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Kanzler Olaf Scholz in der Deckung.

© AFP/JOHN MACDOUGALL

Ukraine-Invasion Tag 442: Deutschland duckt sich bei der Waffenhilfe wieder einmal weg

Nachruf auf AFP-Kriegsreporter, Kreml spricht von „schwieriger Lage“ in der Ukraine, Verhandlungen für Getreideabkommen haben begonnen. Der Überblick am Abend.

In diesen Tagen wiederholt sich ein bekanntes Schauspiel: Die Ukraine wünscht sich weitere Waffensysteme, aber Deutschland steht im Abseits. Erstes Beispiel: Großbritannien hat heute offiziell gemacht, dass es Kiew sogenannte „Storm Shadow“-Raketen liefern wird (mehr hier). Das Besondere: Sie haben eine Reichweite von bis zu 250 Kilometern - also deutlich mehr als die Raketen, die die Ukrainer derzeit zum Beispiel von den US-Raketenwerfern Himars abfeuern können. Die Raketen werden von den ukrainischen Flugzeugen sowjetischer Bauart abgefeuert. Wie „CNN“ berichtet, sind die Raketen schon in der Ukraine eingetroffen. 

Die Ankündigung, dass Großbritannien die Raketen liefern würde, machte der britische Premier Rishi Sunak schon Mitte Februar auf der Münchner Sicherheitskonferenz. Die Regierung Sunak hatte den Auftrag für die Raketenlieferung auch offiziell ausgeschrieben. Ein Schritt, den auch Deutschland gehen könnte, denn die Ukraine wird größere Mengen der weitreichenden Raketen benötigen - wie viele jetzt in die Ukraine gehen, ist bisher unbekannt. 

Zweiter Schauplatz: Die Debatte um westliche Kampfjets. Unter anderem versuchen die Niederlande, Großbritannien und Dänemark gerade, Nato-Staaten zu bewegen, F-16-Flugzeuge an die Ukraine zu liefern. Auch zahlreiche US-Politiker, von Demokraten über Republikaner, drängen Biden zu dem Schritt. Im Gegensatz zu den Raketen bräuchte es hier eine breite Koalition, die Ausbildung, Wartung und Infrastruktur für die Flugzeuge organisiert und sicherstellt. Auch wenn Deutschland selbst keine F-16 hat, könnte sich Berlin beteiligen. Aber auch hier: Kein Wort der Unterstützung. 

Am Ende muss aber auch der Bundesregierung klar sein: Ausgenommen von Atomwaffen, wird die Ukraine alle, aber auch wirklich alle verfügbaren Waffen aus dem Westen brauchen, um Russlands Invasion erfolgreich zurückzuschlagen und Russland von einem zweiten Invasionsversuch abzuschrecken. Wer nicht danach plant, handelt kurzsichtig. 

Welcher Vorlauf für die Waffenlieferung nötig ist, hat die Panzerdebatte in Deutschland gezeigt. Kanzler Olaf Scholz wäre also gut beraten, die Lieferung von weitreichenden Raketen an die Ukraine zu unterstützen und eine aktive Rolle in der Kampfjet-Debatte zu übernehmen. „Der Gigant wankt“, sagte ein Militär zuletzt über Russlands Armee. Auch Deutschland muss helfen, daraus einen Knockout zu machen.

