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Ariane Niehoff-Hack, Übersetzerin, Ausstellungsmacherin und Tochter der Filmkritikerin, Feuilletonistin und Tagesspiegel-Autorin Karena Niehoff.

© privat

„Sie schrieb, aber schwieg“: Ariane Niehoff-Hack über ihre Mutter Karena Niehoff

Über ihr Leben sprach die berühmte Filmkritikerin nicht, die von den Nazis verfolgt und auch später antisemitisch bedroht wurde. Ihre Tochter antwortet auf unsere Fragen.

Stand:

Wir erreichen Sie zwischen zwei Frankreich-Reisen: Die erste Frage knüpft gleich daran an: Woher die offenkundige Frankreich-Liebe der Familie Niehoff?
Darüber habe ich nachgedacht, meine auch, durch Unterlagenstudium, zu einem Ergebnis gekommen zu sein: Meine Urgroßmutter hatte drei Töchter, die Älteste, Martha, heiratete einen Maler, Paul Francke. Dessen Schwester, Henriette heiratete einen Franzosen; aus ihr wurde Henriette Martin. Diese Henriette, also die Schwägerin meiner Großmutter, lebte in Paris. Ich kannte sie nur dem Namen nach.

Desgleichen hatte meine Mutter dort eine Freundin und, das nehme ich sehr stark an, meine Großmutter, einen französischen Liebhaber. Wenn sie aus Paris kam, dann war sie glücklich. Sie fuhr so oft sie konnte, dorthin. Sicher nicht oft genug.

Jedenfalls beschlossen beide Damen, mich auf das Französische Gymnasium zu schicken; und so wurde Frankreich das Land meiner Liebe. Mit meiner Mutter war ich nie in Frankreich.

Das Reisen, nicht nur nach Frankreich, war Ihrer Mutter als Reisereporterin, die sie ja für den Tagesspiegel und andere auch war, schon rein beruflich wichtig. Reiste sie auch privat gern? Und sprach sie darüber? Wohin reiste sie besonders gern über Frankreich hinaus.
Die in ihren Pässen festgehaltenen Reisen habe ich nicht in ihrem Buch wiedergefunden, also nicht von ihr verarbeitet. Außer Israel. Dafür aber Monaco, die Hochzeit. Nichts aus Venedig, nichts aus Cannes, nichts aus Indien. Indien könnte aber in der SZ gewesen sein.

1973/74 muss sie in Kairo gewesen sein (Anlass – keine Ahnung), wo sie einen „Straßenhund“, in Form eines Stofftiers rettete… :) Meine Tochter hat ihn immer noch.

Gerade habe ich noch im Buch von Jörg Becker gelesen. Der Tagesspiegel schickte sie auf Reisen, unter anderem auch nach Frankreich. Die Artikel sind allerdings nicht im Buch. Offenbar sind sie im Archiv. Die Artikel habe ich immer sehr sorgfältig aufgeklebt.

Ansonsten kann ich mich an kaum eine private Reise erinnern, musste allerdings feststellen, als ich diese Liste sah, dass ich selbst die Abwesenheit (Israel) nicht mehr wusste. Und, zu meinem Erstaunen, auch nicht Lissabon. Das war drei Monate nach dem Tod ihrer Mutter, und ich muss ja wohl alleine geblieben sein, denn erst bei der Indienreise brachte sie mich einer Schulfreundin von mir unter.

Gemeinsam waren wir nur viermal weg: einmal Ischia, einmal Lanzarote, und einmal hat sie mich bei meinen Filmaufnahmen nach Kärnten begleitet. Privat waren wir auch in Kärnten, als Familie, mit Kind und Kegel.

In die Schweiz ist sie öfter mal gefahren, da wohnte ein guter Freund von ihr, David Wechsler, ein Schriftsteller, der 1990 starb.

Karena Niehoff, 21. Dezember 1920 - 18. September 1992.

