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In der kosovarischen Stadt Zubin Potok ist die serbische Fahne gehisst.

© REUTERS/OGNEN TEOFILOVSKI

Serbische Fronten: Der Kosovo bleibt ein explosives Provisorium

Die aktuelle Gewalt auf dem Balkan wirft ein Schlaglicht auf die ungelösten Probleme der Region.  

Von Caroline Fetscher

Auf einem kleinen Flecken Erde im Balkan streiten sich zwei Gruppen um große Fragen. Andernorts, in Berlin, in Brüssel, in Washington, würde man gerade jetzt nur zu gern auf diesen Konflikt verzichten, in dem es um den Zankapfel Kosovo geht.

Dieser Tage flogen im Norden des Balkanstaates Steine und Flaschen, Schüsse fielen, Autos brannten. Empört protestierte in mehreren Ortschaften die ethnisch serbische Bevölkerung gegen die Wahl ethnisch albanischer Bürgermeister. Dazu hatten die ethnischen Serben freilich selber beigetragen – denn sie hatten die Kommunalwahlen boykottiert.

Albin Kurti, der Regierungschef des Kosovo, schickte Polizei, um die Bürgermeister vor serbischem Zorn zu schützen. Dutzende Soldaten der internationalen Schutztruppe KFOR, die deeskalieren wollten, wurden attackiert und verletzt. Serbien droht indes mit militärischem Eingreifen, Washington ruft Kurti zu Mäßigung auf, und Brüssel fleht um Dialog.

Auf dem kleinen Flecken Erde glüht die jüngere Geschichte nach. 1999 hatte Serbiens Armee versucht, die gesamte ethnisch albanische Bevölkerung aus dem Kosovo zu vertreiben, welcher damals noch eine serbische Provinz war. Es war der letzte der jugoslawischen Zerfallskriege, in denen Serbien die Vorherrschaft über das Erbe Josip Broz Titos, des einstigen Staatschefs des ehemaligen Jugoslawiens, erzwingen wollte.

Nahezu eine Million Menschen flohen damals aus dem Kosovo, es gab tausende Tote, Kriegsverbrechen, Massengräber. Erst eine Intervention der Nato, die jedoch von der Uno nicht mandatiert war, beendete die „ethnische Säuberung“.  

Kosovo ist ein politisches Provisorium

Seither fließen Milliarden in die Brüsseler Mission für Rechtsstaatlichkeit EULEX und die internationalen Friedenstruppen KFOR, an denen sich auch Deutschland beteiligt. Und seither blieb es in der Region einigermaßen ruhig. Doch der Kosovo, das zeigt sich gerade dramatisch, ist ein politisches Provisorium, in dem es schnell brodelt.

Weder Serbien noch viele der rund 120.000 im Kosovo lebenden Serben erkennen Kosovo als Staat an. 2008 erklärte das Gebiet mit heute 1,8 Millionen Einwohnern seine Unabhängigkeit vom großen Bruder in Belgrad. Anerkannt wurde das von 22 Staaten der EU, darunter, wenn auch etwas widerwillig, Deutschland.

Serbien sehnt sich nach den Brüsseler Fleischtöpfen und will EU-Mitglied werden. Doch es klammert weiter am Kosovo fest. Und es feiert weiter seine traditionelle Sympathie für Russland. Daran haben auch Annalena Baerbocks mahnende Worte an den serbischen Präsidenten Aleksandar Vućić 2022 bislang nichts geändert. Offenbar braucht es deutlichere diplomatische Vorstöße.

Unverhohlen verbreiten beliebte serbische Sender wie „Happy TV“ und „Pink TV“ Propaganda für Putin. Vućić zeigt sich auch kaum beeindruckt von den Tausenden, die derzeit gegen seinen Nationalismus und die Verherrlichung von Gewalt auf die Straße gehen. Fest steht: Die ganze Region kann nicht zur Ruhe kommen, solange dieser provisorische Zustand des Kosovo fortbesteht.

Vućićs Trumpf, so scheint es, sind mächtige, weltpolitische Akteure, die Serbiens Anspruch auf den Kosovo gutheißen, etwa die BRICS-Staaten. Sie alle erkennen die Eigenstaatlichkeit des Kosovo nicht an. Wobei es ihnen weniger um die Bevölkerung geht, als um ein nachholendes Signal zur damaligen Nato-Intervention – in Miniatur eine typische Volte des neuen Kalten Krieges.

Zu Vućićs Trümpfen zählt aber auch die Zögerlichkeit und Uneindeutigkeit eines Europa, das ihm – noch – erlaubt, die ethnischen Serben des Kosovo als Geiseln eines gewaltaffinen Nationalismus zu verwenden. Solange das geht, kann der Präsident auch leichter die Front im Inneren ignorieren – die vielen Landsleute, die Zivilität und Demokratie fordern.

Dialog, ohne Frage, tut Not. Beide Seiten müssen im Fall Kosovo bessere Kompromisse finden. Doch kein Weg führt an der politischen Erkenntnis vorbei, die unmissverständlich kommuniziert werden sollte: Serbien muss dieses Stück einstigen Territoriums loslassen. Erst dann kann sich die ethnisch serbische Bevölkerung in das Land einfügen. Und eines Tages, so die Hoffnung, wählen sie dort alle nicht mehr „ethnisch“, sondern politisch. Als Demokratinnen und Demokraten.

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