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Ein Hisbollah-Anhänger hält ein Porträt des Hisbollah-Chefs Hassan Nasrallah hoch.

© dpa/Bilal Hussein

Update

Rede von Hisbollah-Chef: Sieg der Hamas im Interesse der arabischen Nachbarländer

Zum ersten Mal seit Ausbruch des Gaza-Kriegs hat sich der Hisbollah-Chef Hassan Nasrallah an die Öffentlichkeit gewandt. Dass die Gefechte an der libanesischen Front eskalieren, hält er für möglich.

| Update:

Israel verfolgt nach Ansicht des Chefs der libanesischen Hisbollah-Miliz, Hassan Nasrallah, im Gazastreifen Ziele, die es nicht erreichen kann. Das sei einer der größten Fehler, die Israel derzeit begehe, sagt Nasrallah in seiner ersten Rede seit Ausbruch des Krieges zwischen der radikalislamischen Hamas und Israel Anfang Oktober. „Seit einem Monat hat Israel nicht einen militärischen Erfolg verzeichnet.“

Der Chef der in vielen Ländern, darunter auch Deutschland, als Terrororganisation bezeichneten Hisbollah droht mit einer weiteren Eskalation im Krieg zwischen Israel und der Hamas. „Alle Optionen an der libanesischen Front bleiben offen“.  Eine Eskalation sei eine „realistische Möglichkeit“, alles hänge davon ab, wie der Krieg im Gazastreifen weiter verlaufen werde.

Ein Sieg der islamistischen Hamas im Gazastreifen über Israel ist nach Worten von Hisbollah-Chef Hassan Nasrallah auch im Interesse arabischer Nachbarländer. „Der Sieg Gazas heute liegt auch im nationalen Interesse Ägyptens, Jordaniens und Syriens“, sagte Nasrallah in einer Rede am Freitag. Angekündigt war eine Gedenkzeremonie für die getöteten Hisbollah-Kämpfer.

Ein Sieg der Hamas liege vor allem „im nationalen Interesse des Libanons“. Israel bedrohe den Libanon und dessen Volk. Die beiden Ziele im Krieg seien jetzt ein „Ende der Aggression“ sowie ein Sieg für den „palästinensischen Widerstand“ und der im Gazastreifen herrschenden Hamas, sagte der Hisbollah-Chef. 

Eine Menschenmenge beobachtet auf einer Leinwand in Beirut, wie Hisbollah-Führer Sayyed Hassan Nasrallah seine erste Rede seit dem 07. Oktober hält.

© REUTERS/REUTERS TV/Al-Manar

Hassan Nasrallah hat den USA in seiner Rede vorgeworfen, die alleinige Verantwortung für den anhaltenden Gaza-Krieg zu tragen. Israel sei nur ein „ausführendes Instrument“, sagte Nasrallah am Freitag in seiner ersten öffentlichen Rede seit dem Hamas-Terrorangriff. Die USA seien der „große Teufel“, so der Hisbollah-Chef. „Die USA sind die Hauptverantwortlichen für alle Massaker, von Hiroshima über Vietnam bis Afghanistan“, sagte er. „Sie müssen den Preis für ihre Aggression zahlen.“

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Die Angst der Menschen im Libanon vor einem erneuten Krieg mit Israel sitzt tief. „Wir können keinen weiteren Krieg ertragen“, sagt die Libanesin Fatima, die ihren Nachnamen lieber nicht veröffentlicht sehen will. Sie lebt im Süden Beiruts, dem Teil der Hauptstadt des Libanons, der von der Schiitenorganisation Hisbollah kontrolliert wird. „Ich möchte wirklich nicht vertrieben werden und alles verlieren, so wie 2006“, sagt sie.

2006 ist das Schlüsselwort, das in diesen Tagen oft als mahnende Erinnerung durch die Straßen Beiruts raunt. 2006 war das Jahr, in dem bei heftigen Gefechten zwischen der Hisbollah und dem israelischen Militär mehr als 1500 Zivilisten ums Leben kamen - ein Großteil davon im Libanon.

Mit dem Ausbruch des Gaza-Kriegs wächst in dem Land mit jedem Tag die Sorge, dass sich der Konflikt auch auf den Zedernstaat ausweiten könnte. Denn von Anfang an war klar: Die Hisbollah, die unter anderem den Süden des Landes und damit auch die Grenze zu Israel kontrolliert, sieht sich an der Seite des „palästinensischen Widerstands“.

Seit dem 7. Oktober kommt es fast täglich zu Gefechten an der Grenze. Dabei kam es zu Todesopfern auf beiden Seiten, ein Großteil davon waren Hisbollah-Kämpfer.