© Foto: Ariane Niehoff-Hack

Häufig auch nach München, zu einer Kollegin und Freundin, auch zu Borris von Borresholm, Helmut Fischer. Alles Menschen, die ich gut kannte, von denen sie dann auch erzählte. Ansonsten eher: Schweigen im Walde.

Ihre Mutter schrieb, dass Feuilletonchef Walter Lennig und Zeitungsgründer Erik Reger sie zum Tagesspiegel geholt hatten. Wissen Sie mehr über den Ablauf dieser Einstellung? Hatte sie sich beworben, kam der Tagesspiegel auf sie zu, wie bahnte sich das an?
Nein, da habe ich keine Ahnung, nehme aber an, dass Reger sie geholt hat, denn Walter Lennig hat sie erst beim Tagesspiegel kennengelernt.

Überraschte ihre Mutter dieses Job-Angebot, nachdem sie ja zunächst erfahren musste, dass sie wegen der Verleumdung, beim Harlan-Prozess Teil eines kommunistischen „Trickfilms“ gewesen zu sein, weniger Aufträge bekam?
Ich nehme mal an, dass sie positiv überrascht war nach den Anfeindungen, die sie in der „Zeit“ und in der „Welt“ erfahren hatte. Da muss es ja sehr viele böse Leserbriefe gegeben haben. Als Theaterkritikerin war sie für die „Welt“ nicht mehr tragbar.

Karena Niehoff beim Harlan-Prozess.

© Ariane Niehoff-Hack

Hatte die „Treue zum Tagesspiegel“, die es in Jörg Beckers biographischem Essay über Ihre Mutter sogar in eine Überschrift schafft, auch damit zu tun?
Das kann ich nur vermuten. Eine für sie ungewöhnliche Formulierung.

War ihr Engagement bei der „Welt“ an den Hamburger Verleumdungen gescheitert? Gab es außer der „Zeit“, die sie explizit erwähnte, noch weitere Zeitungen, die sie damals nicht mehr beauftragten?
Georg Zivier, von der „Neuen Zeitung“ hat ihr offenbar mitgeteilt, dass die Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit sie nicht unterstützen werde, weil sie zu provokativ vorgegangen sei. Dies war sicher umso verwunderlicher, da Zivier ja selber Jude war.

Sprach Ihre Mutter über Tagesspiegel-Kolleg:innen? Z.B. Erik Reger, Walther Karsch, Edwin Redslob, Franz Karl Maier, Walter Lennig, Gabriele Tergit, Pauline Nardi, Elisabeth Mahlke, Heinz Ohff oder andere? Wenn ja, was war da Thema?
Ja, durchaus. Reger: immer positiv, aber er starb ja sehr schnell. Walter Karsch: Theaterkollege, den sie irgendwie sehr schätzte. Sie hätte gerne Theater für den Tagesspiegel gemacht. Franz Karl Maier: immer positiv, bedingt auch durch seine Vergangenheit. Trotzdem sind sie wohl ab und an zusammengestoßen. Unterschiedliche Temperamente… Heinz Ohff war ein sehr angenehmer Kollege, mit Humor, den sie außerordentlich geschätzt hat. Deshalb sind mir auch die Tränen gekommen, als ich am Tage nach ihrem Tod seinen Nachruf auf der Seite 1 des Feuilletons fand.

Elisabeth Mahlke – Musik? Verhältnis neutral. Edwin Redslob, Gabriele Tergit, Pauline Nardi – kann ich mich nicht erinnern. Zu Günther Grack und Volker Baer hatte sie ein sehr gutes Verhältnis und gab zu, dass sie viel unter ihr leiden mussten. Grack habe ich damals aus der Redaktionskonferenz geholt, um dem Tagesspiegel den Tod von Karena mitzuteilen. Grack war vielleicht eher etwas trocken, Volker durchaus witzig. Ich kannte sie ja alle. Nun, Walter Lennig ist natürlich ein anderes Kapitel. Er wurde ihr zum Freund und mir quasi zum Vater.

