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In Teheran soll der Kopftuchzwang wieder durchgsetzt werden.

© REUTERS/WANA NEWS AGENCY

Rückkehr der Religionspolizei im Iran: Die Mullahs wollen die Frauen wieder unters Kopftuch zwingen

Monatelang waren sie weg, doch jetzt ist die Sittenpolizei zurück auf den Straßen. Das könnte die Proteste gegen die Regierung wiederbeleben.

Es ist ein Rückfall in alte Zeiten: In Teheran ist nach Angaben des Exilsenders „Iran International“ erstmals seit langem wieder eine Frau von der Religionspolizei festgenommen worden. Die selbsternannten Sittenwächter, so berichtet die Nachrichtenagentur AP, patrouillieren wieder in der iranischen Hauptstadt – und nehmen all jene ins Visier, die sich nicht an die strengen Verhaltensvorschriften halten.

Monatelang war die Moralpolizei, als Reaktion auf die Anti-Regierungsproteste im vergangenen Jahr, aus der Öffentlichkeit weitgehend verschwunden. Doch nun ist sie zurück. So haben Beamte in Rascht am Kaspischen Meer versucht, drei Frauen festzunehmen, die kein Kopftuch trugen. Die Frauen seien allerdings von Passanten aus der Gewalt der Polizisten befreit worden. Anschließend hätten sich tausende Demonstranten in der Stadt versammelt, wie „Iran International“ berichtete.

Es könnte der Anfang einer neuen Protestwelle gegen das Mullah-Regime sein. Landesweit flammen Proteste auf – eine zentrale Forderung ist dabei das Ende des seit 40 Jahren bestehenden Kopftuchzwangs.

Für Staatspräsident Ephraim Raisi und andere Hardliner wie Revolutionsführer Ali Khamenei ist das Kopftuch eines der wichtigsten Symbole des schiitischen Gottesstaates. Verhandlungen oder Kompromisse mit der Protestbewegung kommen für sie nicht infrage.

Ein Angebot an Radikale

Deshalb könne es kaum Zufall sein, dass die Regierung ausgerechnet jetzt die Moralpolizei wieder auf die Straßen schickt, sagt der türkische Iran-Experte Arif Keskin. Weil an diesem Mittwoch der für die Schiiten heilige Monat Muharrem beginne, wollten die Behörden die Gefühle frommer Muslime für sich nutzen und radikale Kräfte innerhalb der Regierung zufriedenstellen. Die Spitzen des Regimes setzten darauf, dass es im heiligen Monat keine Proteste gegen die Moralpolizei geben werde.

„Außerdem wollen sie gegenüber der iranischen und der internationalen Öffentlichkeit zeigen, dass sie die Proteste unterdrückt haben“, sagt Keskin. „Wir wissen alle, dass dies falsch ist: Die Mahsa-Amini-Proteste haben die iranische Gesellschaft tiefgreifend verändert.

Die Iranerin Mahsa Amini war im vergangenen Jahr in Teheran wegen eines angeblich zu locker gebundenen Kopftuchs von der Sittenpolizei festgenommen worden. Die 22-Jährige wurde so schwer misshandelt, dass sie am 16. September starb. Ihr Tod löste landesweit Proteste gegen das theokratische System aus. Bei Demonstrationen verbrannten Frauen öffentlich ihre Kopftücher, und die Parole „Frauen, Leben, Freiheit“ wurde zum Schlachtruf von Millionen Demonstranten.

Das Regime fühlt sich wieder sicher

Als Reaktion zog sich die Religionspolizei zwischenzeitlich zurück. Seitdem wurden Frauen in der Islamischen Republik vielerorts nicht mehr kontrolliert, wenn sie ohne Kopftuch aus dem Haus gingen. Die Regierung in Teheran war offensichtlich wegen des Aufstandes schwer verunsichert.

Außerdem wollen sie gegenüber der iranischen und der internationalen Öffentlichkeit zeigen, dass sie die Proteste unterdrückt haben.

Arif Keskin, türkischer Iran-Experte

Der Rückzug der Sittenwächter sei damals wohl taktisch motiviert gewesen, meint Ali Fathollah-Nejad, Iran-Experte und Direktor der Berliner Denkfabrik Center for Middle East and Global Order (CMEG): „Die Sicherheitskräfte hatten damals andere Prioritäten“, sagt er im Gespräch mit dem Tagesspiegel.

Nun wähne sich das Regime sicher, auch weil die internationale Aufmerksamkeit für die Lage im Iran gesunken sei. Inzwischen gibt es kaum noch Straßenproteste.

Präsident Raisi hatte bereits Anfang des Monats alle Regierungsstellen angewiesen, den Kopftuchzwang wieder durchzusetzen. Nun erklärte die zentrale Polizeibehörde, unverschleierte Frauen würden ab sofort wieder verwarnt oder festgenommen.

„Viele Amtsträger, mit Khamenei an der Spitze, waren immer fest entschlossen, die Kopftuch-Regeln durchzusetzen“, sagt der in den USA lebende Iran-Experte und Autor Arash Azizi dem Tagesspiegel.

Viele Amtsträger, mit Khamenei an der Spitze, waren immer fest entschlossen, die Kopftuch-Regeln durchzusetzen.

Arash Azizi, in den USA lebender Iran-Experte und Autor

Und dennoch könnte die Rückkehr der Sittenpolizei der Protestbewegung neuen Schwung verleihen. Azizi weist darauf hin, dass Millionen Frauen in ganz Iran derzeit ohne Kopftuch oder sogar in ärmellosen Hemden auf die Straße gehen und damit zivilen Ungehorsam üben. „Das macht dem Regime Angst“, sagt Azizi. „Es versucht, dies zu unterbinden.“

Der neue Einsatz der Religionspolizei dürfte dafür aber kaum ausreichen, um die Iranerinnen einzuschüchtern.

Es sei sehr unwahrscheinlich, dass der Iran wieder zu einem Zustand wie in der Zeit vor dem Beginn der Proteste im September zurückkehren werde, auch wenn dies das Ziel des Regimes sei, meint Fathollah-Nejad: „Man kriegt den Geist nicht mehr zurück in die Flasche.“

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