Die wichtigsten Nachrichten des Tages

  • Verhandlungen zu Getreide-Abkommen haben in Istanbul begonnen: Sollte Moskau seine Drohung wahrmachen und aussteigen, könnte das Abkommen am 18. Mai auslaufen. Zwei Tage lang sollen sie Beratungen in der Türkei dauern. Mehr hier.
  • Nato-Gipfel Anfang Juli: Auf Anfrage der Nato-Partner überprüft das Verteidigungsministerium den Schutz des Gipfels mit einem Flugabwehrsystem. Eine Entscheidung soll in den kommenden Wochen folgen. Mehr hier. 
  • In einem Gastbeitrag für den Spiegel rufen der ehemalige Nato-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen und der Leiter des ukrainischen Präsidialbüros, Andrij Jermak, dazu auf, die Ukraine schnell in die Nato aufzunehmen. Anders werde es keine Stabilität in Europa geben, schreiben sie. Beim Nato-Gipfel im Juli in Vilnius sollen die Staats- und Regierungschefs der Nato ein klares Signal an Russland senden und zeigen, dass die Ukraine Teil des Westens sei. Es brauche jetzt klare Pläne und Perspektiven für den Beitritt der Ukraine. Mehr in unserem Liveblog.
  • Die russische Regierung hält die wirtschaftliche Situation ungeachtet eines enormen Lochs im Staatshaushalt für vollständig unter Kontrolle. Russland verfüge über einen notwendigen Sicherheitsspielraum, sagte Präsidialamtssprecher Dmitri Peskow am Donnerstag in Moskau. Er reagierte damit auf Zahlen des Finanzministeriums. Diese zeigen, dass Russland in den ersten vier Monaten des Jahres ein Haushaltsdefizit von 3,4 Billionen Rubel (rund 40 Milliarden Euro) verzeichnete. 
  • Mehr als 14 Monate nach dem Einmarsch in die Ukraine hat Russland eigenen Angaben zufolge seine Kriegsziele „teilweise“ erreicht. Wichtigste Aufgabe sei es gewesen, die Menschen im Donbass zu schützen, sagte Kremlsprecher Dmitri Peskow in einem am Mittwochabend ausgestrahlten Interview mit dem bosnischen Fernsehsender ATV. „Teilweise ist es uns gelungen, diese Aufgabe zu erfüllen, zum Teil sind wir davon aber noch weit entfernt“, so Peskow. Er bezeichnete die Situation als „sehr schwierig“. 
  • In der russischen Region Brjansk an der Grenze zur Ukraine ist nach Angaben des Gouverneurs ein Öl-Lager mit einer ukrainischen Drohne beschossen worden. Bei dem Angriff in der Nähe der Stadt Klinzy habe es keine Toten oder Verletzten gegeben, teilt Alexander Bogomas auf Telegram mit. 
  • Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hat angekündigt, dass die erwartete Gegenoffensive seiner Truppen noch auf sich warten lassen wird. Zunächst müsse mehr von der versprochenen westlichen Waffenhilfe ankommen, sagte er in einem Interview mit mehreren europäischen Fernsehsendern. „Mit dem, was wir haben, können wir Fortschritte machen und erfolgreich sein. Doch wir würden viele Soldaten verlieren – und das ist inakzeptabel“, sagte Selenskyj. „Deshalb müssen wir warten. Wir brauchen immer noch ein bisschen Zeit.“
  • Der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) hält eine Rückkehr von Athletinnen und Athleten aus Russland und Belarus zu großen internationalen Wettkämpfen weiter für falsch. „Angesichts der unvermindert anhaltenden Kriegshandlungen sind wir der Auffassung, dass der Ausschluss weiter gerechtfertigt wäre. Russland und Belarus sollen gar nicht erst die Möglichkeit erhalten, die Teilnahme der Sportler zu kriegspropagandistischen Mitteln zu missbrauchen“, sagte DOSB-Präsident Thomas Weikert im Interview der „Heilbronner Stimme“. 
  • Das russische Verteidigungsministerium rekrutiert nach Einschätzung britischer Geheimdienste mittlerweile selbst Häftlinge für den Angriffskrieg gegen die Ukraine. Es sei wahrscheinlich, dass sich allein im April 2023 bis zu 10.000 Gefangene dem Militär angeschlossen haben, mutmaßt das britische Verteidigungsministerium in seinem jüngsten Update. 
  • Im Kampf gegen die Umgehung von Russland-Sanktionen sollen nach dem Willen der Bundesregierung Unternehmen stärker in die Pflicht genommen werden. Wie die Deutsche Presse-Agentur aus EU-Kreisen erfuhr, unterbreitete der deutsche Botschafter bei der EU am Mittwoch bei Verhandlungen in Brüssel einen entsprechenden Vorschlag. Demnach müssten sich Unternehmen aus Nicht-EU-Ländern künftig beim Kauf von bestimmten Waren in der EU vertraglich verpflichten, diese später nicht nach Russland zu exportieren. 
  • Der frühere US-Präsident Donald Trump hat sich bei einem seltenen Auftritt in einer CNN-Sendung ausweichend zum russischen Angriffskrieg in der Ukraine geäußert. Auf die Frage, ob er der Ukraine weiter Geld und Waffenlieferungen zur Verfügung stellen würde, sollte er die Präsidentenwahl 2024 gewinnen, sagte der Republikaner unter anderem: „Ich möchte, dass Europa mehr Geld zur Verfügung stellt, weil sie uns auslachen. Sie denken, wir sind ein Haufen Idioten.“ Trump behauptete wie schon während seiner Präsidentschaft, die US-Regierung verschenke so viel Ausrüstung, dass keine Munition für die eigenen Truppen mehr übrig sei. Trump beharrte erneut auf seiner Behauptung, er könne den seit mehr als 14 Monaten anhaltenden Krieg zwischen Russland und der Ukraine in 24 Stunden beenden. Beide Konfliktparteien hätten Stärken und Schwächen, sagte er.

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