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Große Aufbruchsstimmung auf dem Maidan-Revolution 2013/2014 in Kiew.

© Reuters/Thomas Peter

Zehn Jahre Maidan-Revolution: Die Zukunft nach dem Krieg gehört einer neuen Generation

Am 21. November 2013 begann in der Ukraine die Maidan-Revolution, die zum Sturz der korrupten Regierung führte. Zehn Jahre später hat sich vieles verändert – im Guten wie im Schlechten.

Zehn Jahre sind seit dem Moment vergangen, an dem Wiktor Janukowytsch, der damalige ukrainische Präsident, auf Druck Russlands auf die Unterzeichnung eines Assoziierungsabkommens mit der EU verzichtete, was die Maidan-Revolution auslöste.

Mehr als 100 Menschen starben schließlich im Februar 2014 im Rahmen der bewaffneten Auseinandersetzung mit Spezialeinheiten der Polizei um den Kiewer Unabhängigkeitsplatz.

Während Janukowytsch nach Russland fliehen musste, ist die Ukraine mittlerweile offizieller EU-Beitrittskandidat und könnte bald sogar Beitrittsverhandlungen aufnehmen – eine Perspektive, die im November 2013 als vollkommen unrealistisch erschien.

Auf einem anderen Blatt stehen fast zehn Jahre Krieg, fünf teilweise besetzte Gebiete, zahlreiche zerstörte Dörfer und Städte sowie mindestens Zehntausende tote Zivilisten.

Während des Aufstandes moderierte Selenskyj noch im russischen Staatsfernsehen

Obwohl er mit der Maidan-Revolution eigentlich nichts zu tun hatte, steht kaum jemand so sehr für tektonische Veränderungen in diesen zehn Jahren wie der Mann, den die EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen (CDU) besonders gern in Kiew und woanders trifft: Wolodymyr Selenskyj.

Noch während des Maidan, in der Ukraine auch als "Revolution der Würde" bekannt, moderierte der damals auch in Russland als A-Promi geltende Selenskyj eine Neujahresgala im russischen Staatsfernsehen.

Während der Maidan-Revolution kam es zu schweren Auseinandersetzungen zwischen Demonstranten und Spezialeinheiten der Polizei, mehr als 100 Menschen starben (Archivbild).
Während der Maidan-Revolution kam es zu schweren Auseinandersetzungen zwischen Demonstranten und Spezialeinheiten der Polizei, mehr als 100 Menschen starben (Archivbild).

© AFP/Sergei Supinsky

In wenigen Monaten, nach der völkerrechtswidrigen Annexion der Krim, stellte der ursprünglich russischsprachige Schauspieler und Produzent seine Tätigkeit im Nachbarland ein. Zehn Jahre später führt er nun nicht nur ein Land im Zustand eines vollumfänglichen Krieges an, sondern ist auch die Lokomotive dessen europäischer Integration.

Dass mit Selenskyj eine vollkommen überraschende Figur und ein politischer Quereinsteiger zu dieser Lokomotive wurde, ist weniger überraschend als man im ersten Moment denkt – auch wenn viele aktive Maidan-Teilnehmer den amtierenden Präsidenten nicht besonders mögen.

Ex-Präsident Poroschenko erreichte wichtige Vorhaben

Denn in der Natur der Maidan-Revolution lag eine prinzipielle Diskrepanz zwischen den Anführern der drei Parlamentsfraktionen um Vitali Klitschko einerseits und dem Großteil der Hunderttausenden von Ukrainern andererseits, die sonntags im Zentrum Kiews demonstrierten.

Der Ex-Boxweltmeister Klitschko ging zwar selbst mit einer guten Startposition in die Revolutionsmonate, konnte aber seine Führungsqualitäten nicht beweisen. Und obwohl die Freilassung der willkürlich verurteilen Ex-Ministerpräsidentin Julija Tymoschenko tatsächlich zu wichtigen Forderungen der Protestierenden zählte, wollte kaum jemand die umstrittene Politikveteranin an der Spitze der neuen Ukraine sehen.

