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Markus Beckedahl ist von der Netzpolitik der Bundesregierung ernüchtert.

© pa/dpa/Annette Riedl

re:publica-Gründer Markus Beckedahl: „Elon Musk ging es immer nur um seine eigene Meinungsfreiheit“

Am Montag startet die Digitalkonferenz re:publica. Hier verrät ihr Mitgründer, welche Netzthemen ihn bewegen – und warum Jeremy Fragrance in Berlin keine Chance hätte.

Kommende Woche findet in Berlin Europas wichtigste Digitalkonferenz statt. Markus Beckedahl weiß, worüber und mit wem dort drei Tage lang diskutiert wird.

Herr Beckedahl, mehr als 1000 SprecherInnen werden auf den Bühnen der re:publica Vorträge halten oder debattieren. Wie viele davon können Sie sich erfahrungsgemäß selbst anschauen?
Höchstens vier. Mehr schaffe ich als Programmmacher in dem Trubel nicht. Dafür bin ich in den Wochen danach immer damit beschäftigt, mir sehr, sehr viele Videos anzuschauen. Beim Arbeiten, Reisen und auch beim Spülen.

Das diesjährige Motto lautet „Cash“. 
Wir beschäftigen uns mit der Frage, wer die Macht im Netz hat und wie gemeinwohlorientierte Infrastrukturen finanziert werden können. Es geht um Gerechtigkeitsfragen, wie digitales Bezahlen funktioniert, aber auch besser werden könnte, es geht um Betrügereien, Steueroasen und Verschwörungstheorien… Geld ist ja überall drin. Unsere zentrale Frage bleibt natürlich: In welcher digitalen Welt möchten wir leben?

Seit ChatGPT spricht gefühlt die ganze Welt über Künstliche Intelligenz. Wie erleben Sie das?    
Weil jetzt alle damit rumspielen und schauen, was mit solchen Werkzeugen möglich ist, gibt es endlich eine Debatte, die jahrelang fehlte. Denn im Hintergrund werden automatische Entscheidungssysteme schon lange eingesetzt, haben bereits massive Auswirkungen auf unsere Gesellschaft. Also: besser spät als nie. Die EU hat vor Jahren erkannt, dass Regulierungsbedarf besteht, ein entsprechendes Gesetz steht in den Endverhandlungen.

Die Software, die eine überfällige Debatte auslöste.
Die Software, die eine überfällige Debatte auslöste.

© REUTERS/Dado Ruvic

Welche braucht es?
Erstens brauchen wir Nachvollziehbarkeit. Es muss immer klar sein, ob eine KI entscheidet oder ein Mensch – und auf welcher Datenbasis eine KI dies tut. Zweitens muss jemand die Haftung übernehmen, falls durch Entscheidungen einer KI etwas schief läuft. Und natürlich muss die KI diskriminierungsfrei arbeiten. Die spannende Frage bleibt: Wie funktioniert die demokratische Kontrolle?

Nutzen Sie selbst ChatGPT?
„Schreib mir einen Text im Stil von William Shakespeare.“ Großartig. Wie eigentlich jede neue Technologie möchte ich auch diese umarmen und gucken, wie sie sich in mein Leben integrieren lässt. Gleichzeitig blicke ich auf die Gefahren, auf die wir uns vorbereiten müssen.

Auf der letzten re:publica kursierte das Gerücht, Elon Musk könnte Twitter kaufen. Sie warnten damals vor seinen Motiven. Sehen Sie sich bestätigt?
Einer der reichsten Menschen der Welt hat eine der mächtigsten Kommunikationsplattformen der Welt gekauft und entscheidet seitdem ständig neu und praktisch über Nacht, welche Regeln gerade für wen gelten – und treibt gleichzeitig eine Diskursverschiebung nach Rechtsaußen voran. Es ging Elon Musk immer nur um seine eigene Meinungsfreiheit, nicht die von anderen.

Die Netzpolitik der Merkel-Ära fassten Sie voriges Jahr mit den Worten „Wir hatten 16 Jahre Pech“ zusammen und fragten sich, ob nun wohl eine Glückssträhne anbreche. Und?
Die Bundesregierung ist mit einem ambitionierten Koalitionsvertrag gestartet, doch ein Jahr später bin ich total ernüchtert. Von den ganzen Versprechungen wurde bisher nichts eingelöst. Wir haben immer noch keinen flächendeckenden Breitbandausbau, auch kein E-Government. Die Regierung hat keine einzige der vielen Überwachungsmaßnahmen der letzten 20 Jahre zurückgenommen. Stattdessen droht uns zusätzliche Überwachung, etwa durch die Chatkontrolle oder die erneute Wiedereinführung der Vorratsdatenspeicherung.

2017 versprach der damalige Kanzleramtsminister Peter Altmaier, Deutschlands Verwaltung werde bis 2021 komplett digital laufen…
Und ich versuche seit Wochen in Berlin, einen neuen Personalausweis zu beantragen. Ich denke, wir beide werden die Digitalisierung der Verwaltung noch erleben. Nur werden wir uns dann fragen, warum es andere Staaten eine Generation vor uns geschafft haben.

Haben Sie einen Tipp für jemanden, der zum ersten Mal die re:publica besucht?
Sich zu Hause auf das Programm vorbereiten, dann aber vor Ort auch mal treiben und überraschen lassen. Das erweitert den eigenen Horizont.

Auf wen freuen Sie sich besonders?
Zum Beispiel auf Meredith Whittaker, die Präsidentin von Signal, also dem datenschutzfreundlichen Open-Source-Messenger, den sich sowieso jeder als WhatsApp-Alternative auf seinem Smartphone installieren sollte. Früher war sie bei Google, hat dann aber gekündigt, aus Protest gegen die KI-Strategien der Großkonzerne.
Und auf Surjo Soekadar, einen Charité-Neurowissenschaftler. Der spricht darüber, was es bedeutet, wenn man Menschen mit körperlichen Beeinträchtigungen Chips ins Gehirn einpflanzt, sodass sie zum ersten Mal ihre Hände bewegen können. Das ist spannend und wirft gesellschaftliche Fragen auf, die auf uns zukommen: Wie wird der freie Wille des Menschen garantiert? Sind diese Chips manipulierbar? Darf der Staat sie überwachen?

Herr Beckedahl, auf der Hamburger Digitalkonferenz OMR kam es neulich zum Eklat, als der Parfum-Influencer Jeremy Fragrance auf der Bühne prahlte, er könnte „pro Tag fünf Mädels bumsen“. Wäre so etwas auf der Re:publica möglich?
Einerseits gibt es Personen, denen wir grundsätzlich keine Bühne bieten. Das hilft schon mal enorm. Andererseits haben wir zum Glück sehr engagierte ModeratorInnen, die bei menschenverachtenden Äußerungen einschreiten würden. Bei so einem Spruch würde sicher das Mikro abgedreht, aber ganz schnell.

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