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Ein ukrainischer Kommandeur während einer Übung.

© action press/Ukrinform via ZUMA Press Wire /

Ukraine-Invasion Tag 470: Ukrainische Gegenoffensive – wo an der Front jetzt gekämpft wird

Die Folgen des Dammbruchs + Putin begrüßt afrikanische Friedensinitiative + Nato uneins, welche Sicherheitsgarantien sie der Ukraine geben kann. Der Überblick am Abend.

Die Angriffe der ukrainischen Truppen entlang der gesamten Front haben in den vergangenen Tagen deutlich zugenommen. In der Nacht zu Donnerstag gab es auf mehreren Telegram-Kanälen, die von russischen Kriegsbloggern betrieben werden, Meldungen über einen größeren ukrainischen Angriff im Gebiet Saporischschja. Damit ist die Ukraine mittlerweile an drei Abschnitten der Front mit ernsthaften Offensivaktionen befasst.

Wie die „Washington Post“ unter Berufung auf ukrainische Militärkreise berichtet, hat mit den Vorstößen im Südwesten die ukrainische Gegenoffensive offiziell begonnen, auch im Westen trainierte und mit westlichen Waffen ausgerüstete Einheiten sind beim Vorstoß in der Gegend beteiligt (Quelle hier). Darunter auch deutsche Leopard-Panzer. Der ukrainische Militärpressedienst sprach dagegen von „kleinen Gegenstößen“ und davon, dass die Ukraine in der Gegend immer noch „in der Defensive“ sei.

Hier ein kurzer Überblick, was aktuell wo passiert. Wichtig dabei: Die meisten Meldungen von der Front sind meist einen halben Tag verzögert.

1. Gebiet Saporischschja, der Südwesten der Front

Hier haben die meisten Experten in den vergangenen Wochen den Hauptschlag der ukrainischen Gegenoffensive erwartet. Das Ziel: Einen Keil bis zum Asowschen Meer zu treiben und die russischen Truppen auf der Krim und in der Südukraine von Landweg nach Russland abzuschneiden. Entsprechend aufgeregt waren die Berichte der russischen Kriegsblogger in der Nacht.

Mehr oder weniger sicher ist bisher, dass es heftigen ukrainischen Artilleriebeschuss auf die russischen Stellungen gab und danach Kampfverbände bestehend aus Panzern und Infanterie nahe des Ortes Mala Tokmatschka vorgerückt sind. Das Ziel des Vorstoßes ist wahrscheinlich der rund 40 Kilometer südlich gelegene strategisch wichtige Ort Tokmak. Das gesamte Gebiet zwischen den Orten ist allerdings von ausgefeilten, in fünf Zonen gestaffelten Defensivanlagen durchzogen.

Von Tokmak aus würden sich den Ukrainern dann weitere Angriffsmöglichkeiten in Richtung Süden eröffnen. Das Gebiet hinter Tokmak bis hin zur größeren Stadt Melitopol (rund 60 Kilometer) und weiter an die Küste des Asowschen Meeres (weitere rund 40 Kilometer) sind kaum noch befestigt. Hier wäre wahrscheinlich ein schneller Durchmarsch möglich.

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2. Gebiet Donezk, die „Mitte der Front“

Hier, genauer um den Ort Welyka Nowosilka rund 90 Kilometer westlich der Gebietshauptstadt Donezk, dauern die Kämpfe an mehreren Stellen wohl seit Sonntag an. Hier entstand wohl auch eines der wenigen Videos eines ukrainischen Angriffs, das tatsächlich verifiziert werden kann. Die Drohnenaufnahme zeigt, wie rund zehn gepanzerte ukrainische Fahrzeuge von Minen und/oder Artilleriebeschuss zerstört werden, als sie versuchen eine Stellung zu etablieren. Es sind Bilder, die in den kommenden Wochen häufiger zu sehen sein werden. Die ukrainische Führung betont seit längerem, wie verlustreich die Offensive werden könnte.

Laut Angaben von US-Offiziellen sind die Ukrainer zwischen fünf und zehn Kilometer auf ihrer Angriffsachse vorgerückt. Die Ukrainer nutzen dabei auch französische und britische Panzerfahrzeuge und haben aus mindestens vier Richtungen angegriffen. Interessant: An dieser Stelle der Front sind die russischen Verteidigungsanlagen sehr viel weniger stark ausgebaut als zum Beispiel um Tokmak (siehe oben). Von der einzigen großen Verteidigungslinie sind die Ukrainer Stand Donnerstag allerdings immer noch rund 10 Kilometer entfernt.

3. Gebiet Bachmut, der östlichste Teil der aktuellen Vorstöße

Kurz nachdem die Wagner-Söldner die Stadt am 20. Mai für erobert erklärt hatte, begannen die ukrainischen Truppen an den Flanken mit lokalen Gegenstößen, um die Stadt einzukreisen. Inzwischen sind die Wagnertruppen ganz aus der Stadt abgezogen und durch Einheiten der regulären russischen Armee ersetzt. Auch die Ukrainer hatten zwischendurch eine Pause in den Angriffen eingelegt, um sich zu regruppieren.

Seit einigen Tagen gibt es wieder Angriffe und wohl Fortschritte für die Ukrainer. „Unsere Truppen sind nicht länger in der Defensive, sondern in Richtung Bachmut in der Offensive“, erklärte Vize-Verteidigungsministerin Hanna Maliar auf Telegram am Mittwoch. In den vergangenen 24 Stunden seien die Truppen zwischen 200 und 1100 Meter vorangekommen.

