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Aliki Buhayer-Mach treibt die Schafe in den Schweizer Alpen zusammen.

© AFP/Fabrice Coffrini

„Der Wolf kann uns sehen“: Wie Freiwillige Schafherden in den Schweizer Alpen beschützen

Hilfe für Opfer und Täter: Eine Schweizer Organisation möchte gewaltfrei gegen das Problem der wachsenden Zahl an Wölfen vorgehen. Das Engagement erfreut auch die Landwirte.

Von Nina Larson, AFP

Mit einer starken Taschenlampe leuchtet Aliki Buhayer-Mach zum benachbarten Berggipfel, um nach im Schatten lauernden Wölfen zu suchen. Könnte eines der Raubtiere die Stromzäune überwinden, die hoch in den Schweizer Alpen den Weideplatz ihrer Schafe eingrenzen, „gäbe es ein Blutbad“, sagt die 57-Jährige. Mit ihrer Nachtwache will Aliki aber nicht nur die Schafherde schützen – sondern auch deren potenziellen Angreifer.

Zusammen mit ihrem Ehemann François Mach-Buhayer, einem 60-jährigen Kardiologen, bewacht die Biologin in dieser Nacht rund 480 Schafe, die in den Bergen nahe der italienischen Grenze grasen. Das Ehepaar vertreibt ehrenamtlich Wölfe im Namen der Schweizer „Organisation pour la Protection des Alpages“ (Oppal). Damit sichern sie auch das Überleben des Raubtieres.

„Unser Ziel ist es, dass das Vieh bis zum Ende der Sommersaison noch am Leben ist, auch die Wölfe“, sagt Oppal-Direktor Jérémie Moulin, der den Verein vor drei Jahren mitgegründet hat. Oppal will zwischen den Interessen der Wildtiere und der Menschen vermitteln und damit eine gewaltfreie Lösung für das Problem der wachsenden Zahl von Wölfen finden.

Etwa 400 freiwillige Helfer nehmen in diesem Jahr an den Nachtwachen teil. Immer wieder verbringen sie ihre Nächte auf unterschiedlichen Bergweiden, um über Schafe und Kälber zu wachen. Die beiden Oppal-Veteranen Aliki und François absolvieren jeden Sommer zwei fünftägige Aufenthalte an verschiedenen Orten. „Es ist unser Urlaub“, sagt der Kardiologe.

Der Wolf kann uns sehen und weiß, wann er sein Glück versuchen muss.

Aliki Buhayer-Mach, MItglied von Oppal

Ihr derzeitiges Schutzgebiet erreicht das Genfer Ehepaar nach einer vierstündigen Fahrt und einer fast zweistündigen Wanderung über einen steilen, steinigen Pfad. Ausgerüstet sind sie mit Campingstühlen, einer Kaffeemaschine und Thermodecken gegen die eiskalten Nächte in 2200 Metern Höhe sowie mit einem kleinen Zelt. Dort können sie sich theoretisch ausruhen, während der andere Wache hält. Meistens allerdings bleibt es leer.

Abwechselnd suchen Aliki und François alle 15 Minuten den Horizont mit Wärmebild-Infrarotferngläsern ab. Sie suchen nach Hinweisen, dass sich Tiere auf ihre ruhende Schafherde zubewegen. „Man muss oft schauen, und man muss gut hinschauen“, sagt Aliki: „Denn der Wolf kann uns in der Dunkelheit sehen und weiß, wann er sein Glück versuchen muss. Und wenn er sich bewegt, bewegt er sich extrem schnell.“

Zwei Nächte zuvor haben sie und ihr Mann innerhalb weniger Stunden dreimal Wölfe verscheucht. „Dafür braucht es zwei Leute“, sagt François. „Einer behält den Wolf mit dem Fernglas im Auge, der andere rennt mit der Taschenlampe und einer Pfeife auf das Tier zu.“

Im vergangenen Jahr wurden 1480 Nutztiere gerissen

Nachdem Wölfe vor mehr als einem Jahrhundert ausgerottet waren, kehrten sie in den vergangenen Jahrzehnten wieder in die Schweiz und andere europäische Länder zurück. In der Schweiz wurde das erste Rudel 2012 gesichtet. Anfang des Jahres waren es schon rund 250 Wölfe.

Naturschutzgruppen begrüßen die Rückkehr des Raubtiers als Zeichen für ein gesünderes und vielfältigeres Ökosystem. Züchter und Hirten aber klagen über die zunehmenden Angriffe auf ihr Vieh: Allein im vergangenen Jahr wurden in der Eidgenossenschaft 1480 Nutztiere von Wölfen gerissen. Als Reaktion darauf genehmigten die Behörden im vergangenen Jahr die Tötung von 24 Wölfen. Dieses Jahr lockerten sie zudem die Regeln für die Jagd auf die geschützte Tierart.

Durch das grelle Licht sollen Wölfe gefunden und vertrieben werden.

© AFP/Fabrice Coffrini

Oppal-Mitbegründer Moulin sagt, er verstehe den Frust der Bauern. „Für sie bedeutet der Wolf eine zusätzliche Arbeitsbelastung“. Sein Verein will deshalb die Bauern entlasten. Nach Moulins Angaben gelingt es den freiwilligen Wächtern von Oppal im Schnitt jede 20. Nacht, Wölfe zu vertreiben. Im vergangenen Jahr sei dies 32 Mal geschehen.

Schäfer Mathis von Siebenthal weiß den Einsatz zu schätzen. „Das ist eine große Hilfe“, sagt er, nachdem er die Herde für die Nacht an Aliki und François übergeben hat. Ohne Oppal würde er jede Nacht bangen, sagt der 36-jährige Deutsche. „So kann ich ruhig schlafen gehen.“

Nach einer langen, kalten und ereignislosen Nachtwache unter Sternschnuppen können Aliki und François den Schäfer nur zu gut verstehen. (AFP)

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