zum Hauptinhalt
Kinder segeln mit kleinen Booten in Istanbuler Gewässern, wo sich Meeresschleim teppichartig ausgebreitet hat.

© Reuters/Ümit Bektaş

Schleim im Marmara-Meer: Warum der neue Kanal in Istanbul zur Öko-Katastrophe werden könnte

Türkische Behörden kämpfen gegen den „Meeresrotz“ vor Istanbul. Experten warnen angesichts eines Megabauprojekts vor unabsehbaren Folgen für die ganze Region.

Eine Schleimschicht überzieht das Marmara-Meer bei Istanbul, verschandelt die Strände, verstopft die Häfen und erstickt das Leben unter Wasser. Der „Meeresschleim“, eine Folge der zunehmenden Wasserverschmutzung, ist auch für Menschen gefährlich. Der Höhepunkt der Plage ist erst in den heißen Sommermonaten zu erwarten.

Diese Umweltprobleme seien noch nichts im Vergleich zu dem, was nach dem Bau eines geplanten Kanals zwischen Marmara-Meer und Schwarzem Meer auf Istanbul zukomme, warnen Wissenschaftler: Auf Jahrtausende werde das ökologische Gleichgewicht zerstört; Istanbul könnte unbewohnbar werden. Die Regierung in Ankara hält dennoch an dem Kanal-Projekt fest. Nächste Woche will Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan den Grundstein legen. 

[Wenn Sie alle aktuellen Nachrichten live auf Ihr Handy haben wollen, empfehlen wir Ihnen unsere App, die Sie hier für Apple- und Android-Geräte herunterladen können.]

Der Schleim entsteht durch starkes Wachstum von Algen und Kleinorganismen, das durch die Verschmutzung beschleunigt wird. Das Marmara-Meer, an dessen Ufern rund 25 Millionen Menschen leben, leidet schon lange unter Abwässern aus Privathaushalten und Industrie. Bereits vor Jahren wurde der „Meeresschleim“ gesichtet, doch noch nie hat er sich so ausgebreitet wie diesmal.

Empfohlener redaktioneller Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen von unseren Redakteuren ausgewählten, externen Inhalt, der den Artikel für Sie mit zusätzlichen Informationen anreichert. Sie können sich hier den externen Inhalt mit einem Klick anzeigen lassen oder wieder ausblenden.

Ich bin damit einverstanden, dass mir der externe Inhalt angezeigt wird. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr Informationen dazu erhalten Sie in den Datenschutz-Einstellungen. Diese finden Sie ganz unten auf unserer Seite im Footer, sodass Sie Ihre Einstellungen jederzeit verwalten oder widerrufen können.

Steigende Wassertemperaturen – durch den Klimawandel ist das Marmara-Meer laut Medienberichten 2,5 Grad wärmer als normal – und eine stetig wachsende Belastung durch Schadstoffe lassen das Meer zwischen dem Bosporus im Osten und der Ägäis im Westen umkippen. 

Wasser enthält Krankheitserreger, Ärzte warnen vor dem Baden

„Das Marmara-Meer ruft: ‚Ich sterbe'“, sagte der angesehene Meeresgeologe Naci Görür von der türkischen Akademie der Wissenschaften im Fernsehsender Fox. Erdoğan verspricht Abhilfe. An 77 Stellen werde der Schleim abgesaugt, sagte er. Das Umweltministerium veröffentlichte Bilder der Säuberungsaktion, die vollständig gereinigte Strände zeigten. Die Produktion in einer Düngemittelfabrik, die bisher ihr Abwasser ungeklärt ins Meer leitete, wurde vorerst gestoppt.

Ein Schleim aus Schadstoffen und Algen gefährdet das Leben im und am Marmara-Meer, das schon 2,5 Grad wärmer als normal ist.
Ein Schleim aus Schadstoffen und Algen gefährdet das Leben im und am Marmara-Meer, das schon 2,5 Grad wärmer als normal ist.

© Reuters/Ümit Bektaş

Doch selbst Erdoğan räumte ein, dass es einige Zeit dauern werde, bis der Schleim verschwunden sei. Auf Aufnahmen von Drohnen über dem Marmara-Meer sind große Schleim-Teppiche zu sehen, die auf dem Meer treiben. Experten warnen die Istanbuler davor, ins Wasser zu gehen: In dem Schleim seien Krankheitserreger festgestellt werden, darunter Koli-Bakterien aus Fäkalien, sagte der Arzt Cavit Işık Yavuz der Zeitung „BirGün“. Auch Cholera-Erreger wurden im Schleim gefunden. 

