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„Unbegreiflich“: Zwei Wochen nach der Flut wird in Libyen immer noch nach Vermissten gesucht.

© AFP/Ozan Kose

Zwischen Hoffnung und Herausforderung: Die Katastrophen nach der Katastrophe in Libyen

Zwei Wochen nach der Flut in Derna regiert dort noch immer das Chaos. Hilfsorganisationen kämpfen gegen die Folgen – und die Hindernisse der Politik.

Der Zugang zu Wasser ist vielerorts unmöglich, zerstörte Straßen erschweren die Versorgung der Überlebenden, die Angst vor einem Cholera-Ausbruch ist groß. Tausende werden noch immer vermisst, etwa 4000 Todesopfer sind der Weltgesundheitsorganisation zufolge bisher identifiziert.

Auch zwei Wochen nachdem der Sturm „Daniel“ dem Osten Libyens Extremregen brachte und Überschwemmungen die Stadt Derna verheerten, regiert das Chaos.

Die UN-Nothilfekoordinatorin für Libyen, Georgette Gagnon, nannte die Lage nach einem Besuch am Wochenende „unbegreiflich“. Christian Katzer von Ärzte ohne Grenzen (MSF) fügt im Gespräch mit dem Tagesspiegel hinzu: Jetzt werde „immer deutlicher, wie viel tatsächlich an medizinischer und humanitärer Hilfe nötig ist.“

Der Bürgerkrieg erschwert die Hilfe

Verschiedene Hilfsorganisationen haben dem Tagesspiegel erzählt, dass ihre Mitarbeiter neben akuter Nothilfe immer häufiger psychologisch unterstützen müssen. Eigentlich ein Tabu in Libyen.

Rettungsteams durchsuchen die Trümmer in der östlichen Stadt Soussa.

© AFP/Ozan Kose

Viele Überlebende haben ihre Angehörigen in den Fluten verloren, ganze Familien sind gestorben. Andere brauchen Hilfe, das Erlebte der ersten Tage aufzuarbeiten.

Sie alle müssen ihr Leben neu aufbauen“, erklärt Katzer. Dass so viele nun erstmals um therapeutische Hilfe bitten, sei „ein eindrückliches Zeichen für das, was sie erlebt haben“.

Auch die Folgen des jahrelangen Bürgerkriegs lähmen Hilfsleistungen, mindestens vier Helfer kamen bisher bei Rettungseinsätzen ums Leben.

„Das zeigt das Risiko bei Bergungsarbeiten“, erzählt Christof Johnen, Leiter für Internationale Zusammenarbeit beim Deutschen Roten Kreuz, dem Tagesspiegel.

Jetzt wird immer deutlicher, wie viel tatsächlich an medizinischer und humanitärer Hilfe nötig ist.

Christian Katzer , Ärzte ohne Grenzen Deutschland

Ganze Landstriche in Libyen sind vermint, die Wassermassen haben die Landminen nun auch in andere Gegenden des Landes gespült.

Die Region, auch Derna, ist aufgrund früherer Konflikte mit explosiven Überresten kontaminiert“, erklärt Christof Johnen. „Durch die Überschwemmungen sind die Risiken für die Menschen größer geworden.“

In dem gespaltenen Land geht das Ringen zwischen den zwei verfeindeten Regierungen weiter. Schon jetzt laufe ein „Kampf um die Kontrolle über Milliarden libysche Dinar für den Wiederaufbau“, schreibt Experte Wolfram Lacher von der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) bei X, vormals Twitter.

Die schon zuvor grassierende Korruption und Vernachlässigung der Bevölkerung, die mit zur Katastrophe beitrug, dürfte weitere Kreise ziehen. Wut und Verzweiflung über die politische Führungsriege entluden sich vergangene Woche, Hunderte Menschen protestierten in Derna und forderten, dass die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen werden.

Bereits wenige Tage nach den Überschwemmungen wurden Vorwürfe laut, dass die Behörden die Staudämme nicht ordnungsgemäß instandgehalten und somit zum Ausmaß der Katastrophe beigetragen haben.

Mit wenig Erfolg. General Chalifa Haftar herrscht im Osten des Landes, auch die Flutregion um Derna steht unter seiner Kontrolle. Vor den Toren der Stadt wurden Kontrollpunkte errichtet, das Telekommunikationsnetz ist teilweise abgestellt worden. Eine besondere Herausforderung für die Helfenden.

Klimaanfällige und konfliktbetroffene Gemeinschaften wie Libyen müssen bei globalen Klimamaßnahmen Vorrang haben.

Elie Abouaoun, Landesdirektor für Libyen beim International Rescue Committee

Schon vor dem Sturm waren die medizinischen Einrichtungen „in teils sehr schlechtem Zustand, einige Gebäude und Infrastrukturen sind im Krieg zerstört worden“, beschreibt Christian Katzer die Schwierigkeiten vor Ort.

„Unser Team hat in den ersten Tagen ein Krankenhaus im Westteil von Derna besucht, dessen Mitarbeitende fast alle in den Fluten umgekommen sind.“ All das erschwert Nothilfe zusätzlich.

Zugleich sei es vor den Überschwemmungen für internationale Helfer fast unmöglich gewesen, Visa für Libyen zu erhalten. Nun gebe es zumindest Sicherheitsgenehmigungen der örtlichen Behörden, sagt Katzer. 

Auch Zeichen der Hoffnung

„Naturkatastrophen haben eventuell eine momentane Beruhigung des Konflikts zur Folge, dies darf aber nicht dazu führen, sich in falscher Sicherheit zu wiegen.“

Völlige Verwüstung: Die Aufräumarbeiten in Libyen laufen weiter.

© AFP/Ozan Kose

Mittlerweile wächst die Sorge vor Cholera, die Leitungsnetze für die Trink- und Abwasserversorgung sind zwei Wochen nach der Flut noch immer beschädigt. Dutzende Kinder seien bereits an der Magen-Darm-Krankheit erkrankt, insgesamt wurden 150 Krankheitsfälle gemeldet. „Unsere Bemühungen konzentrieren sich deshalb auf die Gesundheitsversorgung“, sagt Elie Abouaoun, Landesdirektor für Libyen beim International Rescue Committee dieser Zeitung.

Im Oktober beginnt die Regenzeit, das erhöht die Gefahr einer Infektion mit Cholera, Typhus oder Malaria zusätzlich.

Unterstützung für die Region bleibe langfristig wichtig: „Klimaanfällige und konfliktbetroffene Gemeinschaften wie Libyen müssen bei globalen Klimamaßnahmen Vorrang haben“, fordert Abouaoun. Dies sei entscheidend, um die „Widerstandsfähigkeit und Anpassung an immer schwerwiegendere klimatische Ereignisse zu gewährleisten“.

Doch es gebe trotz des Chaos auch immer wieder Signale der Hoffnung, sagt Christian Katzer: „Erste kleine Geschäfte haben wieder geöffnet, ein kleines Zeichen von Normalität.“

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