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Ein zerstörtes Areal in der libyschen Stadt Derna am 18. September 2023 nach der tödlichen Sturzflut.

© AFP/MAHMUD TURKIA

Klimawandel begünstigte Libyen-Flut : Studie: „Ein extrem ungewöhnliches Ereignis“

Eine Analyse der Flutkatastrophe im Mittelmeer sieht einen Einfluss des Klimas, betont aber auch andere Faktoren, die das Ereignis verschärft haben. Die Region wird als Hotspot der Klimarisiken angesehen.

Die katastrophalen Überschwemmungen in Libyen und Griechenland Anfang September wurden unter anderem durch den Klimawandel verschärft. Zu diesem Schluss kommt ein Forschungsteam der World Weather Attribution (WWA).

Die starken Regenfälle in Griechenland, Bulgarien und der Türkei seien durch den Klimawandel bis zu zehnmal wahrscheinlicher geworden, in Libyen bis zu 50-mal. Auch andere menschliche Faktoren hätten die Überschwemmungen verstärkt, heißt es in der am Dienstag veröffentlichten Analyse.

Die Bautätigkeit in den Überschwemmungsgebieten sowie die schlechte Wartung der Dämme und Abholzung von Wäldern hätten das extreme Wetter zu einer humanitären Katastrophe werden lassen, so die WWA-Forschenden.

Ungewöhnlich warmes Meer

Die verheerenden Starkregen wurden durch Tiefdruckgebiete verursacht, die am Rande eines blockierenden Hochs über den Niederlanden fest hingen. Am 3. September kam es in Spanien auf der Westseite das Omegablocks innerhalb weniger Stunden zu sintflutartigen Regenfällen, gefolgt von sehr starken Regenfällen und Überschwemmungen durch das Tiefdruckgebiet „Daniel“ in Griechenland und Bulgarien zwischen dem 4. und 7. September.

Das Tiefdruckgebiet „Daniel“ zog weiter über das Mittelmeer, wo es sich durch das ungewöhnlich warme Wasser weiter mit viel Feuchtigkeit anreicherte und am 10. September in Libyen zu extremen Regenfällen und verheerenden Überschwemmungen führte.

50
mal hat der Klimawandel ein Ereignis wie die Sturzflut in Libyen wahrscheinlicher gemacht.

Nahe der besonders stark betroffenen Stadt Darna brachen zwei Dämme, ganze Viertel der Stadt mit rund 100.000 Einwohnern wurden ins Meer gespült. Viele Tausend Menschen kamen in dem nordafrikanischen Bürgerkriegsland durch die Katastrophe ums Leben. Gegenwärtig gibt es über 4000 identifizierte Todesfälle, weiterhin werden noch mehr als 10.000 Menschen vermisst.

Nur einmal in 300 bis 600 Jahren

Um die Auswirkungen des Klimawandels auf Starkniederschläge in der Region zu quantifizieren, analysierten die Wissenschaftler Klimadaten und Computersimulationen, um das heutige Klima nach einer globalen Erwärmung von etwa 1,2 Grad seit Ende des 19. Jahrhunderts mit dem Klima der Vergangenheit zu vergleichen. 

Blick auf das von Hochwasser und Schlamm überschwemmte Gebiet in Mittelgriechenland. Teile davon stehen nach wie vor unter Wasser.

© picture alliance/dpa/AP/Vaggelis Kousioras

Für Libyen kamen sie zu dem Ergebnis, dass in diesem Zeitraum 50 Prozent mehr Regen fiel als zu erwarten gewesen wäre. Dieses Ereignis sei extrem ungewöhnlich und im derzeitigen Klima nur einmal in 300 bis 600 Jahren zu erwarten. Für Griechenland, Bulgarien und die Türkei ergab die Analyse, dass durch den Klimawandel bis zu 40 Prozent mehr Regen fiel: Für diese große Region, die Teile der drei Länder umfasst, ist ein solches Ereignis inzwischen recht häufig und etwa alle zehn Jahre zu erwarten. Für Zentralgriechenland, wo die größten Regenmengen fielen, sei ein solches Ereignis weniger wahrscheinlich und nur alle 80 bis 100 Jahre zu erwarten.

Ein zentrales Ergebnis der Studie ist, dass die extremen Auswirkungen der Niederschläge in einigen Regionen auf eine Kombination hoher Anfälligkeit der Bevölkerung und ihrer Exposition gegenüber dem Unwetterereignis zurückzuführen sind. So befanden sich in der betroffenen Region in Zentralgriechenland die meisten Städte und Gemeinden sowie ein Großteil der Infrastruktur in überschwemmungsgefährdeten Gebieten.

