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Janina Rook, Magda Albrecht, Laura Méritt und Katrin Raum bei der „Lesbischen Auslese“.

© Polly-Fannlaf.art

Feministische Literaturkritik: Das lesbische Quartett in der Begine ist eine Berliner Institution

„Die lesbische Auslese“ gehört zu den langlebigsten lesbischen Veranstaltungen der Hauptstadt. Ein Blick zurück und nach vorn mit Sexpertin Laura Méritt, die von Beginn an dabei war.

Der Feierabendverkehr rauscht über die Potsdamer Straße. Mit Hilfe eines kleinen Lautsprechers berichtet eine Touristenführerin einem guten Dutzend junger Menschen vor dem Haus mit der Nummer 139 von dessen bewegter Geschichte, zu der auch die Besetzung durch eine Frauengruppe in den Achtzigern zählte. Laura Méritt, die locker ein paar Anekdoten beisteuern könnte, freut sich über die Exkursion, als sie sich auf die wenige Meter entfernte Terrasse des damals entstandenen Frauenkulturzentrums Begine setzt. Hier findet kommenden Mittwoch wieder die „Lesbische Auslese“ statt, bei der vierteljährlich feministische und lesbische Bücher besprochen werden.

Autorin und Sexshop-Betreiberin Méritt ist Teil der Stammbesetzung dieses lesbischen Quartetts, zu der außerdem die Autorin und Bildungsreferentin Magda Albrecht sowie die Supervisorin und Therapeutin Katrin Raum gehören. Die vierte Teilnehmerin wechselt von Ausgabe zu Ausgabe.

Besprochen werden ausschließlich Bücher von Frauen, die lesbische Hauptfiguren oder eine feministische Perspektive haben. „Es ist eine bunte Mischung“, erklärt Méritt, „eine Klassikerin ist jedes Mal dabei, ein Sachbuch, ein Roman und am besten noch was mit Sex“. Ein herzliches Lachen folgt auf den Satz – und gelacht wird auch auf der Bühne immer viel.

Was mit den unterschiedlichen Temperamenten und Generationen in der Stammrunde zu tun hat – von Millenial über Gen X bis hin zur Boomerin reicht das Spektrum. Dadurch ergeben sich häufig sehr unterschiedliche Blicke auf die Texte. Während etwa die 1986 geborene Magda Albrecht näher an den aktuellen Diskursen argumentiert, schlägt Laura Méritt, die in ihren Sechzigern ist, gern Bögen zur Frauenbewegung. Die rund zehn Jahre jüngere Katrin Raum bringt ihre psychologischen Kenntnisse ein.

Die Stammbesetzung des Lesbischen Quartetts besteht aus Magda Albrecht, Laura Méritt und Katrin Raum (von links).

© Polly Fannlaf.art

Zum Spaß bei der meist sehr gut besuchten Veranstaltung trägt auch bei, dass sich die Patinnen eine zu ihrem Buch passende Verkleidung ausdenken. So hat Laura Méritt schon mal einen abgefahrenen Auftritt als Patricia Highsmith hingelegt, bei dem sie mit schwarzer Perücke, Kippe und Schnapsflasche über eine Kurzgeschichtensammlung der legendären US-amerikanischen Autorin sprach. Was sie am kommenden Mittwoch tragen wird, wenn sie  „Die Sonne, so strahlend und Schwarz“ von Chantal-Fleur Sandjon vorstellt, weiß Méritt noch nicht. „Ich muss nochmal in meinen Kleiderschrank schauen. Aber irgendein Sonnengeflecht wird sich schon finden“, sagt sie lachend.

Laura Méritt war schon bei der ersten Ausgabe des lesbischen Quartetts im Jahr 1999 dabei. Damals initiierten die Betreiber des schwulen Buchladens Chronika am Kreuzberger Marheinekeplatz, der auch eine große Abteilung mit lesbischer Literatur hatte, die Talkrunde nach dem Vorbild der bekannten Fernsehsendung. Sie fand monatlich in der Passionskirche statt und war mit Manuela Kay, damals „Siegessäule“-Chefredakteurin, und Jim Baker vom Querverlag sowie einem Gast besetzt.

Die Veranstaltungen war äußerst beliebt, über hundert Leute kamen jeweils in die Kirche, erinnert sich Méritt. „Es war auch ein geiles Ambiente: Man saß da mit einem Jesus im Hintergrund und diskutierte über schwul-lesbische Bücher.“

Nach einem Jahr war Schluss, doch 2006 hatten die Verlegerinnen Ilona Bubek, Andrea Krug und die Buchhändlerin Christiane Hahn die Idee, das Quartett noch einmal aufleben zu lassen. Es kam zum Neustart unter dem Titel „Lesbische Auslese“ in der Begine, bei dem neben Méritt auch Katrin Raum schon dabei war. Die anderen Positionen wechselten einige Male, in der jetzigen Form mit Magda Albrecht existiert die Reihe seit 2017.

Antje Rávic Strubel protestierte aus dem Publikum

Mit einer Laufzeit von 17 Jahren gehört das Quartett zu den langlebigsten lesbischen Events in Berlin, es ist quasi selbst zu einer Klassikerin geworden. Nur in der Lockdown-Zeit legte die Runde eine Pause ein, eine digitale Alternative gab es nicht. Dafür lebe die Veranstaltung zu sehr vom Live-Charakter, sagt Laura Méritt. Die Reaktionen des rein weiblichen Publikums sind ein wichtiger Bestandteil der Abende.

Manchmal sind dann auch Autorinnen der besprochenen Bücher anwesend – und melden sich schon mal lautstark zu Wort. Die Potsdamer Schriftstellerin Antje Rávic Strubel war beispielsweise vor einigen Jahren nicht einverstanden mit einer auf der Bühne geäußerten Interpretation und begann mit dem Quartett zu diskutieren.

Solche Momente gehören dazu, genau wie die, in denen sich ein Buch durch den Kommentar einer Podiumsteilnehmerin plötzlich noch einmal ganz anders erschließt. So ist die „Lesbische Auslese“, bei der es stets einen gut sortierten Büchertisch gibt, nicht zuletzt eine Einladung zum Austausch, zum Wiederlesen und Neudenken.

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