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Ein russischer Rekrut schießt auf einem Schießplatz während einer militärischen Trainingseinheit.

© picture alliance/dpa/ZUMA Press Wire

Ukrainische Gegenoffensive: Mitten rein in die russische „Tötungszone“

Moskau hat in den besetzten Gebieten ein gigantisches Verteidigungsnetzwerk errichtet. Ob es seine Wirkung entfaltet, hängt aber vor allem von zwei Faktoren ab.

Welches Chaos losbricht, wenn im Krieg ein Frontabschnitt kollabiert, war auf den ukrainischen Drohnenaufnahmen aus Bachmut vergangene Woche eindrucksvoll zu erkennen. Russische Soldaten verlassen ihre Deckung im Schützengraben und fliehen über das offene Feld, wo sie dem Beschuss der vorrückenden Ukrainer schutzlos ausgeliefert waren. Die Ukrainer nehmen die Stellung kurz darauf ein.

Laut dem ukrainischen Vize-Verteidigungsminister haben die ukrainischen Truppen in den vergangenen Tagen 20 Quadratkilometer an Territorium südlich und nördlich der seit Monaten umkämpften Stadt zurückerobert.

Der polnische Militäranalyst Konrad Muzyka fasst die vergangenen Tage in Bachmut so zusammen: „Auf russischer Seite sieht man mangelnde Koordination, schlechte Kommunikation und Moral.“ Die Folge: Ein ungeordneter Rückzug, wie er auf dem Drohnenvideo zu sehen ist.

Bemerkenswert sei auch, dass die ukrainischen Erfolge ohne den Einsatz von westlichen Waffen wie Bradley-Schützenpanzern oder Leopard-Panzern erzielt wurden. „Es scheint also, dass die russischen Verteidigungslinien zumindest bei Bachmut leicht zu durchbrechen sind“, schreibt Muzyka.

Die große Frage mit Hinblick auf die bevorstehende ukrainische Offensive ist: Werden die russischen Verteidigungslinien, die inzwischen große Teile der besetzten Gebiete durchziehen, genauso leicht zu überrennen sein?

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Vor allem im Korridor zwischen den Städten Saporischschja und Donezk, wo die meisten Experten mit dem Hauptangriff der ukrainischen Truppen rechnen, zeigen Satellitenaufnahmen russische Verteidigungsstellungen, die sich über Hunderte Kilometer erstrecken. Schützengräben, Panzergräben, Sperren und Artillerieunterstände legen sich in verschiedenen Verteidigungszonen wie Zwiebelschichten um neuralgische Punkte der Front.

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Russlands Verteidigung: Der Feind soll nicht nur aufgehalten werden

„Die erste Verteidigungslinie“, erklärt der Militärexperte Franz-Stefan Gady, „hat im Allgemeinen den Zweck, einen potenziellen Durchbruch zu verlangsamen und so der operativen Reserve Zeit zu verschaffen.“ Grundsätzlich ließe sich sagen, dass die Ukrainer an den meisten Frontabschnitten keine größeren Probleme haben werden, die erste Verteidigungslinie der Russen zu überwinden. „Die Frage ist, was danach passiert.“

Das mehrschichtige Verteidigungssystem soll die ukrainischen Soldaten nicht einfach bloß aufhalten. Ziel sei es viel mehr, den Feind in sogenannte „Tötungszonen“ zu lenken und „den Zusammenhalt sowie seine kombinierten Waffenteams aufzubrechen“, schreibt der australische Ex-General und Militärexperte Mick Ryan in seiner Analyse der Satellitenbilder.

Hat Russland genügend Soldaten für so viele Schützengräben?

Aber nicht nur die Ukraine muss sich Gedanken machen, wie sie die Verteidigung durchbricht. Auch Russland steht vor einer schwierigen Aufgabe: nämlich der Verteilung der Truppen in dem großflächigen Netzwerk von Stellungen.

Westlichen Schätzungen zufolge soll die Zahl der russischen Soldaten als Folge zusätzlicher Mobilisierungen auf 350.000 – 400.000 angewachsen sein. Im Süden, so schätzt der ukrainische Geheimdienst, habe Moskau insgesamt 152.000 Soldaten für die Verteidigung der Front zusammengezogen. Wobei die Qualität der Kämpfer im Vergleich zum Kriegsbeginn durch die mangelnde Erfahrung und die notdürftige Ausbildung stark abgenommen hat.

Aus diesem Grund lässt sich nur schwer bestimmen, ob wirklich genügend Truppen für die Verteidigung bereitstehen. Denn wie viel von der Front abgedeckt werden kann, hängt maßgeblich von den jeweils eingesetzten Streitkräften und ihrer Ausstattung ab.

„Eine Infanterie- oder Panzergrenadierkompanie hat beispielsweise eine andere Raumgröße als eine Panzerkompanie“, erklärt der österreichische Oberst Markus Reisner. Im Schnitt könne eine Kompanie - normalerweise bestehend aus 150 bis 200 Soldaten – in der Verteidigung eine Breite von 1,5 bis zwei Kilometer einnehmen, fügt er an.

Hat Russland eine seiner größten Schwächen in den Griff bekommen?

Zu den Zweifeln, ob Russland genügend Soldaten hat, um die Stellungen zu besetzen, kommt eine weitere Unbekannte: Sind die russischen Einheiten für die Verteidigung flexibel und schnell genug? In dem Mangel an Beweglichkeit und Anpassungsfähigkeit an neue Situationen bestand bisher eine der größten Schwächen der russischen Truppe.

„Bei einer solchen gestaffelten Verteidigung müssen nicht permanent alle Schützengräben bis in die Tiefe besetzt sein. Vielmehr geht es für die russische Gefechtsfeldaufklärung darum, rechtzeitig zu erkennen, wo die Ukraine ihren Hauptangriff setzt, um dort dann operative Reserven einzusetzen“, erklärt Militärexperte Gady. Es komme also vor allem darauf an, „wie viele Soldaten Russland wie schnell im Ernstfall verschieben kann“.

Jüngst zeigten sich die Probleme in genau dieser Disziplin in Bachmut vergangene Woche. Was Muzyka als „fehlende Koordination“ beschreibt, bedeutete konkret, dass ukrainische Einheiten genau in der Mitte zwischen zwei Verteidigungsstellungen durchbrachen.

Russlands 72. Motorisierte Schützenbrigade verpasste es in diesem Moment, den überforderten Wagner Söldnern bei der Sicherung des Frontabschnittes zur Hilfe zu eilen. Die Folge? Kiews Truppen rückten vor.

Zur mangelnden Flexibilität der russischen Truppen trägt auch die fehlende Eigeninitiative in kritischen Situationen bei. „Grundsätzlich ist es so, dass innerhalb der russischen Armee eine rigide Kommandostruktur herrscht.

Die Furcht davor, einen Befehl nicht ausführen, ist größer, als in einer dynamischen Gefechtssituation eine eigene und womöglich bessere Entscheidung zu treffen“, analysiert Franz-Stefan Gady. Ob Russland im Vergleich zu früheren Offensiven hier dazugelernt habe, bleibe abzuwarten.

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