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Szene aus der Netflix-Serie „Charlotte: A Bridgerton Story“

© Liam Daniel/IMAGO/Everett Collection

Netflix verbietet Account-Sharing: Gute Entscheidung! Warum die neue Regel sinnvoll ist

Wer Netflix bisher kostenlos mit einem fremden Account geschaut hat, muss nun zahlen, wenn er weiterstreamen will. Das geht gegen die Gratis-Gewohnheit und zeigt, dass Netflix erwachsen wird.

Ein Kommentar von Tobias Mayer

Jahrelang schaute mein Bruder auf meine Kosten Netflix, da ich ihm mein Passwort gegeben hatte. Netflix selbst förderte diesen Ausdruck brüderlicher Liebe und twitterte 2017: „Love is sharing a password.“ Doch nun ist Schluss damit. Mein Bruder muss sein Netflix selbst bezahlen – das will der Unterhaltungskonzern jetzt so.

Die neue Linie: Der Streamingdienst möchte verhindern, dass ein Netflix-Account mit Menschen geteilt wird, die nicht im selben Haushalt leben. Diese unbeliebte Neuerung hat Netflix zunächst in anderen Ländern getestet und nun auch in Deutschland implementiert.

Ich mache mir keine Sorgen um meinen Bruder. Ich bin sicher: Irgendwie wird er einen Weg finden, sich mit seinem Gehalt als Rechtsanwalt einen eigenen Netflix-Zugang zu leisten. Zumal der Einstieg in die vielseitige Netflix-Welt nicht teuer ist. Für 4,99 Euro monatlich sollen sich Personen außerhalb des eigenen Haushalts zum Account hinzufügen lassen.

Außerdem gibt es ohnehin einen günstigen Einstiegstarif. Er hat zwar Werbung und ein geringeres Angebot an Filmen und Serien, kostet aber auch nur 4,99 Euro pro Monat. Das ist weniger, als ein Döner vielerorts kostet. Und es ist auch deutlich weniger als 18,36 Euro – der Preis des monatlichen Rundfunkbeitrags.

Die Wut über das Ende einer beliebten Gewohnheit

Trotzdem war der Aufschrei im Internet groß, als erstmals bekannt wurde, wie rigoros Netflix gegen das gewohnte, sogenannte Passwort-Sharing vorgehen will. In den sozialen Netzwerken brach sich die Wut Bahn auf einen Konzern, dem ansonsten viel Liebe entgegengebracht wird, dank populärer Serien wie „Stranger Things“, „Bridgerton“ und „Wednesday“. Netflix schätzte, dass 100 Millionen Haushalte die App genutzt haben, ohne eigene Accounts zu besitzen. Viele Menschen, viel enttäuschte Liebe, viel Wut.

Mir tut die Neuerung leid für alle Netflix-Mitgucker, die – im Unterschied zu meinem Bruder – echte finanzielle Probleme haben und daher einen Zugang zu Unterhaltung und Kultur verlieren. Für alle anderen tut es mir nicht leid. Hinter einem Teil der Aufregung steckt nichts anderes als der Frust darüber, dass einem etwas weggenommen wurde, an das man eben gewöhnt war. Vielleicht sogar, ohne dafür gezahlt zu haben – weil man die Netflix-Kosten innerhalb der Familie zum Beispiel nicht umgelegt hat. 

Gewohnt an gratis

Die Wut hat damit zu tun, dass viele Menschen im Netz seit Jahrzehnten die Gewohnheit pflegen, kein oder möglichst wenig Geld auszugeben, wenn es um ihre Mediennutzung geht.

Apps müssen gratis sein, Zeitungsartikel keine Paywall haben und Videos müssen bitte kostenlos zu jedem Zeitpunkt von der Fernsehcouch oder – mit dem Smartphone in der Hand – dem Klo aus verfügbar sein.

Die Kampfpreise, mit denen Streaminganbieter wie Netflix, Disney+ oder WOW um Kund:innen werben, reflektieren die verbreiteten Gewohnheiten, im Netz wenig Geld für Medien auszugeben: Die Abo-Preise sind nämlich sehr niedrig

12,99 Euro kostet das Standard-Abo bei Netflix – für Tausende Serien und Filme. Konkurrent Disney+ verlangt nur 8,99 Euro. Dazu kommt: Die Abos sind monatlich kündbar. Das sind für Kund:innen sehr gute Angebote, selbst wenn sie bisher gar nichts für Netflix gezahlt haben.

Die Vorteile von Streaming

Längst sind die Zeiten vorbei, als man teure Pay-TV-Pakete kaufen musste, wenn man was anderes als Free-TV sehen wollte – und man sich dabei mit Jahresverträgen an ein Unternehmen kettete, nur um bald nach Buchung zu merken, dass einen das meiste aus dem Paket nicht wirklich interessiert. Dann musste man zum Kündigen einen Brief schreiben oder irgendwo anrufen, anstatt das Abo – wie heute üblich – mit wenigen Klicks los zu sein.

Seit der Erfindung des Fernsehgeräts war es noch nie so unverbindlich, günstig und bequem, etwas anderes zu schauen als das (oft langweilige) Free-TV-Angebot. Wie viel diese Leistung kosten sollte, darüber kann man unterschiedlicher Auffassung sein. Dass sie aber einen Preis hat, ist normal. Und: Die aktuellen Preise sind wahrscheinlich immer noch zu niedrig.

Streaming ist ein hartes Geschäft

Abzuwarten bleibt nämlich, wie sich die Preise in Zukunft entwickeln werden. Die meisten der Streamingdienste machen nach wie vor keine Gewinne. Das gilt auch für Disney, wo die Abo-Zahlen für den Streamingdienst Disney+ im vierten Quartal 2022 erstmals zurückgingen und konzernweit Tausende Menschen entlassen werden. 4,6 Milliarden US-Dollar verlor Disney 2022 im Streamingbereich.

Das Problem: Die Abo-Zahlen wachsen nicht mehr so wie früher

Filme und Serien mit vielen Spezialeffekten sind sehr teuer. Doch die Art, wie damit Geld verdient werden kann, hat sich gewandelt: Früher, vor dem Streaming-Zeitalter, basierten die Einnahmen der Produzenten auf den Säulen Kino, DVD und Fernsehen, aber ein exklusiver Streaming-Film existiert eben ausschließlich in der jeweiligen App. Heute kommt es also massiv auf die Abo-Einnahmen an.

Aber: In den 2010er Jahren glaubten die Streamer und ihre Investoren an der Wall Street an ein quasi endloses Abo-Wachstum – und diese Annahme hat sich inzwischen als falsch herausgestellt. Die Zeiten des großen Abo-Wachstums scheinen vorbei zu sein. Da bleiben nur zwei Möglichkeiten: Kosten sparen, so wie es alle großen Dienste derzeit tun, und Preise erhöhen.

Streaming ist ein hartes Geschäft. Es wäre keine Überraschung, wenn das Passwort-Sharing bald auch von der Netflix-Konkurrenz unterbunden wird. Ich sage meinem Bruder schon mal wegen Disney+ Bescheid.

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