Aus diesen Faktoren sowie aus der Not, am Rande der Krim-Annexion und des beginnenden Donbass-Krieges eine erfahrene Person auf dem wichtigsten Posten zu haben, entstand die Präsidentschaft des Unternehmers Petro Poroschenko.

Petro Poroschenko als Präsident der Ukraine im August 2015.
Petro Poroschenko als Präsident der Ukraine im August 2015.

© AFP/Mykola Lazarenko

Anders als Selenskyj gehörte er zu Großgewichten der ukrainischen Politik, stand aber sowohl bei der Orangenen Revolution 2004 als auch beim Maidan eher in der zweiten Reihe – und profitierte in Krisenzeiten stark vom Image des seriösen Geschäftsmannes.

In seiner Amtszeit erreichte er wichtige Vorhaben wie die Aufhebung der EU-Visapflicht für Ukrainer und das Einrichten des Freihandelsraums mit Brüssel. Zu den Gründen für seine krachende Abwahl in der Stichwahl 2019 gegen Selenskyj gehörte letztlich jedoch, dass er zu sehr Geschäftsmann blieb.

Wolodymyr Selenskyj wurde damals zum ersten aktiv von der russischsprachigen Bevölkerung unterstützten Kandidaten der jüngsten ukrainischen Geschichte, der sich offen für EU- und Nato-Integration der Ukraine aussprach – ein historischer Meilenstein.

Nur noch zwei wichtige Politiker aus der Maidan-Zeit übrig

Gleichzeitig trat er als Friedenspräsident an und glaubte trotz allem daran, sich mit dem Kreml „irgendwo in der Mitte“ einigen zu können. Diese Illusion hat sich trotz ernsthafter Bemühungen seiner Administration mit dem russischen Angriff am 24. Februar 2022 erledigt. Jegliche prorussische Politik ist in der Ukraine seitdem unvorstellbar.

Klitschko und Poroschenko sind die einzigen beiden großen Politiker der Maidan-Zeit, die weiter relevant ist. Der Kiewer Bürgermeister Klitschko steht im offenen Konflikt mit Selenskyj und beklagt sich gerne über zu großen Einfluss seines mächtigen Stabschefs Andrij Jermak.

Ex-Präsident Poroschenko hat eine kleine, aber treue Gefolgschaft, die jede Chance nutzt, um Poroschenkos EU-Errungenschaften hochzuloben und seinen Nachfolger zumindest indirekt anzugreifen.

Die nächste Revolution wird nicht auf der Straße stattfinden

Auf der Seite Selenskyjs stehen trotz der bleibenden Skepsis einiger national orientierter Wähler dagegen einige der Maidan-Hauptfiguren aus der Zivilgesellschaft wie der Ex-Journalist Mustafa Najem, der mit seinem Facebook-Post die Demonstrationen initiierte und nun die Staatsagentur für Wiederaufbau der Ukraine anführt.

Keine dieser Figuren hat mit den Aufgaben gerechnet, die auf sie nach November 2013 zukamen – und keine passte ideal für ihre Rolle.

Allesamt haben sie unter schwierigsten Umständen allerdings dazu beigetragen, dass sich die ukrainische Staatlichkeit trotz russischer Bemühungen bewährt hat und dass die außenpolitische Ausrichtung der einst zerrissenen Ukraine fester denn je steht.

Nach dem Krieg werden aber nicht sie, sondern eine neue Generation unter anderem den schwierigen EU-Beitrittsprozess richten: Die zukünftige politische Elite wird größtenteils aus Generälen, Gouverneuren und Aktivisten bestehen, die sich im Krieg besonders gut gezeigt haben.

Die nächste Revolution wird wohl nicht auf der Straße, sondern auf natürlichem Wege stattfinden.

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