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Moderatorin Anne Will 

© promo/NDR/Wolfgang Borrs

„Anne Will“ über Bidens Sieg: Hoffnung auf das „personifizierte Gegenmodell“ zu Trump

Es war die erste Post-Trump-Runde bei „Anne Will“ - und neben Erschöpfung war auch viel Hoffnung im TV-Talk zu hören. Auch Maas zeigte sich erleichtert.

Von Caroline Fetscher

Acht Personen suchen einen Anfang - einen Neuanfang. „Die US-Wahl und ihre Folgen“ lautete das Thema, das Moderatorin Anne Will sich und ihren sieben Gästen am Sonntagabend stellte. Dafür gab es sechzig Minuten, für jeden Gast rund sechs, zieht man das Vorstellen und die Einspieler ab. 

Ein Riesenprogramm einer Riesenrunde, am Tag nach dem Wahlsieg von Joe Biden über Donald Trump. Für Millionen in aller Welt war es der Tag nach dem Alptraum, und nach dem langen, bangen Zählen und Erzählen auf allen Kanälen. Die Runde bei Will wirkte vergleichsweise zahm, womöglich erschöpft.

Da Außenminister Heiko Maas (SPD) anfangs kurz zugeschaltet war, konnte er nur wenige Worte sagen. Fraglos wird es Jubel im Auswärtigen Amt gegeben haben, als die Nachricht aus Amerika durch die Flure lief, Erleichterung war Maas anzumerken. Er hatte schon kurz nach dem Wahlergebnis erklärt, dass er auf einen transatlantischen „New Deal“ hoffe, auf fruchtbare Kooperation zu China, Klimaschutz, Corona, und Joe Biden habe signalisiert, dass er ein Teamplayer sein wolle.

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Aber wenn nicht, wenn Trump nun nicht mitmacht? bohrte Anne Will bei mehrmals nach. Daraus waren kaum Funken zu schlagen. Maas spricht zwar vom „unangenehmen Nachspiel“ dieser Tage, doch das amtliche Endergebnis werde vorliegen, und dann gebe es kein Zurück mehr. 

Maas: Vor Biden liegt eine „Herkulesaufgabe“ 

In Demokratien müsse es nunmal Gewinner und Verlierer geben, das sei „vielleicht bei Donald Trump noch nicht angekommen“, sagte der deutsche Außenminister. 

Vor allem beklagt Maas offenbar den Zeitverlust durch die Kapriolen des Amtsinhabers, umso störender in Zeiten von Corona. Joe Biden traut der Minister „die Herkulesaufgabe“ zu, das Land zu einen, „zu heilen“, wie Biden verspricht. Er sei „das personifizierte Gegenmodell“ zu Trumps „Mobilisieren durch Polarisieren“.  

Laschet hofft auf anderen Kurs der Republikaner 

Armin Laschet, Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident und einer der Anwärter auf die Kanzlerkandidatur der CDU, drückte sein großes Zutrauen in die Institutionen der amerikanischen Demokratie aus. Ihn freut, wie Biden „mit einem Kurs der Mitte“ bewiesen hat, dass der angebliche Trend zu autoritären Führungsfiguren wie Trump und Bolsonaro zu brechen ist. 

Jetzt habe die republikanische Partei überhaupt erst wieder eine Chance, „zu einem anderen Kurs“ zurückzufinden. Und Bidens Erfolge als Versöhner im Inland, so Laschet, werden auch relevant für Amerikas Verhältnis zum Ausland, zu Europa. Rückblickend bedauerte Laschet, dass es „nie kalkulierbar“ war, wie sich Donald Trump verhielt.

Unwägbar bleibt auch jetzt noch, wie sich der renitente amtierende Präsident geriert. Erst vor ein paar Tagen erfand der New Yorker Comedian Jimmy Kimmel für das Weiße Haus, aus dem Trumps Tweets herausschießen, das bittere Bonmot von „Twittler´s bunker“. 

Thrill durch Trump-Unterstützer 

Wieviel Nerven können die Blockaden, Scharaden und Tiraden noch kosten?  Das sollten vor allem die amerikanischen Geladenen, Lora Anne Viola, Al Sharpton und Peter Rough, erläutern. Besonderen Thrill für Talkrunden liefern seit einigen Monaten die Trump-Unterstützer, hier die Rolle des zugeschalten Peter Rough, Jahrgang 1983, Politikberater am Hudson Institute in Washington.

Warum, wollte Will von ihm wissen, herrscht unter Republikanern „dröhnendes Schweigen“ zu Trumps „Wahlanalyse“? Nun, Fragen, etwa zur Briefwahl, müssten „noch geklärt“ werden, hehauptete der österreich-amerikanische Republikaner. Die USA würden sich jedoch wohl „auf eine Biden-Harris Administration einstellen“, auch wenn Trumps aktuelle Weigerung, den Biden-Sieg anzuerkennen, „kindisch, bockig, launisch“ sei. 

