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Zwei Tanker, die auf hoher See Öl austauschen

© INVESTIGATE EUROPE

Handel mit russischem Öl auf hoher See: Wenn EU-Sanktionen die Umwelt bedrohen

Der Handel mit russischem Erdöl geht weiter – gesteuert auch von westlichen Rohstoffhändlern. Dass er zunehmend im Verborgenen stattfindet, schafft gigantische Umweltrisiken.

Von
  • Chris Matthews
  • Priscilla Imboden
  • Nikolas Leontopoulos
  • Nico Schmidt

Anfang Juni nähert sich der Tanker Dale im Lakonischen Golf vor der Küste der griechischen Halbinsel Peloponnes einem zweiten Tanker an, der Gem No. 3. Die Riesenschiffe – beide sind rund 200 Meter lang – trennen sich erst einen knappen Tag später wieder, nachdem die Dale den Großteil ihres Öls in den Bauch der Gem No. 3 gepumpt hat.

Alles deutet darauf hin, dass die Schweizer Rohstoffhändlerin Trafigura dieses Umlademanöver organisierte. Trafigura verwaltete nach Informationen von Investigate Europe sowie des griechischen Rechercheteams Reporters United zum damaligen Zeitpunkt die Dale. Diese Recherche zu westlichen Rohstoffhändlern stützt sich auf Datenbanken wie Equasis, Kpler und Marine Traffic sowie auf Quellen aus der Schifffahrtsbranche.

Der Ladungstausch auf offener See ist brisant: Wahrscheinlich sind russische Ölprodukte transferiert worden. Die Dale war zuvor Ende Mai im russischen Schwarzmeerhafen Noworossijsk mit Rohbenzin beladen worden. Dort wird zwar auch kasachisches Öl umgeschlagen.

Doch die Dale hatte in einem Terminal gedockt, in dem laut der Brüsseler Denkfabrik Bruegel russisches Öl geladen wird. Trafigura selbst will den Sachverhalt nicht kommentieren. „Wir äußern uns nie zu kommerziellen Transaktionen“, teilte der Konzern auf Nachfrage mit.

Manöver wie jenes Anfang Juni kann der griechische Umweltaktivist Giorgos Daoutakos während seiner Strandspaziergänge an der Peloponnes-Küste inzwischen fast täglich beobachten. Dort legt etwa die vom Aussterben bedrohte Karettschildkröte ihre Eier. „Wenn es da draußen zu einem Unfall kommt, sind wir ökologisch und finanziell ruiniert“, sagt Daoutakos. „Das wird unumkehrbar sein.“

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Trafigura kauft laut eigenen Angaben seit dem russischen Angriff auf die Ukraine kein russisches Rohöl mehr. Mit Produkten aus russischem Erdöl handelt der Konzern weiterhin, bestätigt ein Sprecher auf Anfrage.

Laut der Umweltorganisation Global Witness hat Trafigura im ersten Jahr seit Beginn des Ukraine-Krieges rund 50 Millionen Fass russische Erdölprodukte gehandelt, was multipliziert mit dem Preis von 60 Dollar pro Fass einem Verkaufswert von mindestens drei Milliarden Dollar entspricht.

50
Millionen Fass russische Erdölprodukte wurden seit Beginn des Ukrainekriegs gehandelt

Trafigura weist die Analyse von Global Witness „entschieden zurück“. Mindestens indirekt würde Trafigura durch diese Transaktionen den russischen Angriffskrieg mitfinanzieren. Sie ist nicht die einzige westliche Rohstoffhändlerin, die solche Geschäfte tätigt. Auf der Rangliste von Global Witness liegen die Schweizer Handelsfirmen Vitol und Gunvor noch vor Trafigura auf Platz eins und zwei.

Alle diese Transaktionen sind legal, solange sich die Firmen an die Preisobergrenze von 60 Dollar pro Fass halten, welche die G7 festgesetzt hat. Und solange sie kein russisches Erdöl oder Erzeugnisse daraus direkt in die EU verkaufen.

