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Milazzo an der Nordküsten Sizilien, Fährort zu den Äolischen Inseln

© Reinhart Bünger

Sizilien: Die Reifenflicker von Milazzo

Wunderschön ist die italienische Insel. Doch sie hat ganz eigene Sitten und Gebräuche. Und einige Fallen, in die der Tourist leicht tappen kann

Pfffffüüüüütttttt. Die Luft ist raus. „Tedeschi?“, fragt uns der sizilianische Automechaniker in Milazzo. Er grinst breit. Die Fußball-Weltmeisterschaft ist noch in frischer Erinnerung. Gerade hat er den spitzen Steinkeil, der in unserem Pneu steckte, brachial mit seiner Zange abgebrochen. „Ja, wir sind Deutsche.“ - „Deutschland kap-puud! Reifen kap-puud!“, freut er sich. 200 Euro soll ein Ersatz kosten. Wir gehen erst einmal zum Autovermieter. Ein kaputter Reifen? „Iss’ excluded“, sagt der Mann am Tresen. Wir rufen Gianni an, unseren Cousin in Barcellona. Nun platzt auch dem noch der Kragen: „Wie könnt ihr da nur hingehen? Jetzt seid ihr mit dem kaputten Reifen bei der Autovermietung im Computer registriert. Wie kann man nur so dumm sein? Warum ruft ihr mich nicht eher an?!“

Vielleicht war es doch keine so gute Idee, in Campogrande den kleinen Bungalow mitten im Olivenhain zu mieten. Mehr als bescheiden ausgestattet, doch durchaus malerisch gelegen, mit freiem Blick aufs Mittelmeer. Zitronen, Pfirsiche, Äpfel, Orangen – alles, was das Herz begehrt. „Prendete, prendete“, hatte unser Vermieter gesagt. „Ihr könnt euch ruhig ein paar nehmen.“ Für 150 Euro die Woche ist diese Unterkunft auch noch preiswert. Allerdings: umgeben von Schotterstraßen. Bei früheren Reisen in die Gegend hatten wir uns immer über die Schilder mit dem Wort „Gommistas“ an fast jeder Straßenecke gewundert. Diese „Gummimänner“ sind an dieser Küste so zahlreich vertreten wie Friseure und Bäcker in Berlin. Jetzt mussten also auch wir uns einen dieser Reifenflicker suchen.

Preisschilder in der Auslage fehlen – meistens

Auch anderweitig brauchen wir Unterstützung. Wir machen in diesem Land, das manchmal nur formell zu Italien zu gehören scheint, dem gelegentlich fremden Heimatland meiner Frau, irgendwie noch immer alles verkehrt. Bei unserem Schlachter hat die schmackhafte „Salsiccia“ – eine Bauernbratwurst mit Fenchel und feinen Gewürzen – bei jedem Einkauf einen anderen Preis. Mal mehr, mal weniger. Meist mehr. Preisschilder in der Auslage fehlen sowieso.

Tripi ist ein kleines Bergdorf an der Nordküste Siziliens. Tourismus gibt es hier nicht: Bis zum Strand sind es zwanzig Autominuten.
Tripi ist ein kleines Bergdorf an der Nordküste Siziliens. Tourismus gibt es hier nicht: Bis zum Strand sind es zwanzig Autominuten.

© Reinhart Bünger

Unsere italienischen Verwandten stammen aus Tripi, einem hübschen Bergdorf. Hier gibt es keinen Supermarkt, kein Hotel – doch vor wenigen Jahren haben sie im Ort mit EU-Mitteln ein antikes Gräberfeld freigelegt. Jahrzehntelang hatten sich die Bauern über die regelmäßig behauenen Steine gewundert, die nach und nach immer wieder an der Oberfläche ihrer Felder auftauchten. Jetzt wissen sie: In der Tiefe liegt hier irgendwo eine antike Stadt.

Bei Tripi wurde ein Friedhof aus griechischer Zeit ausgegraben

Die geborgenen Grabbeigaben – goldene Diademe oder Terracotta-Vasen – aus Abacena, wie die Ausgrabungsstätte heißt, stellen sie in Ermangelung eines Museums in der Schule von Tripi aus. Den Schlüssel für den eingezäunten Ausgrabungsort verwahrt Bürgermeister Carmelo Giuseppe Sottile, der sich hier Großes vorstellen kann: „Wenn wir Sizilianer unternehmerisch dächten, wären wir längst das Kalifornien Europas“. Erste Ansätze sind schemenhaft zu erkennen: Die Kommune Tripis hält sehr einfache Ferienwohnungen bereit, die von den Angestellten vermietet werden. Noch lieber bieten sie natürlich ihre eigenen Wohnungen an.

