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Ukrainische Soldaten der 71. Jägerbrigade feuern eine Haubitze M101 auf russische Stellungen an der Frontlinie ab.

© dpa/Efrem Lukatsky

Ukraine-Invasion Tag 778: Zu wenige Männer in der Ukraine im wehrfähigen Alter

Russische Raketenangriffe auf ukrainische Energieversorgung. Klingbeil will russische Vermögen für Ukraine-Unterstützung nutzen. Der Nachrichtenüberblick am Abend.

Der Krieg Russlands gegen die Ukraine dauert inzwischen mehr als zwei Jahre – deutlich länger als wohl viele anfangs gedacht hatten. Nicht wenige Soldaten sind seitdem im Einsatz, verwundet oder erschöpft. Und für die Ukraine wird es zunehmend zum Problem, neue Soldaten für ihre Verteidigung gegen Russland zu finden. Das Land hat daher heute ein Gesetz zur Mobilmachung verabschiedet.

Das Gesetz soll unter anderem eine leichtere Einberufungsprozedur ermöglichen, indem ein digitales System eingeführt wird. Zudem erhöht es die Strafen für Kriegsdienstverweigerer. Neben Geldstrafen für ignorierte Einberufungen droht zukünftig auch mit wenigen Ausnahmen der Entzug der Fahrerlaubnis. Mehr dazu lesen Sie hier.

Erst Anfang April hatte die Ukraine bereits das Alter für die Einberufung in den Militärdienst von 27 auf 25 Jahre gesenkt. Die „New York Times“ fragt in diesem Zusammenhang (hier zu lesen): Kann die Ukraine neue Soldaten finden, ohne eine ganze Generation zu dezimieren?

Das Problem hat das Medium in einer grafischen Analyse dargestellt. Der Zusammenbruch der Sowjetunion 1991 und die darauffolgende Wirtschaftskrise habe zu einem starken Rückgang der Geburtenrate geführt - bei einer sowieso schon recht überschaubar großen Elterngeneration. Der starke Rückgang habe mehr als ein Jahrzehnt gedauert. Die damals geborenen Jungen seien heute zwischen 18 und 27 Jahre alt. Bestes Kampfalter also. In der Ukraine gebe es heute doppelt so viele Männer in den Vierzigern als in den Zwanzigern. 

Reporter der „New York Times“ haben mit ukrainischen Männern gesprochen, die genau in diesem Alter sind und eben auch von den Änderungen betroffen sind (Quelle hier).

Jegor Khomchenko ist Besitzer einer Gemeinschaftsbäckerei in der Ostukraine. Er wird im nächsten Monat 25 Jahre alt. Seine Frau Amelia habe ihm gesagt, dass sie „alles tun würde, um zu verhindern, dass ich weggebracht werde“, heißt es in dem Bericht. „Ich mache mir Sorgen, sogar ein wenig Angst“, sagt Khomchenko. „Aber alles wird so sein, wie Gott es beabsichtigt hat.“ Jegor und Amelia haben gemeinsam einen Sohn. „Wir können uns ein getrenntes Leben nicht vorstellen und wissen nicht, wie Menschen, die über Monate und Jahre durch Krieg getrennt sind, diese Tortur bewältigen können“, sagt er.

Oleksandr Manchenko ist 26 Jahre alt und Journalist in Charkiw. Er zeigt Verständnis für die Entscheidung Selenskyjs, das Einberufungsalter zu senken. „Vielleicht dachte er, dass die Ukraine auf die Mobilisierung junger Menschen verzichten könnte, aber die militärische Situation lässt uns diesen Luxus offenbar nicht zu“, sagt er.

Weiter sagt er, er respektiere den Mut derjenigen, die sich in den ersten Tagen des Krieges gemeldet hätten. „Ihnen ist es zu verdanken, dass wir überlebt haben.“ Er selber wolle eigentlich nicht kämpfen, doch: „Ich werde nicht vor der Mobilisierung davonlaufen und mich verstecken. Wir werden also sehen, wie sich mein Schicksal entwickelt.“

Denys Yemets, Elektriker in einem Stahlwerk in der Südukraine, ist jüngst 25 Jahre alt geworden. Er glaube, er werde mehr im Stahlwerk gebraucht als in der Armee. Aber wenn er einberufen würde, würde er kämpfen, sagt er. „Zuerst haben wir alle gehofft, dass es schnell vorbei sein würde, aber später stellte sich heraus, dass die Realität viel härter ist.“