[Mehr aus der Hauptstadt. Mehr aus der Region. Mehr zu Politik und Gesellschaft. Und mehr Nützliches für Sie. Das gibt's nun mit Tagesspiegel Plus: Jetzt 30 Tage kostenlos testen.]

Das war absehbar, sagte der Umweltingenieur Cemal Saydam von der angesehenen Hacetepe-Universität in einem Fernsehgespräch mit dem Istanbuler Bürgermeister Ekrem İmamoğlu – und ebenso absehbar seien die Folgen, wenn der geplante „Kanal Istanbul“ gebaut werde. Der Kanal im Westen der türkischen Metropole soll nach den Plänen der Regierung im Fracht- und Tankerverkehr den Bosporus als Verbindung zwischen Marmara-Meer und Schwarzem Meer ablösen.

Empfohlener redaktioneller Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen von unseren Redakteuren ausgewählten, externen Inhalt, der den Artikel für Sie mit zusätzlichen Informationen anreichert. Sie können sich hier den externen Inhalt mit einem Klick anzeigen lassen oder wieder ausblenden.

Ich bin damit einverstanden, dass mir der externe Inhalt angezeigt wird. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr Informationen dazu erhalten Sie in den Datenschutz-Einstellungen. Diese finden Sie ganz unten auf unserer Seite im Footer, sodass Sie Ihre Einstellungen jederzeit verwalten oder widerrufen können.

Die zwölf Milliarden Euro teure Wasserstraße würde den europäischen Teil Istanbuls zu einer Insel machen. In sieben Jahren soll der Kanal fertig sein.

Experte fürchtet Sauerstoffknappheit im Marmarameer

Erdoğan verspricht sich von dem Mammutprojekt viele neue Arbeitsplätze, reiche Einnahmen aus den Durchfahrtgebühren und Impulse für die krisengeplagte türkische Wirtschaft. Entlang des Kanals will er zwei neue Städte errichten lassen. Am 26. Juni will Erdogan mit der Grundsteinlegung für eine der sechs geplanten Brücken über die Kanaltrasse den Startschuss geben. Kritiker werfen dem Präsidenten vor, die Zukunft einer ganzen Region zu gefährden. 

[Lesen Sie auch: Alternativen zu Immoscout24 und Co.: Wie Sie eine Wohnung finden, wenn die großen Portale nichts hergeben (T+)]

Kinder schwimmen im schleimbelasteten Marmarameer vor Darıca, einem Vorort Istanbuls.
Kinder schwimmen im schleimbelasteten Marmarameer vor Darıca, einem Vorort Istanbuls.

© AFP/Yasin Akgül

„Mit diesem Schleim im Marmarameer sind unsere Befürchtungen wahr geworden, und ich kann Ihnen für den Kanal keine Hoffnungen machen“, sagte der Experte Saydam im Gespräch mit İmamoğlu. „Wenn man jetzt auch noch den Kanal Istanbul baut, dann ist es vorbei mit Istanbul, dann werden wir einpacken und die Stadt aufgeben müssen.“ 

Der ohnehin knappe Sauerstoff im Marmarameer werde durch den vermehrten Zufluss aus dem sauerstoffarmen Schwarzen Meer aus dem Kanal noch weiter sinken, sagt Saydam voraus. „Und was geschieht dann, wenn der Sauerstoff sinkt? Dann werden uns das Marmarameer und die ganze Region verloren gehen, und zwar unwiederbringlich für ganze klimatische Epochen.“ 

Regierung hält an dem Bau des Kanals fest

Selbst wenn der Fehler dann erkannt werde, gebe es kein Zurück mehr: „Das ist eine Frage von Zeitaltern, mindestens 5000 oder 10.000 Jahren.“ Erdoğans Regierung will solchen Warnungen nicht glauben. Im Gegenteil, sagte der für den Kanal zuständige Verkehrsminister Adil Karaismailoğlu: Der Kanal müsse jetzt noch schneller gebaut werde, damit relativ sauberes Wasser aus dem Schwarzen Meer den Dreck im Marmara-Meer verdünnen könne. „Das wird diesen Meeresschleim verhindern.“ 

Also einfach durchspülen von der Donau bis in die Ägäis, um das Marmara-Meer zu reinigen? Falsch, sagt Meeresgeologe Görür: Das Schwarze Meer sei eines der dreckigsten Meere der Welt und müsse bereits die industriellen Abwässer aus ganz Osteuropa aufnehmen, sagte er. „Mit dem Wasser aus dem Schwarzen Meer wird das Marmara-Meer nicht gerettet, sondern noch weiter verdreckt.“

Zur Startseite