Die Ölgeschäfte werden teils vor der griechischen Küste abgewickelt.
Die Ölgeschäfte werden teils vor der griechischen Küste abgewickelt.

© Fotolia/BANEPETKOVIC

Die EU wollte mit ihren Sanktionen den Handel mit russischem Öl erschweren. Das ist nur teilweise gelungen. Und: Das Risiko einer Umweltkatastrophe vor den europäischen Küsten hat sich massiv erhöht.

Einerseits, weil die Sanktionen dazu führen, dass Reeder auf offener See ihre Fracht tauschen. Denn seit die Europäerinnen kein russisches Öl mehr annehmen, fahren die Tanker ihre Fracht Tausende Kilometer weiter über das Meer bis nach Indien oder China.

Für diese Transportwege brauchen sie andere Tankschiffe, was ein Grund ist, weshalb das Erdöl häufiger denn je in Schiff-zu-Schiff-Transfers (kurz: STS-Transfers) umgepumpt wird. Solche Manöver dauern kürzer und kosten weniger als der Umschlag in einem Hafen. Und sie können auch dazu dienen, die Herkunft des russischen Öls zu verschleiern.

Russisches Öl fließt nach Osten

Sechs bis zehn Prozent aller russischen Ölexporte auf dem Seeweg seien inzwischen mit Schiff-zu-Schiff-Transfers verbunden, schätzt Craig Kennedy, Wissenschaftler am Davis-Zentrum der Harvard-Universität, im Gespräch mit Investigate Europe. Deutlich mehr als noch vor Beginn des Russland-Ukraine-Kriegs. „Immer wenn STS-Transfers stattfinden, besteht die Gefahr eines Öllecks“, sagt Kennedy. Auch westliche Händler wie eben Trafigura beteiligen sich an diesen riskanten Manövern.

Um die Gefahr für die Küstenökosysteme zu mindern, sind STS-Transfers stark reguliert. Allerdings nur, wenn sie auch innerhalb der Hoheitsgewässer der Anrainerstaaten stattfinden – im Lakonischen Golfs reichen diese bis sechs Meilen vor die Küste. Um die Regulierung zu umgehen, finden die Erdöl-Umladungen deshalb genau außerhalb dieser Distanz statt.

Eine weitere gefährliche Auswirkung der Sanktionen ist das Heranwachsen einer sogenannten Schattenflotte, die russisches Erdöl transportiert.

Das Ölterminal von Ust-Luga nahe Sankt Petersburg
Das Ölterminal von Ust-Luga nahe Sankt Petersburg

© dpa/Stringer

Zum Beispiel nach Indien: Indische Raffinerien importierten vor dem Krieg fast kein russisches Öl. „Russisches Erdöl fließt nun nach Osten. Die Inder raffinieren es und verschiffen es dann zurück nach Europa. Russische Moleküle gelangen immer noch auf den europäischen Markt, nur in anderer Form“, sagt ein Ölhändler, der nicht namentlich genannt werden möchte.

So werden die EU-Sanktionen umgangen. Der Import von russischem Erdöl und von russischen Erdölerzeugnissen in die EU ist zwar verboten. Raffiniertes Erdöl aus Indien oder China fällt aber nicht unter das Verbot, auch wenn es ursprünglich aus Russland stammt. Es gibt deshalb keine Hinweise darauf, dass die in diesem Artikel genannten Unternehmen Sanktionen umgangen haben. Die neuen Handelswege sind absurd, und es fließen weiterhin riesige Summen nach Russland. Aber alles ist legal.

443
Tanker soll es in der russischen Schattenflotte geben

Weil viele westliche Firmen wegen der Sanktionen darauf verzichten, russisches Erdöl direkt zu kaufen und zu transportieren, ist im Laufe des vergangenen Jahres eine sogenannte „dunkle Flotte“ entstanden, bestehend aus Schiffen, die von dubiosen Eigentümerinnen über die Meere geschickt werden, um russisches Öl zu transportieren.

