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Arbeiter und Angehörige des Katastrophenschutzministeriums beseitigen die Trümmer eines zerstörten Gebäudes in der ostukrainischen Stadt Makijiwka.

© REUTERS/Alexander Ermochenko

Update

„Makijiwka ist kriminelle Fahrlässigkeit!“: Russische Militärblogger wüten gegen die Armeeführung

Bei einem Raketenangriff auf eine temporäre russische Militärunterkunft sind Dutzende, wenn nicht sogar Hunderte Soldaten gestorben. In Moskau soll nun nach den Verantwortlichen gesucht werden.

| Update:

In der Silvesternacht haben die russischen Streitkräfte einen der bislang größten Verluste im Angriffskrieg gegen die Ukraine erlitten. Die Verteidiger beschossen eine relativ ungeschützte Berufsschule in der ostukrainischen Stadt Makijiwka, die als Unterkunft für viele russische Soldaten diente – und in der zudem Munition gelagert worden sein soll. Die proklamierten Opferzahlen gehen weit auseinander: Das russische Verteidigungsministerium spricht von 89 toten Soldaten. Laut ukrainischer Armee seien knapp 400 Personen gestorben.

In den russischen sozialen Netzwerken wächst die Kritik an den Verantwortlichen. „Was in Makijiwka geschehen ist, ist furchtbar“, schreibt ein russischer Militärblogger mit mehr als 700.000 Abonnenten auf der Plattform Telegram.

„Wer hatte die Idee, Personal in großer Zahl in einem Gebäude zu platzieren, wo selbst ein Dummkopf versteht, dass es viele Verwundete oder Tote geben wird, selbst wenn sie mit Artillerie getroffen werden?“, fragt der Blogger, der sich selbst Erzengel Speznaz Z nennt.

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Die Speznaz ist eine Spezialeinheit des russischen militärischen Nachrichtendienstes GRU. Der Buchstabe „Z“ auf russischem Militärgerät steht für den westlichen Militärbezirk des Landes – und wird seit Beginn des Angriffskrieges auch zu Propagandazwecken eingesetzt.

Das Bataillon, das in der Berufsschule in Makijiwka untergebracht war, soll aus mehr als 500 Soldaten bestanden haben, schreibt der mit der Söldnertruppe Wagner assoziierte Telegramkanal „Greyzone“ am Montagnachmittag.

Telefongespräche sollen Standort verraten haben

Die Verantwortlichen für den verheerenden Angriff waren auf russischer Seite schnell gefunden. Die Lesart der selbst ernannten, unter russischer Kontrolle stehenden Volksrepublik Donezk lautet: Der Angriff sei nur möglich gewesen, weil die gerade eingetroffenen Soldaten intensiv ihre Mobiltelefone benutzt hätten, erklärte eine anonyme Quelle gegenüber der staatlichen russischen Nachrichtenagentur Tass am Montag. Dadurch habe die ukrainische Armee sie orten können.

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Der US-amerikanische Thinktank The Institute For The Study Of War (ISW) geht in seinem neuesten Lagebericht davon aus, dass Moskau sich diese Darstellung zu eigen machen wird. Telefonortungen seien zwar möglich, schreibt der Telegramkanal mit Wagner-Verbindungen „aber in diesem Fall ist es zu 99 Prozent eine Lüge und ein Versuch, die Schuld von sich zu weisen.“

Die mehreren Hundert russischen Soldaten nicht zu bemerken, könne nur den „Schwachköpfen in unserem (dem russischen) Verteidigungsministerium“ passieren, heißt es bei „Greyzone“ weiter. Dabei hätte es in ukrainischen Telegram-Kanälen Hinweise gegeben, dass Informationen über russische Truppen in der Stadt gesammelt wurden.

„Es ist selbsterklärend, 500 Menschen nicht an einem Ort anzusiedeln, sondern sie auf zehn verschiedene Orte zu verteilen“, schrieb der russische Militärblogger Semen Pegov auf seinem Telegramkanal „WarGonzo“ an etwa 1,3 Millionen Abonnenten. „Ja, das macht viel Arbeit. Aber es ist eine Frage von Leben und Tod“.

„Nach zehn Monaten der besonderen Militäroperation sollte selbst den verzweifeltsten Narren klar sein, dass dieser Krieg nicht nach dem Zufallsprinzip gewonnen werden kann“, schrieb Pegov am Donnerstag. „Wenn Sie mich persönlich fragen, was das Gefährlichste am Krieg ist, werde ich eindeutig antworten: sich nicht zu bemühen.“ Pegov, ein russischer Kriegsberichterstatter, wurde von Putin im November mit dem Orden der Tapferkeit ausgezeichnet.

Moskau spricht von vier Treffern mit Himars-Raketenwerfern

Wie genau es zu dem Angriff kam, kann letztlich nicht verifiziert werden. Die Ukraine hält sich erstaunlich bedeckt. Bis Montag nannte die Armee keine Details, sondern sprach lediglich von einem Präzisionsangriff, bei dem bis zu zehn Ausrüstungsgegenstände zerstört wurden. Erst im Laufe des Montags teilte die ukrainische Militärführung mit, dass bei dem Angriff etwa 400 russische Soldaten getötet und 300 weitere verwundet wurden.