Bezeichnend dürfte Roughs Einschätzung sein, die Republikaner entwickelten sich, ergänzend zum „bürgerlichen Spektrum“ zu einer „multiethnischen Arbeiterpartei“, gegen eine linke Strömung repräsentiert durch „Hollywood, Silicon Valley, die Universitäten, die Finanzwelt“, in einem Wort: Wider das Establishment, das Trump sich so lautstark als Feind beschwor. Diesen Faden nahm die Moderatorin nicht auf.

US-Polarisierung reicht weit zurück 

Lora Anne Viola, Professorin am John-F.-Kennedy-Institut für Nordamerikastudien an der Freien Universität Berlin, machte darauf aufmerksam, dass Amerikas Polarisierung bis in die 1970er Jahre zurückreicht. Im Lauf der Zeit habe es immer weniger Kooperation zwischen den beiden Parteien gegeben, immer weniger überparteiliche Perspektiven. 

Innerhalb der Demokratischen Partei gebe es eine Spaltung zwischen den traditionellen Transatlantikern und Internationalisten und den jüngeren Progressiven, die für mehr Zurückhaltung bei US-Interventionen eintreten und global vor allem ökologische Ziele ins Auge fassen. Welche Fraktion sich unter Biden durchsetzt sei noch nicht klar.

„In der Welt Donald Trumps nicht vorgesehen“

Klaus Brinkbäumer, ehemaliger Chefredakteur des „Spiegel“ und inzwischen Tagesspiegel-Kolumnist, hat soeben gemeinsam mit dem Dokumentarfilmer Stephan Lamby das Buch „Im Wahn. Die amerikanische Katastrophe“ herausgebracht und mit ihm eine ARD-Dokumentation dazu gedreht. Der langjährigen US-Korrespondent verwies auf Partei und Familie von Trump: Nur die eigenen Leute könnten ihm klarmachen, dass die Wahl verloren ist, ein Faktum, das „in der Welt Donald Trumps nicht vorgesehen ist“. 

Bidens Weg, sofort eine Covid-Kommission zu bilden, sei der richtige. In Amerika verständigten sich viele „kaum noch über die Wirklichkeit“. Dabei seien die realen Aufgaben enorm – kaputte Infrastruktur, Verschuldung, Bildungskrise, Rassismus. Hass verkaufe sich allerdings „blendend“, zu beobachten an Sendern von Fox-News bis CNN. Ob die Medien damit nun aufhören? Da hatte Brinkbäumer seine Zweifel.

USA-Expertin: Der Machttransfer ist sicher

Hedwig Richter ist Professorin für Neuere und Neueste Geschichte an der Universität der Bundeswehr München und Mitglied im Wissenschaftlichen Beirat des Berliner Thinktanks Progressives Zentrum. Die Expertin für Wahlrecht erläuterte die Verfahren in den kommenden Wochen und beruhigte in Hinsicht auf die Rechtmäßigkeit und Klarheit der kommenden Schritte. Der Machttransfer, davon geht auch sie aus, sei vollkommen sicher.

Passioniert argumentiert der Afroamerikaner Al Sharpton, Baptist, Pastor und Moderator des US-Senders MSNBC in einem kurz vor der Sendung aufgezeichneten Gespräch für den besseren Teil der Vereinigten Staaten, den weltoffenen, sozial orientierten, der ungeduldig auf das Ende einer rassistisch getönten Präsidentschaft wartet. 

Hoffnung der schwarzen Community

Warum, fragte Anne Will ihn, haben denn Tausende Afroamerikaner für Trump abgestimmt? Viele, erklärt Sharpton, hätten gehofft, dass Trump sie als Unternehmer unterstützen würde, acht von zehn schwarzen Männern hätten jedoch gegen Trump gestimmt, und neun von zehn schwarzen Frauen. 

Von Biden und Harris erwartet Sharpton, dass die Polizei besser überwacht und kontrolliert wird, und der systemische Rassismus auch im Gesundheitssystem schärfer in den Blick genommen wird. Systemischer Rassismus sei 400 Jahre alt in den USA, über Nacht werde er nicht verschwinden, erklärte Sharpton realistisch, doch nicht resigniert.

Dennoch - so wurde deutlich - wird die nun vergehende Präsidentschaft lange nachwirken. Auch wenn Trump nicht mehr regieren wird, die Beharrungskräfte, für die er stand, werden noch eine Weile bleiben. Das schien auch allen in dieser ersten Post-Trump-Runde bei Anne Will bewusst.  

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