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Die Angeklagte Beate Zschäpe mit einem ihrer Anwälte.

© Bearbeitung: Tagesspiegel | Foto: imago/bilddirekt

Zehn Jahre nach Prozessbeginn: Hat die Justiz die Taten des NSU aufgeklärt?

Fünf Angeklagte mit elf Verteidigern, die Bundesanwaltschaft, Nebenkläger, hunderte Zeugen und ein Urteil – doch bis heute sind viele Fragen noch offen.

Von Frank Jansen

Es war das gefährlichste rechtsextreme Terrornetzwerk seit 1945: der „Nationalsozialistische Untergrund“ (NSU). Vor zehn Jahren startete der Prozess, 2018 gab es ein Urteil. Doch viele Aspekte sind ungeklärt.

1 Der Beginn

Schon seit der Nacht drängten sich am 6. Mai 2013 vor dem Münchener Oberlandesgericht Medienleute mit Zuschauern, darunter Neonazis, um im NSU-Prozess dabei zu sein. Der Auftakt der Hauptverhandlung im größten Verfahren zu rechtem Terror seit der Wiedervereinigung war turbulent.

Im Saal A101, einem bunkerartigen Raum, quetschten sich die acht Richter des 6. Strafsenats, die fünf Angeklagten mit elf Verteidigern, die Vertreter der Bundesanwaltschaft, Nebenkläger mit etwa 80 Anwälten sowie auf den Tribünen rund 100 Journalisten und Zuschauer.

Die Hauptangeklagte Beate Zschäpe drehte als Akt stummer Provokation den Fotografen den Rücken zu. Sie wollte offenbar nicht das Gesicht sein zu den Taten der Terrorzelle NSU.

In der Anklage ging es um zehn Morde, zwei Sprengstoffanschläge, 15 Raubüberfälle und den Brand, den Zschäpe im November 2011 in einem Zwickauer Mietshaus entfacht hatte.

Dort hatte sie mit den Komplizen Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos unter falschen Namen gelebt. Vor dem Feuer hatten sich die Männer in Eisenach erschossen, als ihnen die Polizei nach einem Banküberfall auf die Spur kam. Nach fast 14 Jahren Terror.

Ein bunkerartiger Raum: Saal 101 am Oberlandesgericht in München.
Ein bunkerartiger Raum: Saal 101 am Oberlandesgericht in München.

© dpa/Marc Müller

Der erste Prozesstag endete allerdings abrupt. Nachdem Zschäpes Anwälte einen Befangenheitsantrag gegen den Vorsitzenden Richter Manfred Götzl gestellt hatten, unterbrach der die Verhandlung für eine Woche.

2 Das Urteil

Der Terror des NSU offenbarte eklatante Schwächen der Sicherheitsbehörden. Nachdem Zschäpe, Böhnhardt und Mundlos im Januar 1998 aus Jena verschwunden waren, gelang es Polizei, Verfassungsschutz und Justiz nicht, die drei ausfindig zu machen.

Oder zumindest die von 2000 bis 2006 verübten Mordanschläge gegen Menschen mit türkischen und griechischen Wurzeln als rassistische Taten zu begreifen, auch wenn der NSU sich nicht öffentlich zu den Angriffen bekannte. Überlebende Opfer des Terrors erwarteten auch dazu weitreichende Aufklärung im Prozess.

Doch Richter Götzl wollte kein Tribunal zum Versagen von Behörden. Das war eher die Aufgabe der NSU-Untersuchungsausschüsse von Bundestag und Landtagen. Die Richter konzentrierten sich auf das Kerngeschäft der Strafjustiz: Schuld oder Unschuld der Angeklagten zu beweisen und zu bewerten.

Nach mehr als fünf Jahren Prozess, in denen hunderte Zeugen befragt wurden, war es am 11. Juli 2018, dem 438. Verhandlungstag, soweit. Die Richter verurteilten Zschäpe zu lebenslanger Haft und bescheinigten ihr eine besondere Schwere der Schuld. Damit ist eine Entlassung aus der Haft nach 15 Jahren ausgeschlossen.

Die vier Mitangeklagten erhielten als Helfershelfer des NSU Strafen zwischen zweieinhalb und zehn Jahren. Heute sitzen außer Zschäpe noch der frühere Neonazi-Anführer Ralf Wohlleben und Holger G. in Haft.

3 Ermittlungen ohne Ende

Mit dem Urteil des OLG München war die juristische Bewältigung des NSU-Terrors keineswegs beendet. Alle Angeklagten legten Revision ein, außerdem war die Bundesanwaltschaft mit der Strafe für den NSU-Unterstützer André E. – nur zweieinhalb Jahre Haft – nicht einverstanden.

Das Ende in Eisenach. In dem Wohnmobil wurden 2011 die Leichen von Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos entdeckt.
Das Ende in Eisenach. In dem Wohnmobil wurden 2011 die Leichen von Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos entdeckt.

© dpa/Carolin Lemuth

Der Bundesgerichtshof bestätigte jedoch das Urteil. Zschäpe beschwerte sich beim Bundesverfassungsgericht, auch ohne Erfolg. Die Bundesanwaltschaft ermittelt zudem noch gegen drei Personen aus dem Umfeld des NSU wegen des Verdachts der Unterstützung.

Anhängig ist auch ein „Strukturverfahren“, das lange dauern kann. Hier sucht die Bundesanwaltschaft nach Hinweisen auf bislang unbekannte Unterstützer des NSU. Es geht vor allem um die Morde an neun Menschen mit Migrationshintergrund und einer Polizistin. Da ist kaum vorstellbar, dass die Terrorzelle ohne örtliche Helfer die Opfer ausgesucht hat. Der NSU-Untersuchungsausschuss des bayerischen Landtags will dazu im Mai Zschäpe in der JVA Chemnitz befragen.

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Außerdem beging der NSU womöglich weitere Verbrechen. Vielleicht auch in Berlin. Der jüdische Friedhof in Charlottenburg wurde 1998 und 2002 von drei Sprengstoffanschlägen getroffen. Wer sie verübt hat, ist immer noch unklar. Zschäpe gab im Prozess zu, sie sei „etwa im Sommer 2000“ mit Böhnhardt und Mundlos in Berlin gewesen.

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