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Der Reformpolitiker Mir-Hossein Mussawi meldet sich aus dem Hausarrest zu Wort (Archivbild).

© imago/UPI Photi

Demonstrationen in Iran: Reformpolitiker fordert Referendum über Verfassung

Ex-Ministerpräsident Mussawi hält bestehendes System für unhaltbar. 2009 hatte der Reformer noch vor einer Machtprobe mit dem Obersten Religionsführer zurückgeschreckt.

Einer der prominentesten Reformpolitiker im Iran hat eine Volksabstimmung über die Zukunft der Islamischen Republik gefordert. Das System mit Revolutionsführer Ali Khamenei als absolutem Herrscher an der Spitze des Staates funktioniere nicht mehr, erklärte Mir-Hossein Mussawi.

Mit seinem Vorstoß wolle er „den Iran retten“, fügte der frühere Ministerpräsident und Präsidentschaftskandidat hinzu. Unter Khameneis Regierung hat Mussawis Appell keine Chance auf Verwirklichung, doch er zeigt das Ausmaß der Unzufriedenheit mit dem Regime fast fünf Monate nach Beginn landesweiter Proteste gegen die Regierung. Nach einer Umfrage wollen vier von fünf Iranern das theokratische System abschaffen.

Khamenei lehnt Kompromisse mit der Protestbewegung ab, die seit September ein Ende des Kopftuchzwangs für Frauen und das Ende der Theokratie fordern. Mehr als 500 Menschen sind bei Zusammenstößen von Demonstranten und Sicherheitskräften getötet worden, zehntausende sind in Haft, vier Menschen sind hingerichtet worden.

Amnestie zum Jahrestag der Revolution

Aus Anlass des Jahrestages der islamischen Revolution vom Februar 1979 ließ Khamenei jetzt zwar eine Amnestie für zehntausende Häftlinge verkünden, doch sind viele inhaftierte Demonstranten von dem Straferlass ausgeschlossen.

Mussawi forderte ein „freies“ Referendum und – sollten sich die Bürger für ein Ende der Islamischen Republik entscheiden – die Bildung eines Verfassungsrats, der ein neues Grundgesetz für das Land ausarbeiten soll. Er bezog sich ausdrücklich auf den Slogan der Protestbewegung, „Frauen, Leben, Freiheit“.

Der heute 80-jährige Mussawi trat 2009 als Reformkandidat bei der damaligen Präsidentschaftswahl an, unterlag aber wegen Wahlmanipulationen seinem Gegner Mahmud Ahmadinedschad. Millionen Iraner protestierten damals gegen die Wahlfälschungen.

Die Proteste blieben erfolglos, und Mussawi sitzt seit zwölf Jahren in Hausarrest. Er ist immer noch einer der der bekanntesten Verfechter eines Reformkurses, in Teilen der iranischen Opposition jedoch umstritten, weil er auf der Höhe der damaligen Proteste vor einer Kraftprobe mit Khamenei zurückschreckte.

Es fehlt eine klare Absage an die Islamische Republik

Ali Fathollah-Nejad, Iranexperte

Der Berliner Iran-Experte Ali Fathollah-Nejad reagierte zurückhaltend auf Mussawis Appell, der sich „reichlich spät“ zu Wort gemeldet habe. Auch fehle der Stellungnahme eine „klare Absage an die Islamische Republik“, sagte Fathollah-Nejad dem Tagesspiegel. Mussawi habe 2009 eine historische Chance für einen Wandel im Iran verpasst, als er damals Millionen Demonstranten im Iran nach Hause geschickt habe.

Archivbild von Oppositionsführer Mir-Hossein Moussavi 2009, als er nach den Wahlmanipulationen seines Rivalen Mahmoud Ahmadinejad die Protestler nach Hause schickte.

© EPA SABER/ WWW.FLICKR.COM/dpa

Der 83-jährige Khamenei hat über die Jahre die politische Beteiligung der Bürger immer weiter eingeschränkt, um so das Überleben der Islamischen Republik über seinen Tod hinaus zu sichern. Das Regime weiß nach Einschätzung von Experten aus Umfragen, wie unbeliebt es bei den Bürgern ist.

Eine neue Befragung des angesehenen Instituts Gamaan bestätigt dies. Das Institut befragte im Dezember fast 160.000 Iraner im Iran und weitere 40.000 im Exil; Gamaan erklärte, die Online-Befragung könne nicht als uneingeschränkt repräsentativ gelten, gebe aber die Ansichten eines beträchtlichen Teils der Iraner wieder.

Demnach lehnen 81 Prozent der Iraner im Iran die Islamische Republik ab; 80 Prozent unterstützen die Proteste, zwei von drei Iranern glauben an einen Sieg der Protestbewegung. Eine Mehrheit der Bürger im Iran plädiert laut Gamaan für die Bildung einer Übergangsregierung.

Bisher gibt es allenfalls Ansätze für die Arbeit an einer neuen Verfassung. Oppositionspolitiker, Aktivisten und Künstler in Teheran hatten im Herbst einen Zehn-Punkte-Plan für einen Übergang zur Demokratie verfasst. Eine Einigung von Regimegegnern auf ein politisches Programm gibt es jedoch nicht.

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