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Mar Galceran.

© AFP/JOSE JORDAN

Erste Abgeordnete mit Down-Syndrom: „Die Gesellschaft hat uns überbehütet“

Mar Galcerán sitzt in einem spanischen Parlament – als erste Frau mit Down-Syndrom. Sie sagt: Menschen mit Behinderung scheitern selten an sich selbst. Sondern daran, dass man sie unterschätzt.

Diesen Dienstag hat Mar Galcerán große Pläne. Sie wird in den Zug steigen und nach Madrid fahren, um mitzuerleben, wie die spanische Verfassung geändert wird. Der Begriff „disminuidos“ im Artikel 49 soll durch „personas con discapacidad“ ersetzt werden. Letzteres bedeutet im Spanischen „Menschen mit Behinderung“. Auch „Disminuidos“ bedeutet Behinderung – aber auch „vermindert“ oder „erniedrigt“. Viele Betroffene finden das unwürdig und überholt. Auch Mar Galcerán.

Die 46-jährige Valencianerin setzt sich schon ihr ganzes Leben dafür ein, dass Menschen wie sie gleichwertig behandelt werden. Und während Spanien an diesem Dienstag seine Verfassung ändert, schrieb sie bereits vor vier Monaten Geschichte. So lange sitzt Galcerán mittlerweile im valencianischen Parlament. Als erste Abgeordnete mit Down-Syndrom jenseits von Stadtverordnetenversammlungen – in Spanien, in Europa.

In der Community selbst hat das Freude ausgelöst. Agustín Matía Amor von „Down España“ nannte es gegenüber „The Guardian“ einen großen Schritt in Richtung echter Inklusion. Die valencianische Organisation „Asindown“, die Familien mit Kindern mit Down-Syndrom vertritt und der Galcerán selbst einmal vorsaß, sagte dem Tagesspiegel, es sei eine Möglichkeit, Barrieren in der Politik einzureißen.

An Galceráns erstem Tag im Parlament wird sie entsprechend von spanischen Journalisten belagert. Die Politikerin selbst wirkt von dem Trubel um ihre Person unbeeindruckt. „Mich überrascht es eher, dass ich die Erste bin“, sagt sie dem Tagesspiegel. Sie kennt sich damit aus, Grenzen zu überwinden, die andere ihr setzen.

Behinderungen sind die Barrieren, die uns die Gesellschaft baut.

Mar Galcerán, spanische Abgeordnete (PP)

Galcerán ging auf eine herkömmliche Schule, machte gleich mehrere Ausbildungen, etwa im Tourismus und im Kindergarten. Sie arbeitete 26 Jahre lang im öffentlichen Dienst, unter anderem im Sozial- und Gesundheitsministerium der valencianischen Regierung. Über Jahre hinweg war sie Präsidentin von „Asindown“. Und trotzdem: Damals wie heute begegnet sie Menschen, die nicht glauben, dass sie ein selbstbestimmtes Leben führen kann.

„Viele sehen uns Menschen mit Down-Syndrom als ewige Kinder“, sagt Galcerán. Für sie ist das auch der Grund, warum es bis heute kaum Menschen mit Behinderung in der Politik gibt. „Es wird uns nicht zugetraut. Die Gesellschaft hat uns über Jahrhunderte hinweg überbehütet.“ Die Politikerin meint damit: Menschen mit Behinderung sollte der Raum gegeben werden, Verantwortung zu übernehmen. Fehler zu machen. Mensch zu sein. „Zu fliegen“, wie sie sagt.

Sie spricht grundsätzlich nicht von Behinderungen, sondern von „unterschiedlichen Fähigkeiten“. Schließlich habe jeder Mensch unterschiedliche Bedürfnisse, Stärken und Schwächen. „Behinderungen sind die Barrieren, die uns die Gesellschaft baut.“

Galcerán selbst hatte die Möglichkeit zu fliegen. Ihre Familie, sagt sie, habe sie immer unterstützt – aber auch machen lassen. „Als Teenager hatte ich eine schwierige Zeit. Ich hatte keine Freunde in der Schule, niemand wollte etwas mit mir zu tun haben“, sagt sie.

In der Konsequenz habe sie sich zurückgezogen. „Statt mich in eine andere Schule zu stecken, gab meine Familie mir Rückhalt. Mein Bruder nahm mich immer mit zu seinen Freunden, stellte mich neuen Leuten vor. So habe ich gelernt, selbstbewusster und offener zu sein“, sagt sie.

Kurze Zeit später, mit 18 Jahren, trat sie der konservativen Partido Popular (PP) bei. Galcerán, die sich in valencianischen Kulturvereinen engagiert, schätzt die Partei für ihr Traditionsbewusstsein. Und für ihr Engagement für Menschen mit Behinderung. Schon 2013 saß für die PP die erste Frau mit Down-Syndrom in einem Stadtrat.

Galcerán selbst habe sich immer willkommen gefühlt. Im Jugendverband der PP übernahm die Politikerin schnell Verantwortung, der Chef der valencianischen PP, Carlos Mazón, setzte sie bei den Regionalwahlen 2023 auf die Parteiliste. „Ich wurde hier immer normal behandelt.

Auf den Einwand, dass die Partei 2021 noch gegen die jetzt geplante Änderung des Verfassungsartikels 49 stimmte, winkt Galcerán ab. Natürlich unterstütze sie nicht alles, was in der Vergangenheit passiert ist. „Wichtig ist aber, dass meine Partei jetzt zustimmt und es vorwärtsgeht.“

Bis zur tatsächlichen Gleichstellung von Menschen mit Behinderung braucht die Valencianerin, die in ihrer Freizeit gerne läuft, tanzt und Ski fährt, vermutlich einen langen Atem. Das sei ja wie beim Laufen. „Ein Schritt nach dem anderen“, sagt sie lächelnd.

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