Der Libanon vor einem Wendepunkt?

Bisher halten sich die Gefechte zwischen dem israelischen Militär und der Hisbollah-Miliz nach Meinung von Experten im Rahmen. Zu einer größeren Eskalation kam es nicht. Doch das könnte sich ändern, wenn Nasrallah Befehle zum Umgang mit dem Feind im Süden gibt.

„Wir brauchen den Auftritt Nasrallahs, um die Dinge auf den Weg zu bringen“, sagte ein Hisbollah-Anhänger, der anonym bleiben möchte, im Vorfeld der Rede. Fans des Schiitenführers komponierten gleich ein eigenes Lied. Darin wird ein Angriff auf Tel Aviv gefordert.

Im Hisbollah-Viertel im Süden der Hauptstadt wurden für die Zeit der Ausstrahlung der Rede Rabatte in Wasserpfeifen-Cafés angeboten. Hisbollah-nahe Analysten hatten nur vage Einsichten in die Vorhaben des Schiitenführers gegeben. „Die Hisbollah wird wie immer standhaft sein und bestimmte Leitlinien ziehen“, sagte beispielsweise Salem Zahran lokalen Medien.

Als Teil der vom Iran angeführten „Achse des Widerstands“ lauscht die Hisbollah vor allem den Worten aus Teheran. Irans Staatsführung hatte in den Wochen seit Beginn des Gaza-Kriegs dem jüdischen Staat immer wieder gedroht. Das ist eine Linie, der auch die Hisbollah folgt.

Zugleich hat die Hisbollah Zehntausende Anhänger, mit denen sie vor allem den Süden an der Grenze zu Israel, von Schiiten bewohnte Viertel von Beirut sowie die Bekaa-Ebene im Norden des Landes kontrolliert. Gleichzeitig gilt die Hisbollah als starke politische Macht im kurz vor dem Kollaps stehenden Libanon.

„Nasrallah kann für sich und seine Anhänger sprechen und nicht für alle Libanesen“, sagt Mohammed, ein 30-jähriger Bankangestellter in Beirut. „Wenn er den Krieg erklären will, kann er aus seinem Versteck hervorkommen, um mit seinen Kämpfern gegen Israel zu kämpfen, anstatt alle Libanesen als Schutzschilde zu benutzen.“ Wo der Hisbollah-Chef lebt, ist unbekannt.

Junge Libanesen wollen ein „letztes Mal Spaß haben“

Der Libanon ist alles andere als in der Lage, einen Krieg zu führen. Derzeit mangelt es an so gut wie allem: Einem Staatsoberhaupt, einer Regierung, einer stabilen Währung. Seit Ende 2019 steckt der Mittelmeerstaat in der schlimmsten Wirtschafts- und Finanzkrise seiner Geschichte. Dem Land gehen die Devisen aus. Die libanesische Währung hat stark an Wert verloren. Die Krise wird auch auf jahrzehntelange Korruption in Politik und Wirtschaft zurückgeführt.

Seit gut einem Jahr scheitert die Wahl eines Präsidenten immer wieder an Machtkämpfen innerhalb der politischen Elite. Zurzeit wird das Land von Ministerpräsident Nadschib Mikati geschäftsführend geführt. Die Regierung ist nur eingeschränkt handlungsfähig. Hinzu kommt der Bürgerkrieg im Nachbarland Syrien. Laut UNHCR leben mehr als 1,5 Millionen syrische Flüchtlinge im Libanon. Geschätzt wird, dass rund ein Viertel der Bevölkerung von mehr als fünf Millionen Menschen syrische Geflüchtete sind.

Libanesen im ganzen Land befürchten daher, dass eine mögliche Kriegserklärung der Hisbollah das Ende des Libanons bedeuten könnte. „Wir alle leiden immer noch unter der massiven Explosion im Hafen von Beirut im Jahr 2020. Jetzt wird Nasrallah den gesamten Libanon über unsere Köpfe hinweg zerstören“, sagt die 45-jährige Georgette. „Wir sitzen auf gepackten Koffern“, fügt sie hinzu. Viele Libanesen hätten Häuser in den Bergen - außerhalb der großen Städte - angemietet, um im Falle eines Kriegsausbruchs fliehen zu können.

Ein „letztes Mal Spaß haben“ lautete die Devise junger Libanesen am Vorabend der Rede. „Wir wissen nicht, was ab morgen kommt, deswegen gehen wir heute alle noch mal gemeinsam aus“, sagte der 26-jährige Haydar Dagher. Gemeinsam mit seinen Freunden hatte er sich im Vergnügungspark verabredet: „Wer weiß, was nach Freitag kommt“. (dpa, Reuters)

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