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Am 10. Mai 1933 auf dem Berliner Opernplatz: Bücher in Flammen.

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90 Jahre Bücherverbrennung: Hugo Hamiltons Roman „Echos der Vergangenheit“

Der irische Schriftsteller erzählt, wie eine Ausgabe von Joseph Roths Roman „Die Rebellion“ vor den Flammen der Nazis gerettet wird und eine Welle des Widerstands in Gang setzt.

Als am 10. Mai 1933 auf dem Berliner Opernplatz und in vielen anderen deutschen Universitätsstädten die Bücher von über dreihundert Autoren in Flammen aufgingen, waren auch die von Joseph Roth dabei. „Sie werden Bücher verbrennen und uns damit meinen“, hatte Roth ein Jahr zuvor geahnt und war am Tag vor der NS-Machtübernahme am 30. Januar 1933 nach Paris geflüchtet.

Den unbedingten Widerstandswillen eines Oskar Maria Graf hatte Roth nicht. Graf schrieb kurz nach der Bücherverbrennung in der Wiener „Arbeiterzeitung“: „Verbrennt mich! Verbrennt die Werke des deutschen Geistes! Er selbst wird unauslöschlich sein wie eure Schmach“. Für Roth, war es von nun an „die Hölle“, die das Regiment übernommen hatte. Er starb an Alkoholismus und nicht zuletzt an den Folgen der Emigration im Mai 1939 in einem Pariser Armenhaus, von seinem Freund Stefan Zweig unter anderem so kommentiert: „Wir werden nicht alt, wir Exilierten.“

Joseph Roths Geist und Werk jedoch sind tatsächlich unauslöschlich geblieben. Das beweist jetzt wieder einmal der pünktlich zum 90. Jahrestag der Bücherverbrennung veröffentlichte Roman „Echos der Vergangenheit“ von Hugo Hamilton.

Der Roth-Roman „Die Rebellion“

Der irische Schriftsteller macht darin ein Buch von Roth zum Erzähler, eine Ausgabe seines Roman „Die Rebellion“, die 1924 veröffentlicht wurde. „Und da bin ich, als Erstausgabe, leicht beschädigt und etwas ausgeblichen. Immer noch lesbar. Ein kurzer Roman über einen Leierkastenmann, der im Ersten Weltkrieg ein Bein verlor. Die Umschlagillustration zeigt die Silhouette eines Mannes mit Holzbein, der die Krücke zornig gegen den eigenen Schatten erhebt.“

Diese Ausgabe, so will es Hamiltons Roman, bleibt von den Flammen verschont. Ihr Besitzer, ein Professor der Humboldt-Universität mit jüdischer Herkunft, drückt sie einem den Nazis fernstehenden Studenten in die Hand, einem gewissen Dieter Knecht, und setzt damit „eine stille Welle des Widerstands“ in Gang. „Die Rebellion“ landet später bei Knechts Sohn und seiner in den USA lebenden Enkeltochter Lena, einer Künstlerin. Lena verliert den Roman schließlich bei einem Aufenthalt im Berlin der Gegenwart.

Hamilton hat „Echos der Vergangenheit“ auf zwei Ebenen angesiedelt. Einerseits schildert er, wie Lena in Berlin die Ausgabe von Roths Roman zurückbekommt, von Armin, einem jungen Mann tschetschenischer Herkunft. Armin entdeckt die Einladung zu einer Vernissage darin und stößt so auf Lena, um ihr die Ausgabe von „Die Rebellion“ zu bringen. Andererseits begibt sich Hugo Hamilton nicht nur immer wieder in Roths Roman selbst und erzählt die Geschichte des unglücklichen Leiermanns, sondern bettet in seinen eigenen Roman auch die Biografie von Joseph Roth, insbesondere dessen Beziehung zu seiner Frau Friedl.

Der irische Schriftsteller Hugo Hamilton

© Marc O'sullivan

Diese wird am 12. Mai 1900 als Friederike Reichler in Wien geboren und lernt Roth in ihrer Heimatstadt im „Literatencafé“ kennen. Sie heiraten 1922. Irgendwann in den mittleren zwanziger Jahren zeigen sich bei ihr erste Anzeichen einer psychischen Erkrankung, was 1930 eine Krankeneinweisung zur Folge hat. Friedl wird 1940 auf Schloss Hartheim in der Nähe von Linz Opfer des NS-Euthanasieprogramms.

Hamilton wechselt gekonnt, mitunter fast unmerklich zwischen den Erzählebenen. Immer mal wieder lässt er Roths Buch als Ich-Erzähler zu Wort kommen, überdies streut er zahlreiche literarische Referenzen aus. Unter anderem übersteht „Die Rebellion“ die Nazi-Zeit versteckt in einer Ausgabe von Fontanes „Effi Briest“: „Zwischen Fontanes Buchdeckeln begann ich ein Doppelleben. Ich steckte unter Effis Wintermantel, als sie am Tag der schicksalhaften Schlittenfahrt mit Major Crampas aus dem Haus ging“.

In Berlin wiederum geht es turbulent zu. Hamilton bürdet dabei dem Roth-Roman ein bisschen zu viel Aktualität auf, dem Leierkastenmann und seinem Schicksal kommt hier eine arg überdeutlich repräsentative Funktion zu.

Die Kraft der Literatur

Da sind Armin und seine Schwester, die im Tschetschenien-Krieg als Kind ein Bein verlor, da ist der Rechtsradikale, der die beiden verfolgt, da sind Lena und ihr US-Ehemann Mike, der wiederum versucht, seine in Iowa lebende Mutter vor paranoiden Nachbarn zu beschützen. Zu alldem kommt eine Zeichnung hinten in der „Rebellion“-Ausgabe, die zu dem jüdischen HU-Professor und seiner Frau zurückführt.

Trotzdem: Hamilton erzählt schnell, mit leichter Hand und kurzen Sätzen. Sein Roman ist eine Verbeugung vor Roth, insbesondere auch dem Schicksal seiner Frau Friederike. Und nicht zuletzt erinnert er an die Kraft der Literatur, an ihre Widerständigkeit. Denn es hat lange gedauert, bis man in Deutschland wieder der verbrannten Dichter gedachte.

Erst 1977 veröffentlichte der „Stern“-Reporter Jürgen Serke dreißig Porträts von Schriftstellerinnen und Schriftstellern, deren Werk in den Nazi-Flammen umkam. Anders als Roth sind die meisten von ihnen vergessen worden. „Wenn ein Buch vor dem Feuer gerettet wird, werden auch Menschen gerettet“, schreibt Hamilton in seinem Nachwort. Die Hoffnung, auch davon kündet „Echos der Vergangenheit“, lässt sich nicht einfach verbrennen.

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