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Ukrainische Artillerie an der Front

© Imago/Ukrinform/Vyacheslav Madiyevskyi

Ukraine-Invasion Tag 579: Eine Million Geschosse pro Jahr – hat die EU Kiew zu viel versprochen?

Russische Raketen treffen Odessa, Aussicht auf Kompromiss im Getreidestreit zwischen Kiew und Warschau, Standing Ovations für einen mutmaßlichen SS-Veteranen? Der Überblick am Abend.

Das russische und das ukrainische Militär unterscheidet viel, eines allerdings eint die zwei Armeen: Ihre Abhängigkeit von der Artillerie als wichtigstem Kampfgerät. Sowohl in der Defensive wie in der Offensive machen beide davon Gebrauch. Die ukrainische Gegenoffensive wäre ohne die rund 8000 Schuss pro Tag aus den großkalibrigen Geschützen nicht möglich. 

Umso wichtiger ist es für Kiew – und seine Unterstützer – genug Munition für den enormen Verbrauch zu liefern. Im Frühjahr hatte die EU zugesagt, innerhalb der nächsten zwölf Monate eine Million Geschosse für die Artillerie zu liefern. Eine stattliche Zahl, die immer noch deutlich unter dem theoretischen Verbrauch der Ukraine in dieser Zeitspanne liegt (ca. 3 Millionen Geschosse). 

Fraglich ist aber, ob die EU ihr Versprechen überhaupt halten kann. Zwar glaubt der Chef des französischen Rüstungskonzerns Nexter Systems, Dominique Guillet, dass man es „fast erreichen“ werde. Sein Kollege Morten Brandtzaeg, Chef des größten norwegischen Munitionsherstellers Nammo aber sagt: „Die Kapazitäten sind schlicht nicht da“ (Quelle hier).

Der Grund ist einfach: Nach dem Kalten Krieg wurde die Rüstungsindustrie durch immer weniger Aufträge geschrumpft, diese Kapazität fehlt jetzt. Zudem sind die Fabriken teilweise veraltet und wie überall fehlt es an Fachkräften.

In den vier Monaten von Februar bis Mai erhielt Kiew etwas mehr als 200.000 Geschosse aus der EU und Norwegen. Das ist ungefähr auch die Zahl an 155-Millimeter-Geschossen, die vor dem Ukrainekrieg pro Jahr hergestellt wurde. Und schon jetzt hat sich die Kapazität der Rüstungsunternehmen deutlich erhöht. Das deutsche Unternehmen Rheinmetall schätzt, dass es dieses Jahr 450.000 Geschosse produzieren kann. Wie viel genau aus Frankreich, Norwegen und anderen EU-Ländern dazukommt, ist unklar. Aber: Auch andere Länder bestellen Munition und die Bestände der Nato-Armeen müssen aufgefüllt werden. 

Diese Gemengelage ist auch ein Grund dafür, warum die USA inzwischen Streumunition an Kiew liefern. Davon gibt es große Mengen in US-Beständen, eingesetzt werden diese ohnehin nicht mehr. Und auch die USA wollen ihre Munitionsproduktion deutlich steigern. Knapp 60.000 Geschosse wollen US-Firmen ab nächstem Frühjahr monatlich produzieren. Gemeinsam erreichen die USA und die EU so vielleicht das Ziel. 

Die wichtigsten Nachrichten des Tages:

  • Polens Präsident Duda sagt Hilfe bei Transport in Drittstaaten zu: Nach internationaler Kritik an der polnischen Regierung in der Eskalation des Streits um Getreideexporte will der Präsident die Lage entschärfen – verteidigt aber Einschränkungen. Mehr hier. 
  • Nach dreiwöchiger Reise: Der russische Oppositionelle Kara-Mursa ist in der Hochsicherheitskolonie IK-6 angekommen. Kara-Mursa überlebte zwei Giftanschläge – dadurch sei seine Gesundheit gefährdet, berichtet sein Anwalt. Mehr hier.
  • Parlamentschef entschuldigt sich für Ehrung eines SS-Veteranen: Während seines Kanada-Besuchs erhielt der ukrainische Präsident eine erhebliche finanzielle Zusage von Premierminister Trudeau. Doch eine umstrittene Ehrung sorgt für Aufsehen. Mehr hier.
  • Russland greift Odessa mit Drohnen und Raketen an: In einem nicht bewohnten Hochhaus in Odessa ist nach einem Drohnenangriff ein Feuer ausgebrochen. Auch ein Lagerhaus und ein Privathaus wurden beschädigt. Mehr hier.
  • Früher als geplant: Präsident Selenskyj bestätigt die Ankunft der ersten amerikanischen Panzer in der Ukraine. Wie viele der 31 versprochenen Abrams geliefert wurden, ist allerdings noch unklar. Mehr hier.
  • Die russischen Rohöllieferungen sind in diesem Frühjahr trotz der Sanktionen der EU und der G7 um 50 Prozent gestiegen. Dies berichtet die „Financial Times“ unter Berufung auf Daten des Analyseunternehmens Kpler. Nach Schätzungen der Wirtschaftshochschule in Kiew würden wegen des Anstiegs der Ölpreise auch die Einnahmen Russlands aus dem Ölgeschäft ansteigen, berichtet das Blatt. Mehr in unserem Newsblog.
  • In der russischen Region Kursk sind nach Angaben lokaler Behörden bei einem ukrainischen Drohnenangriff mehrere Privathäuser und ein Verwaltungsgebäude beschädigt worden. Auch die russische Region Belgorod wurde Ziel von Drohnenangriffen. 
  • Verteidigungsminister Boris Pistorius ist zu einem dreitägigen Besuch im Baltikum eingetroffen. Der SPD-Politiker und seine Delegation landeten am Montag in der lettischen Hauptstadt Riga, wo Gespräche über die sicherheitspolitische Lage und die weitere militärische Kooperation mit dem Nato-Partner auf dem Programm stehen. 
  • EU-Handelskommissar Valdis Dombrovskis hat während seines China-Besuchs Unverständnis für die Haltung der Volksrepublik zum Ukraine-Krieg geäußert. Territoriale Integrität sei für China immer ein Grundprinzip in der internationalen Diplomatie gewesen und Russlands Krieg verletze dieses Prinzip offensichtlich, sagte der Lette vor Studenten der hoch angesehenen Tsinghua Universität in Peking am Montag.
  • Nach dem russischen Luftangriff in der zentralukrainischen Stadt Krementschuk ist die Zahl der Verletzten offiziellen Angaben zufolge auf mehr als 50 gestiegen. Unter den Verletzten seien auch sechs Kinder sowie eine schwangere Frau, teilte der Militärgouverneur der Region Poltawa, Dmytro Lunin, am Sonntag auf Telegram mit. Neunzehn Menschen seien im Krankenhaus. Bei dem Angriff am Freitag war mindestens ein Mensch getötet worden.
  • Unionsfraktionschef Friedrich Merz fordert die Bundesregierung zu einer raschen Entscheidung über die Lieferung deutscher Marschflugkörper auf. „Die Amerikaner haben nun entschieden, Marschflugkörper zu liefern, ich bin gespannt, wie die Bundesregierung sich dazu stellt“, sagte Merz der „Augsburger Allgemeinen“ laut einem Vorabbericht.

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