auges Menschen ertrinken lassen. Das ist empörend. Die Staaten Europas verraten ihre Pflicht und ihre humanitären Traditionen, wenn sie weiter ersatzlos Seenotrettung einstellen. Inzwischen kann das von uns gegründete Bündnis „United for Rescue“ sogar schon drei Rettungsschiffe unterstützen.

Sie haben wegen Ihres Engagements Morddrohungen bekommen.
Wenn ich von etwas überzeugt bin, habe ich überhaupt kein Problem damit, Gegenwind auszuhalten. Und Morddrohungen, das klingt jetzt so schlimm, aber es gibt viele Verrückte auf der Welt. Einmal kam ein Brief mit einem weißen Pulver drin, das führte zu einem Großeinsatz der Feuerwehr. In dem Brief stand auch, dass ich eine Kugel im Kopf habe, wenn dieses Schiff ausläuft. So etwas kann ich nicht ernst nehmen.

Ein Kernpunkt der politischen Positionierung der evangelischen Kirche ist der Pazifismus. Nun treten Sie für Waffenlieferungen in die Ukraine ein. Wie kam es zu diesem Sinneswandel?
Was mich selbst betrifft, ist das überhaupt kein Sinneswandel. Ich habe schon als junger Mann trotz großer innerer Zerrissenheit den Wehrdienst nicht verweigert, sondern als Sanitäter gedient. Ich habe damals schon gesagt: Es kann, auch wenn ich mir nie vorstellen kann, einen Menschen zu töten, Situationen geben, in denen ich andere Menschen schützen muss und in denen das vielleicht nur noch mit militärischer Gewalt möglich ist.

Können Sie ein Beispiel dafür geben?
Das bedrückendste Beispiel ist für mich Ruanda. Ich war viele Male in dem Land und habe viele Freunde dort. Von ihnen habe ich die Geschichten gehört, wie die UNO-Soldaten dabei zugeschaut haben, wie innerhalb von 100 Tagen fast eine Million Menschen massakriert worden sind. Das ist für mich ein riesiges moralisches Versagen der Weltgemeinschaft, das in diesem Fall darauf beruht, dass die UNO-Truppen ihre Waffen nicht gebrauchen durften. Deswegen zur Ukraine: Ich sehe keinen anderen Weg, als die Menschen, die sich selbst zu verteidigen versuchen, darin zu unterstützen.

Jesus ist ein Folteropfer. Wie könnte es mir da egal sein, wenn irgendwo Menschen gefoltert werden?

Heinrich Bedford-Strohm, politischer Landesbischof

Sie wurden zum Thema des gesellschaftlichen Zusammenhalts habilitiert. Ihre Kirche ist theoretisch für alle Menschen da. Wenn man nun, wie Sie, leidenschaftlich für eine Sache Partei ergreift, läuft man da nicht Gefahr, in ein Lager zu geraten und die Gesellschaft weiter zu spalten?
Nein. Miteinander in Beziehung zu bleiben, heißt ja nicht, allen nach dem Mund zu reden. Und Pluralismus heißt nicht, dass alles gleichermaßen okay ist und dass keiner irgendwelche Wahrheitsansprüche hat. Natürlich haben wir die und sollten sie auch vertreten! Auch als Christen.

Welche Wahrheiten meinen Sie?
Wir glauben an einen Gott, dessen menschliche Gestalt am Kreuz mit einem Schrei der Gottverlassenheit gestorben ist. Jesus ist ein Folteropfer. Wie könnte es mir da egal sein, wenn irgendwo Menschen gefoltert werden? Ich sage aber gleichzeitig: Wenn du anderer Meinung darüber bist, was dieses Eintreten für die Würde des Menschen konkret bedeutet, im Extremfall sogar so was rechtfertigst, dann möchte ich mit dir reden. Man kann im Dialog ganz erstaunliche Erfahrungen machen, wenn man die Menschen zuallererst als Menschen sieht und sie nicht auf ihre Worte und Taten reduziert.

Diesen Dialog scheint es immer seltener zu geben, wenn man auf die politischen Entwicklungen in Europa oder den USA schaut.
Das macht mir große Sorge. Eine Erklärung ist der technologische und kulturelle Modernisierungsschub, den es in dieser Geschwindigkeit selten zuvor gegeben hat. Die dabei entstehenden Blasen fördern häufig einen Rückzug in die eigene Gemeinschaft, in der die Identität durch die Abgrenzung von anderen, in der Regel auch durch deren Abwertung gestärkt wird. Das fördert etwa Nationalismus. Aus meiner Sicht ist Nationalismus eine sehr eklatante Form von dem, was wir mit dem alten Wort Sünde bezeichnen.

Nationalismus ist eine Sünde?
Martin Luther hat mal gesagt: Sünde heißt, dass der Mensch verkrümmt ist in sich selbst. Ich glaube, dass auch eine Gemeinschaft verkrümmt sein kann in sich selbst: Das ist genau das, was Nationalismus kennzeichnet: Wir sehen nicht mehr die Interessen, die Not der anderen. „Make America great again“ ist die Variante Trump zu diesem Phänomen. Es ist eine destruktive Form der Reaktion auf die Unsicherheiten der Moderne.

Eine andere ist die Vereinzelung.
Mir ist die Diagnose vom „Verlust der Gemeinschaft“ in der modernen Welt zu simpel. Was tatsächlich immer mehr verloren geht, sind Formen von Gemeinschaft, die ganz stark auf Homogenität beruhen. Lange gab es feste Traditionen, aus denen man nicht ausscheren durfte, vielleicht sogar um den Preis des eigenen Lebens. Auch in unseren Breiten wurden Ehen lange arrangiert. Heute sind wir durch sieben Jahrzehnte Individualisierung gegangen. Die Menschen entscheiden heute aus Freiheit, welchen Gemeinschaften sie sich anschließen..

Auffallend wenige schließen sich den Kirchen an.
Es sind nach wie vor sehr viele. Menschen haben heute die Freiheit, aus der Kirche auszutreten, ohne Angst vor sozialen Sanktionen haben zu müssen. Die heutigen Kirchenmitgliedschaftszahlen sind deswegen viel ehrlicher. Wenn heute unter Bedingungen von allgemeiner Institutionenverdrossenheit 40 Millionen Menschen aus Freiheit entscheiden, Mitglieder der Kirche zu sein und in ein paar Jahrzehnten vielleicht auch nur die Hälfte, ist das immer noch eine riesengroße Zahl.

Kürzlich hat die Katholische Kirche ihren „synodalen Weg“ abgeschlossen. Wie beurteilen Sie den Prozess der Kollegen?
Ich habe Hochachtung vor dem, was der synodale Weg angestoßen hat. Ich habe mich selbst einmal per Livestream dazugeschaltet und war beeindruckt von der Debattenkultur. Dabei sind, mit breiter Mehrheit auch der Bischöfe, inhaltliche Beschlüsse herausgekommen, die man noch vor Jahren nicht für möglich gehalten hätte. Das ist dem Mut vieler Katholikinnen – die Männer sind hier mitgemeint – zu verdanken, die nicht lockergelassen haben. Jetzt hoffe ich, dass möglichst viel davon umgesetzt wird.

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