Eine Pipeline im brandenburgischen Schwedt. Aus Russland fließt hier kein Öl mehr.
Eine Pipeline im brandenburgischen Schwedt. Aus Russland fließt hier kein Öl mehr.

© ddp/Michael Urban

Diese Flotte wird immer größer. Die britische Analysefirma S&P Global Market Intelligence schätzt, dass die russische Schattenflotte inzwischen auf 443 Tanker ausgebaut wurde. Eine große Sorge ist, dass die deutlich älteren Schiffe der Schattenflotte nicht ordnungsgemäß inspiziert und gewartet werden, was zu einem katastrophalen Unfall auf See führen könnte.

Das möglicherweise auch vor der deutschen Küste. Denn in den russischen Ostseehäfen laden inzwischen auch Tanker der Schattenflotte Öl. Von dort führen vorbei an der deutschen Ostseeküste ihre Routen Richtung Skandinavien. „Die Straßen von Dänemark sind schwer zu navigieren“, sagt der Direktor des britischen Schiffshändlers EA Gibson, Richard Matthews, im Gespräch mit Investigate Europe.

Bei einem Unfall könnte es schwierig sein, heraus­zufinden, welche und ob eine Versicherung für den Schaden aufkommt.

Richard Matthews, Direktor des britischen Schiffshändlers EA Gibson

Je älter ein Schiff, desto höher die Gefahr eines Motorschadens. Je unerfahrener die Schiffseigner, desto größer die Gefahr einer Kollision. „Das erhöht tragischerweise die Gefahr einer Ölkatastrophe, die unvermeidbar scheint“, sagt Matthews.

Seit Beginn der westlichen Sanktionen gegen russische Ölexporte legten in den westrussischen Häfen mehr als 200 Tanker der russischen Flotte ab, ermittelte der Rohstoffhandelsanalyst Kpler. Viele dieser Schiffe seien nicht mehr versichert, sagt Kplers Frachtanalyst Matthew Wright. „Bei einem Unfall könnte es schwierig sein, heraus­zufinden, welche und ob eine Versicherung für den Schaden aufkommt.“

Dennoch beteiligen sich nach Informationen von Investigate Europe und Reporters United auch westliche Unternehmen am Handel mit Tankern der Schattenflotte.

Der Tanker Nanda Devi – benannt nach dem zweithöchsten Berg Indiens – hielt sich im Dezember 2022 im Lakonischen Golf auf. Dort vollzog der Frachter unter anderem einen STS-Transfer mit einem Tanker von Trafigura. Der Schweizer Ölhändler wollte auf Anfrage auch diese Transaktion nicht kommentieren. Die Nanda Devi wurde vor zwanzig Jahren gebaut und sollte altershalber langsam die Verschrottungswerft ansteuern. Der Frachter schippert aber weiter über die Weltmeere.

Zu diesem Zeitpunkt gehörte das Schiff der Firma Gatik, einem geheimnisvollen Unternehmen mit Sitz in Mumbai. Branchenkennerinnen vermuten, dass Gatik Verbindungen hat zur sanktionierten russischen Ölfirma Rosneft.

Im April 2023, als die USA die Schraube gegen Gatik weiter anzogen, musste die Nanda Devi den Eigner wechseln und verlor Berichten zufolge ihren amerikanischen Versicherer. Das bedeutet, dass ein Öltanker, der an komplizierten Öltransfers in der Nähe von europäischen Naturschutzgebieten beteiligt ist, unversichert durch den Golf fährt.

Eine höchst ungemütliche Situation, deren man sich in den meisten Teilen Europas erst langsam bewusst wird. Derweil schlägt Giorgos Daoutakos, der örtliche Aktivist am Strand von Mavrovouni, weiter Alarm – wegen seines „Stücks Paradieses“ auf der Peloponnes, das nun an der Frontlinie der Öltanker liegt.

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