Die wichtigsten Nachrichten des Tages im Überblick:

  • Die Energieversorgung der Ukraine ist in der Nacht auf Donnerstag nach Behördenangaben erneut zum Ziel schwerer russischer Raketenangriffe geworden. Betroffen seien Anlagen zur Stromerzeugung und -Verteilung in den Gebieten Charkiw, Saporischschja, Lwiw und Kiew, teilte Energieminister Herman Haluschtschenko auf Facebook mit. Auch im Gebiet Odessa gab es Schäden. Der größte Stromproduzent des Landes, DTEK, teilte auf Telegram mit, zwei seiner Wärmekraftwerke seien beschädigt worden. Mehr dazu hier.
  • Die ukrainische Friedensnobelpreisträgerin Oleksandra Matwijtchuk hat Deutschland angesichts der dramatischen Lage in ihrem Land dringend zu mehr Waffenlieferungen aufgerufen. „Helft uns! Helft uns mit Waffen! Liefert uns Taurus-Raketen, damit wir diesen Krieg gewinnen können“, sagte Matwijtchuk dem Magazin „Focus“. Zu Forderungen nach einer Verhandlungslösung mit Russland äußerte sie sich kritisch.
  • Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hat bei einem Besuch in Litauen auf weitere Waffenhilfe des Westens zur Abwehr russischer Luftangriffe gedrängt. „Für uns ist die Flugabwehr der Punkt Nummer 1, die Priorität Nummer 1“, sagte er nach einem Treffen mit seinem Amtskollegen Gitanas Nauseda in Vilnius. Dort nimmt er am Gipfeltreffen der Staaten der sogenannten Drei-Meere-Initiative teil.
  • Kasachstan will aus Sorge vor ausbleibenden Lieferungen aus Russland infolge ukrainischer Angriffe auf dortige Raffinerien den Verkauf von Benzin und Diesel rationieren. Zugleich sollen die Preise an den Zapfsäulen für Ausländer erhöht werden, wie das Energieministerium mitteilte. Demnach sollen kasachische Bürger künftig maximal 300 Liter pro Tag kaufen können. Der Preis soll bei 205 Tenge (0,42 Euro) je Liter liegen.
  • SPD-Chef Lars Klingbeil hat sich dafür ausgesprochen, auch den Zugriff auf russische Gelder für die Unterstützung der Ukraine zu nutzen. „Um Waffen für die Ukraine zu beschaffen, sollte auch eingefrorenes russisches Vermögen herangezogen werden können“, sagte Klingbeil dem „Spiegel“. Er ging damit weiter als Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), der sich bisher nur für eine Konfiszierung von Zinsgewinnen aus russischen Vermögen offen gezeigt hat. Mehr dazu in unserem Newsblog.
  • Großbritanniens Außenminister David Cameron hat Russland vorgeworfen, den in Russland inhaftierten russisch-britischen Kreml-Kritiker Wladimir Kara-Mursa seit seiner Festnahme vor zwei Jahren „erniedrigenden und unmenschlichen Haftbedingungen“ ausgesetzt zu haben. Cameron beschuldigte die russischen Behörden, den sich verschlechternden Gesundheitszustand von Kara-Mursa zu missachten.
  • Der republikanische Präsidentschaftskandidat Donald Trump lehnt die Einladung ab, in die Ukraine zu reisen. „Es gab keine Kontaktaufnahme von Selenskyj und Präsident Trump hat öffentlich erklärt, es wäre nicht angemessen für ihn, jetzt in die Ukraine zu reisen, da er nicht Oberbefehlshaber ist“, teilt sein Wahlkampf-Büro mit. Zuvor hatte der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj ihn via Zeitungs-Interview gebeten, in die Ukraine zu kommen und seine Vorstellungen für einen Frieden zu erläutern.
  • Russland wird nach eigenen Angaben nicht an der Friedenskonferenz in der Schweiz teilnehmen. Moskau habe keine Einladung zur Konferenz erhalten, teilte die russische Botschaft in Bern mit. „Aber selbst im Fall des Erhalts einer Einladung für so ein Ereignis würde sie die russische Seite nicht annehmen“, heißt es weiter in der Pressemitteilung.

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