Rund zwanzig Autominuten sind es von hier aus bis zum Meer, genauer gesagt bis zum Strand von Portorosa, dem eingezäunten Jachthafen an der Küste, bewacht von einem bewaffneten Patrouillendienst. Hier wird ein Hilton-Hotel mit 263 Betten hochgezogen. Seit einigen Jahren schon. Dass die Bettenburg eines Tages fertig ist, daran zweifelt hier keiner.

Auf dem Golf von Patti kreuzen Fischerboote und Hobbysegler

Die Szenerie ist beschaulich. Auf dem türkisblauen Golf von Patti kreuzen Hobbysegler und Fischerboote, im Westen tauchen die Äolischen beziehungsweise Liparischen Inseln auf. Am Strand bei Portorosa steht ein schlanker Mann: Gaetano Mendoria, gelebte 76 Jahre alt, gefühltes Aussehen: 56. Sein Beruf: Fischer. Mendoria stammt aus Tonnarella, einem Ortsteil der Gemeinde Furnari. Er fingert immer wieder an seiner Brusttasche herum, in der eine lange Nadel mit einem dicken Faden steckt. Ein Leben lang hat ihn diese Nadel schon begleitet. Und noch immer flickt er Netze damit, wenn sie ihn holen, weil sich irgendwo auf See wieder Netze verheddert haben. „Morgen wird es einen Schirokko geben“, sagt er zum Abschied nach einem Blick in den Himmel. Seine Zeichnung von der Thunfischfabrik am Felsen von Tindari bleibt im Sand zurück.

Ältere Sizilianer sind oft die Hilfsbereitschaft in Person, das war uns schon aufgefallen, als uns ein alter Fiat-Händler auf der Straße kurz vor Furnari geholfen hatte, unser Reserverad zu montieren. „Meister, was bekommen Sie?“ – „Signora, Signore, ich bitte Sie! Wo denken Sie hin? Für wen halten Sie mich?“

Die Standorte der besten Brunnen werden gehütet wie ein Geheimnis

Am nächsten Tag wurde es bitterkalt. Gaetona Mendoria hatte sich geirrt. Kein Schirokko, nicht mal ein warmer Hauch war zu verspüren an dieser Küstenzone jenseits der Meerenge von Messina. Begrenzt wird sie durch die Ausläufer des waldreichen und sanften nebrodischen Bergzuges und die des peloritanischen Gebirges. Die Küste gehört wegen ihrer Schönheit und der Klarheit des Wassers wohl zu den schönsten Siziliens. Die Einheimischen quälen ihre Vespas, Topolinos und Pandas kilometerweit auf die Anhöhen, um für das Mittagessen einen oder auch zwei Fünf-Liter-Kanister mit frischem Quellwasser zu füllen und heimzubringen. Die besten Stellen werden gehütet wie ein Geheimnis.

Auf auf Sizilien werden die Sommer immer heißer. Im August 2021 wurde hier – in der Provinz Siracusa – mit 48,8 Grad Celsius ein europäischer Hitzerekord gemessen. Vorne rechts liegt der Ferienort Cefalu mit dem Burgberg Rocca.
Auf auf Sizilien werden die Sommer immer heißer. Im August 2021 wurde hier – in der Provinz Siracusa – mit 48,8 Grad Celsius ein europäischer Hitzerekord gemessen. Vorne rechts liegt der Ferienort Cefalu mit dem Burgberg Rocca.