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Nach Angaben des Verteidigungsministeriums in Moskau setzten die ukrainischen Streitkräfte bei dem Angriff einen von den USA gelieferten Raketenwerfer vom Typ Himars ein. Insgesamt seien sechs Raketen gestartet worden – vier hätten die temporäre Unterkunft in Makijiwka getroffen. Der russische Investigativjournalist Christo Grozev vom Recherchenetzwerk Bellingcat zitiert mehrere Quellen, die die Szenerie vor Ort als „Hölle auf Erden“ beschrieben hätten. Auf Bildern und Videos war nicht mehr viel von dem Gebäude übrig. Aus den Trümmern stieg Rauch auf.

„Offensichtlich ist das Oberkommando immer noch nicht über die Fähigkeiten dieser Waffe informiert. Ich hoffe, dass die Verantwortlichen für die Entscheidung, diese Einrichtung zu nutzen, bestraft werden“, schreibt ein hoher prorussischer Beamter in Donezk in seinem Telegram-Kanal.

Offenbar nicht der erste vergleichbare Angriff

Der Einsatz des Himars-Systems komme allerdings nicht überraschend, schreibt Igor Girkin, russischer Ex-Geheimdienstoffizier und ehemaliger Separatistenführer, auf Telegram. „Ich wurde gewarnt, dass sich so etwas jederzeit wiederholen könnte.“ Demnach sei es nicht das erste Mal gewesen, dass sich so viel Personal und Material an einem Ort innerhalb der Erreichbarkeit des Raketenwerfers befand. Makijiwka liegt nur wenige Kilometer hinter der Front im Oblast Donezk nahe der gleichnamigen Regionalhauptstadt.

In der Vergangenheit habe es jedoch weniger Opfer gegeben, schreibt Girkin, der als Kriegsverbrecher für den Abschuss der Passagiermaschine MH17 über der Ostukraine verantwortlich gemacht wird. „Aber unsere Generäle sind prinzipiell unbelehrbar.“ Die Generäle selbst würden sich jedoch nicht in der Gefahrenzone aufhalten, nach den hohen Verlusten unter den höheren Rängen im Sommer würden sich diese „außerhalb des Radius der feindlichen Raketen“ aufhalten.

In dem nun zerstörten Gebäude wurden demnach hauptsächlich kürzlich mobilisierte Soldaten untergebracht, schreibt Girkin weiter. Zudem sei in dem Gebäude Munition gelagert worden, was das Ausmaß der Zerstörung erkläre. Auch Militärequipment, das außerhalb gelagert wurde, sei zum Teil „zerstört“ worden.

„Auf jeden Fall geht die Zahl der Toten und Verwundeten in die Hunderte“, schreibt Girkin weiter. Genaue Zahlen will er jedoch nicht nennen.

Getötete Soldaten stammen aus russischem Samara

Der Gouverneur der Oblast Samara, Dmitri Asarow, bestätigte, dass unter den verstorbenen Soldaten auch Einwohner des Oblast sind. In der gleichnamigen Regionalhauptstadt legen Einwohner Blumen nieder und gedenken der Toten, berichtet der Journalist Jimmy Rushton auf Twitter. „Russland betreibt in Samara, wo viele der in Makijiwka getöteten Rekruten herkommen sollen, Schadensbegrenzung“, twittert die freie Journalistin Ann-Dorit Boy.

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Auch Pawlo Hubarjew, selbst ernannter „Volksgouverneur der Oblast Donezk“ und prorussischer Aktivist, beklagt auf seinem Telegram-Kanal die Unterbringung der Einheit als Ganzes. „Ansiedlung in kleinen Gruppen – das weiß jeder. Die Mobilisierten wissen es vielleicht nicht, aber ihre Vorgesetzten sollten es wissen!“

„Das sind die Fehler des Frühjahrs/Sommers 2022. Dies ist der elfte Monat, in dem wir uns im Krieg befinden!“ Daher fordert Hubarjew: „Wenn es dafür jetzt keine Strafe gibt, dann wird nur der Tiefpunkt folgen! Makijiwka ist kriminelle Fahrlässigkeit!“

Aber nicht nur Militärblogger fordern nun Konsequenzen. Sergei Mironow, Abgeordneter und ehemaliger Vorsitzender des russischen Föderationsrates, forderte eine strafrechtliche Inverantwortungnahme der Beamten, die „die Konzentration von Militärangehörigen in einem ungeschützten Gebäude zugelassen haben“, berichtet die Nachrichtenagentur Reuters.

Der ehemalige stellvertretende russische Außenminister Grigory Karasin fordert wegen des Angriffs in Makijiwka dem Bericht zufolge nicht nur Rache an der Ukraine und ihren Nato-Unterstützern, sondern auch „eine genaue interne Analyse“.

Die Verantwortlichen für die „dummen Personalverluste“ in Makijiwka sollten „wie für Verrat am Mutterland bestraft“ werden oder „das Land ist am Ende“, schrieb der russische Journalist und Politiker Andrej Medwedew auf Telegram. Putin hat anonymen Quellen zufolge nun verlangt, die Vorkommnisse in Makijiwka bis zum sechsten Januar zu untersuchen.

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