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Klimaaktivisten besetzten am 05. November 2022 Teile des Flughafens Schiphol in Amsterdam.

© Imago/ANP/Remko de Waal

Kann der Einzelne den Planeten retten?: Lasst die Klimaschützer doch fliegen!

Umweltaktivisten auf Fernreisen: Genüsslich reiten viele auf inkonsequentem Verhalten herum. Doch das lenkt ab von gesellschaftlichen Widersprüchen, die zur Klimakatastrophe führen.

Ein Kommentar von Hannes Soltau

Jetzt bauen die Ökofreaks auch noch Rennwagen! „Klima-Kleber liebt starke Motoren“, schrieb die „Bild“ in dieser Woche über einen Aktivisten der „Letzten Generation“. Und befeuerte damit genüsslich eine Debatte über die Inkonsequenz von Umweltschützern.

Wenige Tage zuvor schallte bereits ein medialer Aufschrei durchs Land, weil zwei Klimaaktivisten eine Fernreise nach Thailand antraten. Saubere Luft predigen, aber Abgase produzieren? Heuchelei!

Die Häme können wir uns sparen. Denn das Verhalten des Einzelnen ist für die Rettung des Planeten gar nicht so entscheidend.

Es gibt kein nachhaltiges Leben im fossilen Zeitalter.

Hannes Soltau

Medien lieben personalisiertes Storytelling. Gesichter können dabei helfen, sich mit einem Thema zu identifizieren – oder Empörung zu erzeugen.

Vor allem erleichtern sie es, komplexe Sachlagen herunterzubrechen. Man denke an das Reden von „Gretas Klimaprotest“ oder „Drostens Coronamaßnahmen“.

Personalisierung ist bequem, aber immer verkürzt. Noch schwieriger wird es, wenn die Öffentlichkeit sich auf das Fehlverhalten Einzelner versteift und darüber die Widersprüche der Gesellschaft verschweigt.

Mittlerweile kritisiert auch Mathis Wackernagel, der Erfinder des Ökologischen Fußabdrucks, dessen Instrumentalisierung. Ausgerechnet der britische Ölkonzern BP machte seine Idee, dass jede:r seinen oder ihren Anteil an der Umweltverschmutzung berechnen könne, in Kampagnen bekannt.

Das Kalkül: Die Verantwortung weg vom Konzern auf das Individuum zu schieben. Nicht mehr die Politik, die Wirtschaft oder das Recht müssen sich ändern – sondern der Konsum des Einzelnen.

Das ist Ideologie. Eine US-Studie fand heraus, dass selbst obdachlose Menschen, die in Suppenküchen aßen und Sammelunterkünften schliefen, rechnerisch einen CO₂-Fußabdruck von mehr als acht Tonnen pro Jahr hatten. Weil sie immer noch Teil der amerikanischen Gesellschaft sind. 

Sicher ist es vernünftig, das private Verhalten zu überdenken. Von der Ernährung bis zu Flugreisen. Aber wir sind in einen Apparat eingebunden. Ob Energie oder Verkehr: Es gibt kein nachhaltiges Leben im fossilen Zeitalter.

Es macht Angst, der Wahrheit ins Auge zu blicken, dass unser gesellschaftliches Selbstverständnis uns an den Rand einer Katastrophe gebracht hat. Über inkonsequentes Verhalten von Klimaaktivisten herzuziehen, ist da natürlich deutlich entlastender.

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