War die Vergangenheit von Tagesspiegel-Kolleg:innen für Ihre Mutter ein Thema, z.B. bei NS-Mitläufern wie Karl Silex oder Ernst Samhaber?
Samhaber, der Name sagt mir überhaupt nichts. Silex, daran erinnere ich mich, den hat sie durchaus mit Misstrauen betrachtet.

Gabriele Tergit beklagte (zu Recht) das Desinteresse oder rasch nachlassende Interesse an Aufarbeitung der NS-Zeit auch beim Tagesspiegel wie ohnehin in deutschen Medien und in Deutschland insgesamt. Teilte Karena Niehoff diese Ansicht? Sprach sie darüber mit Ihnen oder anderen?
Diese Ansicht teilte sie allerdings. Wie schrieb sie mal sehr treffend, wie ich meine‚ „dass ein Deutscher einen anderen Deutschen niemals mit dem Beinamen ‘deutsches Schwein’ verunglimpfen würde. Der Begriff ‚Saujude‘ für Juden durchaus noch sehr existent ist“. Immer hat sie sich darüber aufgeregt, wenn Nazis in hohe Ämter kamen, sie nicht verurteilt wurde, weil es meist auch nicht zu Prozessen kam. Die Vorfälle in Hoyerswerda, wenige Monate vor ihrem Tod, waren zwar nicht unbedingt antisemitisch, aber sie machten ihr Angst.

Gab es Antisemitismus auch von Seiten journalistischer Kolleg:innen?
Nein, soweit ich weiß.

Wurde je festgestellt, woher die antisemitischen Briefe an Ihre Mutter kamen? Welche Versuche wurden unternommen, dies festzustellen?
Soweit ich mich erinnere hat sie erstaunlicherweise Anzeige erstattet. Natürlich ohne jegliches Ergebnis, denn die Briefe kamen ja nicht regelmäßig, aber ziemlich lange. Ich kann mir nicht vorstellen, dass sie damit oft eine Polizeistation betreten hat!

Es waren auch nicht nur antisemitische Briefe; es ging auch um ihr Privatleben. Ich gehe mal davon aus, dass sie die nicht weitergegeben hat.

Wie wichtig war ihr jüdische Identität? In ihrem Leben, bei ihrer Arbeit, für ihre Familie? Wie wichtig ist sie Ihnen?
Beginnen wir bei meiner Großmutter: Zu ihren Lebzeiten hatten wir einen Leuchter, der auch regelmäßig angezündet wurde, wenngleich wir Chanukka nicht begingen. Wir feierten Weihnachten. Da gab es Karpfen, für mich Schnitzel. Meine Großmutter ging ab und an in die Synagoge.

Mit ihrem Tode endeten diese jüdischen „Traditionen“. Zu Weihnachten kam regelmäßig Walter Lennig (leider hat er ja nicht mehr lange gelebt) – und er orderte „eine jut jebratne Jans“, die ich, nach seinen Anweisungen briet. Ich war 15, und Karena hat darüber eine urkomische unveröffentlichte Geschichte geschrieben.

Sie war getauft, was ihr nichts genutzt hat. Ich bin sicher, sie hat sich immer als Jüdin gefühlt; sie hatte ein jüdisches Schicksal. Daher habe ich auch wie eine Löwin darum gekämpft, sie entsprechend zu beerdigen.

Der Grabstein für Karena Niehoff auf dem Jüdischen Friedhof Heerstraße in Berlin-Westend.

© Markus Hesselmann

Was nun mich betrifft, so kann ich mit Fug und Recht sagen, dass auch ich ein jüdisches Schicksal habe. Ich habe zwei traumatisierte Frauen um mich gehabt, und sie haben mir ihre Traumen vererbt. Ich sehe mich immer als Jüdin.

Ein etwas merkwürdiger Vergleich so: seit Wochen trage ich einen schweren Schuh für meinen Knöchel. Abends kann ich ihn ausziehen und fühle mich dann frei am Fuß und erleichtert. Bei Karena war das nicht so. In der Seele, in allen Poren saß der Holocaust – sie wurde nie davon frei.