© Reinhart Bünger

Auf der einen Seite des Golfs von Patti liegt Milazzo, eine Hafenstadt mit einem Kap, mit Hotels, Restaurants, einem Kastell, einem Campingplatz, einer Fußgängerzone, knatternden Vespas an der Uferpromenade und viel Betrieb an den Kais hier fahren die Fähren zu den Äolischen Inseln ab. Vor zwei Jahren waren wir in diesem Hafen vom Eiland Vulcano kommend wieder eingelaufen – nach faulen Eiern stinkend wie die Fürsten der Finsternis persönlich. Es hatte etlicher Vollbäder bedurft, um die Ausdünstungen auszuwaschen, die sich während eines ausgiebigen Bades in den Schwefelbädern dieser drittgrößten Äolischen Insel in unseren Poren festgesetzt hatten. Die Äolischen Inseln, sind – so viel Volkshochschule sei an dieser Stelle erlaubt - der mythologische Sitz des Windgottes Äolus, der den Vulkan Strombolis derzeit rauchen lässt und feinen weißen Bimsstein an die Strände des Golfs von Patti schwemmt. In den sechziger Jahren war er in jeder Küche zu finden, heute weiß kaum noch jemand damit etwas anzufangen.

In schweren Notlagen hilft nur noch die schwarze Madonna von Tindari

Auf der anderen Seite der Bucht liegt der Wallfahrtsort Tindari, dessen schwarze Madonna unser Paradies beschützt. Wie auf einer Felsnadel thront die Kirche hoch oben. Schon die Griechen und die Römer haben offenbar die schöne Aussicht von hier genossen: Direkt neben der Wallfahrtskirche liegt das antike Tyndaris. Die massiven Anlagen haben die Zeit gut überstanden. Noch immer kann man dort mächtige Mauern und eine römische Basilika bewundern. Im Sommer gibt es in einem Amphitheater Vorstellungen und Konzerte.

Nicht mehr als ein Klischee: Die traditionellen Eselskarren Siziliens (Carrettu sicilianu, sizilianisch für „sizilianischer Karren“, italienisch Carretto siciliano) sind heute allenfalls noch im Museum zu sehen – oder an einigen wenigen touristischen Hotspots der Insel.
Nicht mehr als ein Klischee: Die traditionellen Eselskarren Siziliens (Carrettu sicilianu, sizilianisch für „sizilianischer Karren“, italienisch Carretto siciliano) sind heute allenfalls noch im Museum zu sehen – oder an einigen wenigen touristischen Hotspots der Insel.

© Reinhart Bünger

Die schwarze Madonna ist hier mehr als eine Heilige, sie ist Helferin in allen Lebenslagen. Denn wem Siziliens Ärzte suspekt sind und wer es sich nicht leisten kann, bei den angeblich besseren Ärzten in Norditalien sein Heil zu suchen, dem bleibt wenig anderes übrig, als die schwarze Madonna anzubeten. Ihr zu Füßen liegt die weiße Lagune von Oliveri – eine Landzunge, die sich einen Kilometer weit ins Meer zieht.

Drei Autowerkstätten sind sich einig: Das wird teuer

Die Abgabe des Wagens rückt näher mit dem Ende des Urlaubs. Mit besagtem Reserverad und dem immer noch kaputten Reifen im Kofferraum konnten wir nicht beim Vermieter am Flughafen in Catania vorfahren. Wir erinnerten uns der Reifenflicker von Milazzo. Gleich drei Garagen nebeneinander waren uns von der Fahrt zum Hafen im Gedächtnis geblieben. Aus taktischen Gründen rollte meine Frau den Reifen in die „Gommista-Zone“ – allein, hilflos, technisch unbegabt, körperlich überfordert. Die drei Reifenflicker ließen sich trotz des Tricks nicht erweichen und waren sich einig: Der Reifen sei nicht mehr zu retten, mit einem Preis von 200 Euro sei sicher zu rechnen.

Verhandlungsgeschick ist immer relativ

Ein letzter Versuch: Auf der Landstraße in Richtung Messina türmt sich kurz nach der Autobahnabfahrt Falcone das Reifengebirge eines weiteren „Gommista“ auf. Der junge Mann, der uns mit einem offenen Lächeln begegnet, studiert in Spanien. Ein kaputter Reifen, Stein im Schlauch abgebrochen? „Kein Problem, ist ja nur ein Mietwagen – kommt in einer Stunde wieder. Macht 15 Euro.“ Erleichtert packten wir unsere Sachen und riefen unseren Cousin Gianni an, um von unserem Verhandlungsgeschick zu berichten. Er ist nicht sehr begeistert. Er seufzt und sagt: „Ihr lernt es nie - der ist fünf Euro zu teuer.“

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