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Eine Seite aus „Madeleine, die Widerständige“.

© avant

Widerstandskämpferin Madeleine Riffaud : „Ich habe die Nazis gehasst, nicht die Deutschen“

Sie war Widerstandskämpferin, Dichterin und Kriegsreporterin. Jetzt würdigt eine Comicbiografie die Lebensgeschichte der 98-jährigen Madeleine Riffaud.

Von Ulrike Koltermann, AFP

Madeleine Riffaud war 19 Jahre alt, als sie an einem Sonntag im Juli 1944 auf einer Pariser Seine-Brücke einen deutschen Soldaten erschoss. „Die Nazis hatten einen meiner Freunde durch einen Schuss in den Rücken getötet. Das wollte ich nicht tun“, erinnert sich die heute 98-Jährige beim Gespräch in Paris. Sie habe gewartet, bis der Deutsche sich umdrehte.

„Zwei Kopfschüsse, er war gleich tot“, sagt sie und zieht gedankenverloren an ihrem Zigarillo. Riffaud, deren beeindruckende Lebensgeschichte kürzlich unter dem Titel „Madeleine, die Widerständige“ in Comic-Form veröffentlicht wurde (zusammen mit Jean-David Morvan und Dominique Bertail, auf Deutsch bei avant, Übersetzung aus dem Französischen von Annika Wisniewski, 128 S., 29 €) , zählt zu den letzten Zeitzeugen dieser dunklen Jahre.

Ein Blick auf ihre Erfahrungen macht deutlich, welchen Weg Frankreich und Deutschland seit dem Zweiten Weltkrieg zurückgelegt haben. Am 22. Januar feiern beide Länder den 60. Jahrestag ihres Freundschaftsvertrags.

Madeleine Riffaud 2021 bei einem Interview in Paris.

© AFP / CHRISTOPHE ARCHAMBAULT

„Ich habe immer die Nazis gehasst, aber nicht das deutsche Volk“, sagte Riffaud im Gespräch mit der Nachrichtenagentur AFP. Sie ist seit Wochen bettlägrig, umgeben von Büchern, Bildern und Vogelkäfigen, in denen es hüpft und zwitschert. Ihre Aussprache ist nur schwer zu verstehen, die Gestapo hatte ihr nach dem Anschlag auf den Offizier den Kiefer zertrümmert.

Ich wollte ein Signal geben. Paris musste sich erheben.

Madeleine Riffaud

„Mir war klar, dass es den Kriegsverlauf nicht ändert, wenn ich einen einzelnen Soldaten töte“, sagt Riffaud. „Aber ich wollte ein Signal geben. Paris musste sich erheben“, erinnert sie sich. Kurz zuvor hatte eine SS-Panzerdivision im Dorf Oradour-sur-Glane in der Nähe der Heimat ihrer Eltern mehr als 600 Menschen getötet.

Riffaud hatte von einem Freund, der dort war, davon erfahren. „Ich war voller Trauer, am Boden zerstört“, so beschreibt sie den Moment, in dem sie sich entschloss, selber zur Waffe zu greifen. Ein Franzose, der sie beobachtet hatte, übergab sie der Gestapo, um das Kopfgeld zu kassieren, das auf Widerstandskämpfer ausgesetzt war.

Eine Seite aus „Madeleine, die Widerständige“.

© avant

Sie wurde gefoltert und hätte erschossen werden sollen, aber entkam in letzter Minute. „Meine Eltern haben erst sechs Monate später erfahren, dass ich nicht tot war“, sagt sie. Später organisierte sie einen Überfall auf einen Zug voller deutscher Soldaten in Paris.

Es hätte leicht anders ausgehen können, aber am Ende kamen die Deutschen in Gefangenschaft, und die Widerstandskämpfer machten sich über die Essensvorräte der Soldaten her. „Am Abend habe ich jemanden nach dem Datum gefragt. Da habe ich gemerkt, dass es mein 20. Geburtstag war“, sagt Riffaud.

Merkel, die mochte ich.

Madeleine Riffaud

Sie war immer eine Kämpferin - und zugleich eine Dichterin. Als Decknamen in der Widerstandsbewegung hatte sie „Rainer“ gewählt, eine Hommage an den von ihr verehrten österreichischen Dichter Rainer-Maria Rilke.

Nach dem Krieg traf die traumatisierte junge Frau mit dem Lyriker Paul Eluard zusammen, der sie zum Schreiben ermunterte. Er brachte sie auch zu Pablo Picasso, der ein Porträt von ihr zeichnete, das eine Sammlung ihrer Gedichte schmücken sollte. „Ich habe das Porträt später verkauft, weil die Restaurierung zu teuer gewesen wäre“, sagt Riffaud. „So hat Rainer seine Freiheit wiederbekommen“, sagt sie in Anspielung auf ihren Decknamen.

Das Titelbild von „Madeleine, die Widerständige“.

© avant

Riffaud heiratete Pierre Daix, einen Widerstandskämpfer und Überlenden des Vernichtungslagers Mauthausen. Die Ehe hielt nicht lange.

1951 reiste sie in Begleitung von Picasso nach Ost-Berlin, um über die ersten Weltfestspiele der DDR zu berichten. „Es war das erste Mal, dass ich wieder Deutsch gehört habe“, sagt sie und macht eine längere Pause.

Schließlich wurde sie Kriegsreporterin und berichtet unter anderem aus Algerien und Vietnam. In Vietnam arbeitete sie sogar für das ZDF und verschaffte dem Sender exklusive Bilder von der Bombardierung durch die USA.

Die Entwicklung der deutsch-französischen Beziehungen hat Riffaud immer interessiert, auch wenn sie heute die Namen der Präsidenten und Kanzler durcheinanderbringt. An eine Politikerin erinnert sie sich aber gut: „Merkel, die mochte ich“, sagt sie und sucht nach dem Feuerzeug, um ihr Zigarillo wieder anzuzünden. (AFP)

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