Bei meiner Tochter mag das anders sein. Sie ist sich der jüdischen Wurzeln bewusst, hat aber, zu meinem Entsetzen, den ev. Religionsunterricht besucht. Sie lebt mit einem Mann zusammen, der in der Kirche sehr engagiert ist Sie irgendwie schon auch. Es ist aber auch gut, dass hiermit die Traumen enden.

An welche gemeinsamen Berliner Wohnadressen von Ihnen und Ihrer Mutter erinnern Sie sich und was verbinden Sie womöglich jeweils damit Besonderes?
Es gab nur einen Umzug, und zwar den von der zugewiesenen Wohnung nach dem Krieg in der Ravensberger Straße in die quasi Verlängerung dieser Straße nach dem Tod meiner Großmutter in die Zähringerstraße. Sie konnte und konnte sich nicht aufraffen.

Die Straße meiner Jugend habe ich Jahre nach dem Tod meiner Mutter einmal besucht. Es war für mich zur Therapie. An diese Wohnung, an diese Straße, habe ich grauenhafte Erinnerungen. Ich mag den Kiez, mit den vielen Bäumen, den Linden.

Haben Sie frühere Adressen ihrer Mutter und Großmutter in Berlin zur Erinnerung aufgesucht, zum Beispiel dort, wo Ihre Mutter untertauchte und Schutz suchte, etwa in der Helmstedter Straße?
Die Kriegsadressen kannte ich teilweise überhaupt nicht, habe sie erst wieder beim Nachlesen ins Gedächtnis bekommen und mir dann gesagt – ja, da war doch mal was. Wissmannstraße, Helmstedter, Mehlitzstraße, Küstriner, Uhlandstraße. Von den Unterlagen her kannte ich die Wissmannstraße, von einem Beitrag die Helmstedter. Das alles hat sich so verändert…

Wie sind Ihre Erinnerungen an Mauerbau, Mauer und Mauerfall? Wie thematisierte Ihre Mutter die geteilte Stadt?
Meine Erinnerung an den Mauerbau ist zufällig sehr präzise. Wie so oft war ich nämlich auf Sylt. Ich wohnte bei einer Kindergärtnerin, die mich immer beherbergte, einmal monatelang, denn ich bin dort auch im Grundschulalter zur Schule gegangen. Kurz, die Kleinen fragten mich, ob ich denn nun immer bei ihnen bleiben würde, denn nach Berlin könnte ich ja nun nicht mehr, da gebe es doch nun die Mauer.

An den Mauerfall habe ich eigentlich nie so recht geglaubt, dabei hätte ich es doch von meinem Vater besser wissen müssen. Ich habe es erst in den Spätnachrichten mitbekommen – und bin in keinen Jubel ausgebrochen. Skepsis war angesagt.

An Kohls blühende Landschaften habe ich nicht geglaubt. Ich finde es wunderbar, kenne den Osten immer noch zu wenig. Meine Tochter lebt, wenn sie in Berlin ist, im Osten.

Karena: nun, sie hat, im Gegensatz zum Schnell-Plauderer Fritze Luft, ein Osttheater nie betreten. Nicht verarbeitete Ängste? Ich weiß es nicht. Ich glaube, sie hatte etwas Angst, dass Deutschland wieder in eine Großmannssucht verfallen würde. Auch sie sah das alles mit Skepsis. Jubel habe ich jedenfalls von ihr keinen gehört.

In und mit der geteilten Stadt hatte sie sich eingerichtet. Die Politik meines Vaters verfolgte sie mit Spannung, glaubte aber, wie auch ich, ehrlich gesagt, nicht an den Erfolg, den dann Kohl erzielte.

Es ging uns Berlinern ja ganz gut in unserem „Kleinstadtmief“… Die Kontrollen waren lästig, aber Karena flog. Das hat sie also wenig tangiert. Und eines ist ganz wichtig: Karena war eine große Schweigerin. Sie schrieb, aber schwieg. Ich weiß wenig, aus Kriegszeiten nichts. Rudimente von ihrer Patentante, die bis 1974 lebte.

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