Eine Omega-Wetterlage Anfang September über Europa ließ das Tief Daniel über dem Balkan nahezu ortsfest abregnen, bevor es weiter nach Libyen zog.

© Grafik: Tsp/Bartel | Quelle: DWD, Wetter Online

In Libyen habe eine Kombination mehrerer Faktoren zur Katastrophe geführt: Dazu zählen die Forscher:innen lang anhaltenden bewaffneten Konflikt, politische Instabilität sowie mögliche Konstruktionsfehler und schlechte Wartung der Staudämme. „Das Zusammenspiel dieser Faktoren und die sehr starken Regenfälle, die durch den Klimawandel noch verschlimmert wurden, führten zu der extremen Zerstörung.“

Analyse mit großen Unsicherheiten

Die Ergebnisse sind nach Angaben der Forschenden allerdings mit großen mathematischen Unsicherheiten behaftet, da die Ereignisse in relativ kleinen Gebieten stattfanden und die meisten Klimamodelle Niederschläge auf kleinen Skalen nicht gut darstellen können. Es sei nicht auszuschließen, dass der Klimawandel die Wahrscheinlichkeit und Intensität solcher Ereignisse nicht beeinflusst hat. Die Analyse sei beschränkt worden durch fehlende Daten, etwa zu den genauen Regenmengen in Libyen und der beschränkten Darstellung von Starkregen in Modellen.

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Dennoch gehen die Forschenden von einem Einfluss der Erwärmung auf die Ereignisse aus, da erhöhte Temperaturen im Allgemeinen zu stärkeren Regenfällen führen; zudem prognostizieren Studien auch stärkere Regenfälle in der Region, wenn die Temperaturen steigen.

Attributionsforscherin Friederike Otto vom Imperial College London verwies dabei auf die um sieben Prozent erhöhte Aufnahme von Feuchtigkeit in der Luft pro Grad Erwärmung. Zudem habe Tief „Daniel“ sich ähnlich einem „Medicane“ verhalten (ein Hurrikan-ähnlicher Sturm im Mittelmeer), von denen bekannt ist, dass sie durch die Erwärmung verstärkt werden. Ein tatsächlicher „Medicane“ war das Sturmtief allerdings nicht, da die dafür nötige Windgeschwindigkeit nicht erreicht wurde.

Zerstörte Gebäude und Häuser entlang eines Flussbetts in Derna.

© Reuters/Ayman Al-Sahili

„Das Mittelmeer ist ein Hotspot der durch den Klimawandel verursachten Gefahren“, so die Einschätzung von Friederike Otto. Während die verheerenden Hitzewellen und Waldbränden dieses Sommers einen sehr deutlichen Fingerabdruck des Klimawandels aufgewiesen hätten, sei der Beitrag der globalen Erwärmung zu den Überschwemmungen schwieriger zu bemessen gewesen. „Aber es besteht absolut kein Zweifel daran, dass die Verringerung der Anfälligkeit und die Erhöhung der Widerstandsfähigkeit gegen alle Arten von extremen Wetterbedingungen von größter Bedeutung sind, um in Zukunft Leben zu retten.“

Die Forschenden konnten auch keine Hinweise auf Faktoren finden, die solchen Starkregen ohne den Einfluss des Klimawandels wahrscheinlicher machen würden. Die Region zeige einen Trend zu stärkeren Regenfällen. Aufgrund der Grenzen der Aussagekraft der Modelle gaben die Wissenschaftler aber keine eindeutige Abschätzung zum Einfluss des Klimawandels auf das Ereignis ab.

Vassiliki Kotroni, Forschungsdirektorin des Nationalen Observatoriums in Athen, bezeichnete die extremen Niederschläge in Zentralgriechenland als Wendepunkt. Jetzt müssten die Frühwarnsysteme an das Zeitalter des Klimawandels angepasst werden, und zwar in Bezug auf wirkungsbasierte Warnungen, die Reaktionsfähigkeit des Katastrophenschutzes und die Gestaltung widerstandsfähiger Infrastrukturen. Als Maßnahmen schlagen die WWA-Forschenden ein verstärktes Notfallmanagement, verbesserte Vorhersagen, Warnsysteme und an das künftige Klima angepasste Infrastruktur vor.

Die World Weather Attribution Group ist eine internationale Forschergruppe, die in Schnellstudien Zusammenhänge zwischen extremen Wetterereignissen und dem Klimawandel anhand etablierter Computermodelle erforscht. An der vorliegenden Studie waren Forscher von Universitäten und Forschungszentren in Griechenland, den Niederlanden, Großbritannien und den USA beteiligt.

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