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Chinas Regierung möchte zeigen, dass das Land die Corona-Pandemie erfolgreich bekämpft hat. Dazu werden den Medien entsprechende Vorgaben gemacht, berichtet Reporter ohne Grenzen.

© Liu Xiao/XinHua/dpa

Eingeschränkte Pressefreiheit in China: „Corona bündelt das Repressive und Diktatorische im Brennglas"

Christian Mihr von Reporter ohne Grenzen über die Einschränkungen der Pressefreiheit in China nach dem Corona-Ausbruch und kreative Wege, die Zensur zu umgehen.

Herr Mihr, China hat die Pressefreiheit nach Ausbruch der Corona-Krise weiter eingeschränkt, dabei sogar die Zensur über den Gesundheitsschutz gestellt, kritisiert die Journalistenorganisation „Reporter ohne Grenzen“. Wie sieht das konkret aus?

Man sieht in China gerade traurigerweise, wie die Corona-Pandemie das ohnehin Repressive und Diktatorische im Brennglas bündelt. In China gibt es faktisch ein staatliches Medienmonopol mit einer absoluten Zensur. Abweichende Meinungen werden im Land nicht geduldet.

Können Sie das an Beispielen festmachen?
Da sind zum einen journalistische Quellen wie jene Ärzte, die wesentliche Kritiker am Umgang Chinas mit dem Corona-Ausbruch waren, verschwunden, nachdem sie sich in der Öffentlichkeit kritisch mit den Zuständen in Krankenhäusern in Wuhan geäußert haben. Das betrifft auch einige Bürgerjournalisten und andere Journalisten, die über die Krankenhauszustände vor allem in Wuhan und der Region Hubei berichtet haben.

Wie es um die Pressefreiheit in China bestellt ist, sieht man auch daran, dass das Land auf der viertletzten Stellen beim Ranking der Pressefreiheit weltweit steht. Was hat sich durch den Corona-Ausbruch mit Blick auf die Arbeit von Journalisten noch verändert?
Wir sehen eine Verschärfung beim Instrument der Direktiven der Kommunistischen Partei Chinas. Bei den Direktiven handelt es sich um Vorgaben, wie Chinas Medien zu berichten haben. Auf den Webseiten, auf denen diese Vorgaben liegen, kann man dies – teilweise auch übersetzt – nachlesen. Dazu zählt das Narrativ, wie man in China die Pandemie erfolgreich bekämpft hat. Und dass man den Zahlen zu Corona mindestens eine gewisse Skepsis entgegen bringen kann, zeigt die jüngste Korrektur der Zahlen. Man sieht in China, wie der Kampf gegen die Corona-Pandemie missbraucht wird, um die üblichen diktatorischen Reflexe auszuleben.

[Alle aktuellen Entwicklungen in Folge der Coronavirus-Pandemie finden Sie hier in unserem Newsblog. Über die Entwicklungen speziell in Berlin halten wir Sie an dieser Stelle auf dem Laufenden.]

Unlängst wurde über einen chinesischen Videoblogger berichtet, der nach Veröffentlichung eines Handy-Videos über die Situation in China verschwunden ist. Gibt es ungefähre Zahlen, auf wie viele Blogger oder Journalisten das aktuell wegen ihrer Corona-Berichte zutrifft und wie viele im Gefängnis gelandet sind?
Und sind derzeit drei Fälle von Journalisten und Bürgerjournalisten plus mindestens zwei Fälle von Quellen bekannt, die in den vergangenen zwei Monaten verschwunden sind. Generell ist China das Land, das am meisten Journalisten inhaftiert. Oft verschwinden Journalisten wie andere politische Dissidenten zunächst, um dann später in Schauprozessen angeklagt und verurteilt zu werden.

Christian Mihr ist Journalist, Menschenrechtsaktivist und Experte für internationale Medienpolitik. Seit 2012 ist er Geschäftsführer von Reporter ohne Grenzen.

© ROG

Die Corona-Einschränkungen wurden in China zum Teil wieder gelockert. Kann auch wieder offener journalistisch berichtet werden?
China hat ja gerade erst mit den Öffnungen begonnen, darum muss man erst einmal abwarten. Zudem war ja China vor der Corona-Pandemie kein offenes Land im Sinne der Pressefreiheit. Insofern ist das so kurzfristig nicht zu beurteilen.

Aber interessant ist doch auch, dass es in China trotz aller Restriktionen immer wieder Ansätze von Bürgerjournalismus gibt.
Tatsächlich gibt es immer wieder Versuche, die Zensur zu umgehen. Ein Beispiel: Zunächst hatte eine Ärztin Informationen auf WeChat gepostet, die dann über das Internet geteilt wurden. Daraus entstand ein Interview in „China Daily“, das aber später zensiert wurde. Dann setzte die kreative Zensurumgehung ein, wie wir das oft beobachten. Auf WeChat und Weibo und auf verschiedenen Webseiten wurde das Interview weiterverbreitet und auch in verschiedene Sprachen übersetzt, sogar in Blindenschrift, als Emojis oder als Tonaufnahmen und hinter QR-Code versteckt. Mit diesem Katz-und-Maus-Spiel wird immer wieder versucht, die Zensur zu umgehen. Allerdings setzen sich diejenigen, die das machen, enormen Risiken aus.

In Europa sind Italien, Spanien und Frankreich besonders von Corona betroffen. Wird auch dort versucht, Einfluss auf die Presse zu nehmen?
Eine massive Verschärfung Richtung Zensur ist nicht festzustellen. In Spanien hat allerdings in den vergangenen Wochen in der Corona-Pandemie eine Unsitte eingesetzt, das Fragen von Journalisten bei öffentlichen Pressekonferenzen nur noch zugelassen werden, wenn sie zuvor angemeldet werden. Ähnliche Berichte gibt es auch aus Italien. Ein anderes Problem für die Pressefreiheit wird es geben, wenn die privaten Medien den Journalismus wegen der Einbrüche am Werbemarkt nicht mehr finanzieren können.

Das könnte auch auf Deutschland zutreffen. Sehen Sie hierzulande ansonsten Auswirkungen der Coronakrise auf die Situation der Pressefreiheit?
Jedenfalls nicht in dem Maße, dass es Zensur oder Angriffe auf die Pressefreiheit gibt. Es gab ganz vereinzelt Berichte, wonach auch bei uns Fragen zuvor angemeldet werden mussten. Aber dahinter steckte keine Systematik. Es gab einen Vorfall in Frankfurt, bei der die Berichterstattung eingeschränkt wurde. Die Polizei wurde in ihrer Berichterstattung von Demonstration behindert. Die Demonstration war wegen der Auflagen des Infektionsschutzes zwar illegal, aber es war der Auftrag der Journalistin. Und zu berichten ist der originäre Auftrag von Journalisten. Das stimmt zwar bedenklich, war jedoch ein Einzelfall.

Was nicht heißt, dass sonst keine Gefahren bestehen.
Was wir mit Sorge beobachten, ist die Diskussion über die Einführung einer Corona-Tracing-App. Eine solche App kann absolut sinnvoll sein. Wir haben dafür Mindestanforderungen für den Datenschutz definiert, und am Ende, was dafür auch für den Journalismus wichtig ist – weil Journalisten auch auf digitalen Quellenschutz angewiesen sind. Wir sind für eine solche App, wenn sie zu mehr gesellschaftlicher Freiheit führt. Aber nicht zu dem Preis, dass journalistische Quellen digital ausgespäht werden.

Das Gespräch führte Kurt Sagatz. 

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