Die wichtigsten Nachrichten des Tages:

  • „Nichts dergleichen hat die Ukraine getan“: Noch immer ist unklar, wer für die Sprengungen der Nord-Stream-Gasleitungen verantwortlich ist. Der ukrainische Präsident dementiert jegliche Beteiligung. Mehr hier.
  • In der Nacht zu Dienstag zerstörte eine Explosion den Kachowka-Staudamm in der Südukraine. Experten suchen nun nach Gründen. Ein Bericht nennt jetzt „kriminelle Fahrlässigkeit“ als Ursache. Mehr hier. 
  • Die Nato ist uneins, welche Sicherheitsgarantien sie der Ukraine geben kann. Einige Länder könnten deswegen selbst die Initiative ergreifen, sagt der ehemalige Nato-Generalsekretär Anders Rasmussen. Mehr hier.
  • Mit neuen Maßnahmen gegen Belarus will Großbritannien Machthaber Alexander Lukaschenko den Geldhahn abdrehen und eine Umgehung von Sanktionen gegen Russland verhindern. Künftig sei die Einfuhr von Holz, Gold, Zement und Gummi aus Belarus als „Einnahmequellen des Lukaschenko-Regimes“ verboten, teilte das Außenministerium in London am Donnerstag mit. Mehr in unserem Newsblog. 
  • Bundeskanzler Olaf Scholz hofft, dass zum Nato-Gipfel in Vilnius im Juli auch Schweden dem westlichen Verteidigungsbündnis beitreten kann. Von dem Gipfel solle ein Signal der Geschlossenheit ausgehen, sagt er bei einem Treffen mit der italienischen Ministerpräsidentin Giorgia Meloni. Hintergrund ist der anhaltende Widerstand der Türkei gegen einen schwedischen Beitritt.
  • Der Ukraine droht durch die Flutkatastrophe im Süden des Landes nach Angaben der Regierung ein mehrere Milliarden Tonnen schwerer Ernteausfall. Nach dem Bruch des Kachowka-Staudamms in dieser Woche seien Zehntausende Hektar landwirtschaftlicher Nutzfläche in der Südukraine überschwemmt worden, teilt das Agrarministerium mit. Videos vom Donnerstag aus der Überschwemmungsregion zeigen, wie russische Artillerie die Rettungsarbeiten behindert. 
  • In der besetzten Regionalhauptstadt Luhansk gab es erneut einen Angriff mit Raketen durch die Ukrainer. Wahrscheinlich wurden von Großbritannien gelieferte „Storm Shadow“ Marschflugkörper genutzt. Ziel war wohl ein Lager, beziehungsweise Reparaturzentrum der russischen Armee.
  • Infolge des verheerenden Hochwassers nach der Zerstörung des Kachowka-Staudamms sind im russisch besetzten Teil des südukrainischen Gebiets Cherson mehrere Menschen ums Leben gekommen. Der Besatzungschef der besonders betroffenen Stadt Nowa Kachowka, Wladimir Leontjew, sprach am Donnerstagvormittag im russischen Staatsfernsehen von fünf Toten.
  • Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hat die von Überschwemmungen betroffene Oblast Cherson im Süden des Landes besucht. Er habe dort über die Situation nach der Zerstörung des Kachowka-Staudammes beraten, teilt Selenskyj auf Telegram mit. „Viele wichtige Fragen wurden besprochen. Die operative Lage in der Region infolge der Katastrophe, die Evakuierung der Bevölkerung aus potenziellen Überschwemmungsgebieten, die Beseitigung der durch die Dammexplosion verursachten Notlage, die Organisation der Lebenserhaltung in den überschwemmten Gebieten“, zählt er auf.
  • Der südafrikanische Präsident Cyril Ramaphosa hat Russlands Staatschef Wladimir Putin in einem Telefonat über einen geplanten Friedensvorstoß afrikanischer Staats- und Regierungschefs informiert. Putin habe die Initiative begrüßt und seinen Wunsch zum Ausdruck gebracht, die Delegation aus Afrika zu empfangen, teilt das südafrikanische Präsidialamt mit. 
  • Der frühere US-Vizepräsident Mike Pence würde die Ukraine als Präsident der Vereinigten Staaten eigenen Worten zufolge weiterhin militärisch gegen Russland unterstützen. „Wir müssen den Menschen in der Ukraine die Fähigkeit geben, zu kämpfen“, sagte Pence am Mittwoch bei einer Fragestunde mit Bürgern im TV-Sender CNN. Dabei teilte er auch gegen seinen ehemaligen Chef, Ex-Präsident Donald Trump aus. Dieser habe Kremlchef Wladimir Putin bei dessen Einmarsch ein „Genie“ genannt. „Ich kenne den Unterschied zwischen einem Genie und einem Kriegsverbrecher“, sagt Pence. 
  • Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg hat für Donnerstag eine Dringlichkeitssitzung mit der Ukraine wegen der teilweisen Zerstörung des Kachowka-Staudamms in der Südukraine angesetzt. Der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba soll per Videoschalte an dem Treffen der Nato-Ukraine-Kommission teilnehmen. Kuleba zufolge findet die Sitzung auf seine Bitte hin statt.

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