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Alexandra Daisy Ginsbergs Kunstwerk vor dem Musuem für Naturkunde heißt „Pollinator Pathmaker LAS Edition“.

© Juan Camilo Roa

Blumenwiese vor dem Museum für Naturkunde: Wenn die KI ein Insektenparadies errechnet

Die britische Künstlerin Alexandra Daisy Ginsberg hat einen Garten für bestäubende Insekten auf dem Vorplatz des Museums für Naturkunde in Berlin eingerichtet.

Wie würde ein Garten aussehen, wenn Insekten ihn gestalten dürften? Welche Pflanzen müssten angepflanzt werden, damit Bienen, Schmetterlinge und andere Bestäuber zu allen vier Jahreszeiten Nahrung finden? Die britische Künstlerin Alexandra Daisy Ginsberg scheint die Antworten zu diesen Fragen gefunden zu haben.

Einen solchen Garten für bestäubende Insekten kann zurzeit auf dem Vorplatz des Museums für Naturkunde in Berlin begangen werden. Noch bis 2026 soll der Garten hier gedeihen, summen und flirren. Der Mensch ist geduldet, schließlich soll er ihn pflegen und wässern. Die Bach-Nelkenwurz, die Gemeine Wegwarte, der Balkan-Bärenklau, Gräser und Schnittlauch, ja sogar die Artischocke, insgesamt 7000 Pflanzen 80 verschiedener Arten teilen sich die Fläche von 722 Quadratmetern. Ein Paradies für die emsigen Insekten!

Und genau darum geht es: Dieser Garten ist nicht für den Menschen zur Erholung oder Kontemplation angelegt. Tulpen, Rosen und Dahlien sucht man vergebens. Die Fläche dient als idealer Lebensraum für Insekten. Ginsberg lenkt die Aufmerksamkeit auf das Artensterben bestäubender Insekten und zeigt mit diesem „lebendigem Kunstwerk“, wie Natur, Mensch und Technologie zusammenhängen. „Ohne Bestäuber, kein Sex“, stellt die Künstlerin lapidar fest. Und ohne Sex tragen die Pflanzen keine Früchte, die wiederum für andere Tiere und uns Menschen als Nahrung dienen.

So paradox es klingt: Ginsberg will mithilfe neuester Technologien den Menschen helfen, wieder zurück zur Natur zu finden. Diesen Garten hat ein spezieller Algorithmus für sie gestaltet. Zusammen mit einem Team von Wissenschaftler:innen verschiedener Disziplinen hat sie 2020 über sechs Monate das KI-basierte Planungstool entwickelt.

Die britische Künstlerin Alexandra Daisy Ginsberg.
Die britische Künstlerin Alexandra Daisy Ginsberg.

© Nathalie Théry

Ginsberg nennt es den „Algorithmus der Empathie“. Und zwar Empathie für Pflanzen und Bestäuber. Die Künstlerin ist überzeugt, dass das menschenzentrierte Handeln der letzten Jahrhunderte die Welt in die heutige Klimakrise gestürzt hat. Nun sei es an der Zeit, auf die anderen Spezies zu achten. Alles hänge zusammen. Letztendlich kommt ein gesundes Ökosystem auch dem Menschen zugute.

Ginsberg versteht den Garten als soziale Plastik. Und ganz im Sinne von Joseph Beuys kann jede und jeder zum Künstler beziehungsweise zur Gärtnerin werden. Denn das Garten-Planungstool ist über die Homepage www.pollinator.art für jeden zugänglich. Im ersten Schritt wird man dort aufgerufen, Standort, Größe der Fläche und Bodenbeschaffenheit einzugeben. Im zweiten Schritt beginnt der sogenannte Empathie-Teil. Wie viele Pflanzenarten sollen verwendet werden? Wie klar oder komplex soll die Anlage gestaltet werden? Sollen Bestäuber angelockt werden, die in Flugbahnen oder in Terrains fliegen?

Am Ende erhält man eine individuelle, detaillierte Pflanzenliste und Pflanzanleitung. Eine 3-D-animierte Gartenfläche mit den eigenen Pflanzen wird simuliert. Jede Pflanzenart hat die Künstlerin selbst gezeichnet. Per Mausklick können sie zu verschiedenen Jahreszeiten erblühen, die Pflanzennamen oder die Bestäuberansicht angezeigt werden – alles begleitet vom Sound der summenden und brummenden Insekten.

Artenschutz kann jeder im Kleinen leisten, er kann Spaß machen und Artenschutz kann Kunst sein. „Denn die Natur ist die größte Kunst.“, so Ginsberg.

In Auftrag gegeben und finanziert wird das Projekt „Pollinator Pathmaker“ von der LAS Kunststiftung. Die Beete vor dem Museum für Naturkunde Berlin sind bereits die dritte Edition des „Pollinator Pathmakers“. Die erste fand 2021 im Eden Project in Cornwall statt und 2022 vor den Serpentine Galleries in London.

Das Projekt in Deutschland erweitert die Standortauswahl des Tools um die Länder Kontinentaleuropas. Sukzessive wird das Tool angepasst, denn längst sind noch nicht alle Länder (und Böden) der Erde erfasst. Die LAS Stiftung will Schulen, Vereine und gemeinnützige Organisationen finanziell und personell dabei unterstützen, solche DIY-Gärten in ganz Berlin anzulegen. Bisher sind Mitte, Neukölln, Friedrichshain, Malchow und Siemensstadt dabei. Das größte, lebendige Kunstwerk Berlins soll entstehen und zunächst national, dann international ausstrahlen. Dies alles soll vom Stiftungsgeld finanziert werden, über konkrete Summen macht die Stiftung jedoch keine Angaben.

2016 gründeten der Unternehmer Jan Fischer und die Kunsthistorikerin Bettina Kames die LAS Kunststiftung. Zusammen wollen sie „Schnittstelle für Kunst, Wissenschaft und neue Technologien“ sein, heißt es auf der Homepage. Von Fischer kommt das Geld, er bleibt aber lieber im Hintergrund. Kames ist Direktorin und ist für das Operative zuständig.

Die Kunstprojekte von LAS zeichnen sich durch spielerische, partizipatorische Elemente aus mit einem ernsten Kernbedürfnis: die (Um)Welt sozial gerechter machen. Damit erreichen sie ein größeres Publikum. „90% unserer Besucher sind keine typischen Museumsgänger.“, sagt Kames.

Auch zum Museum für Naturkunde werden neben Kunstinteressierten wohl auch Hobbygärtner und Klimaaktivistinnen kommen. Empathisches Gärtnern ist ein Schritt, den Blick zu weiten und den Übergang in das längst fällige Post-Anthropozän einzuläuten.

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