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Josephine Baker by George Hoyningen-Huene, 1929, © George Hoyningen-Huene Estate Archives

© George Hoyningen-Huene Estate Archives

Ein Star, der aus der Rolle tanzte: Josephine Baker in der Neuen Nationalgalerie

Eine neue Ausstellung widmet sich dem ersten weiblichen Superstar mit afroamerikanischen Wurzeln. Auch in Berlin lag man ihr zu Füßen.

Paris in den zwanziger Jahren: Eine Stadt im Rausch der „Années folles“. Nach dem Ersten Weltkrieg und den verheerenden Folgen der Spanischen Grippe war die Metropole im Aufbruch und zog Künstlerinnen und Künstler aus der ganzen Welt an. Unter ihnen waren zahlreiche afroamerikanische, afrikanische und karibische Intellektuelle, Schriftsteller und Tänzer. Auch für sie war Paris der Ort, an dem sie ihren Begabungen und Leidenschaften ungehindert nachgehen wollten.

Die bekannteste von ihnen ist Josephine Baker, der die Neue Nationalgalerie in Berlin nun eine kleine Ausstellung widmet. Klaus Biesenbach, Direktor der Neuen Nationalgalerie, fühlte sich auf der letzten Venedig Biennale von einem Bild inspiriert. Im Untergeschoss des Central Pavillon hatte die künstlerische Direktorin Cecilia Alemani Künstler und Künstlerinnen gewürdigt, deren Werk und Einfluss im Kanon (zu) wenig reflektiert ist. Josephine Baker war eine von ihnen.

Armut und Diskriminierung

Geboren wurde die Ikone in ärmlichen Verhältnissen im segregierten Mittleren Westen der USA als Tochter einer Amateurtänzerin und Waschfrau, die Josephine und ihre vier Geschwister in relativer Armut großzog. Dieser Lebenswelt entkam Baker durch ihr Showtalent. In einer Zeit in der improvisierte Shows und neue Kompositionen die ganze Welt eroberten, schlug sich Baker bis nach New York und von dort weiter nach Paris durch.

Mit nur 19 Jahren hatte sie ihren ersten Auftritt in der Kabarett-Show „Revue nègre“ im Théâtre des Champs-Élysées und wurde über Nacht zu einem gefeierten Star. Niemand hatte solche Bewegungen gesehen, noch nie hatte eine Schwarze Künstlerin ihre Weiblichkeit so selbstbewusst in Szene gesetzt, ja gefeiert. Das Pariser Publikum stand kopf.

Eine Stummfilmaufnahme in der Ausstellung fängt die Energie aber auch den Zeitgeist dieser Jahre besonders ein. Josephine Baker tanzt leicht bekleidet mit einem Bananen-Rock. Sinnlichkeit, Sexualität, Befreiung, Auf- und Ausbruch – all das überträgt sich selbst in diesem alten, grobkörnigen Videoschnipsel. Zugleich ist die Performance purer Exotismus: Bühnenbild, Kostüme und Requisiten sind eine wilde Zusammenstellung an Klischees des imaginierten Afrikanischen: wirbelnde Bananenröcke, Palmen, Masken, bunte Früchte. 

Josephine Baker, Paris 1927.
Josephine Baker, Paris 1927.

© James Weldon Johnson Memorial Collection of Negro Arts and Letters, Yale University

Auf diese Rolle als Exotin ließ sich Josephine Baker jedoch nicht so einfach reduzieren. Auch dies zeigt ein Filmclip der Ausstellung. Hier tanzt sie leichtfüßig den Charleston und kombiniert die Tanzbewegungen mit einem grotesken Augentanz. Brygida Ochaim, freischaffende Choreografin, Kuratorin und Autorin, sieht in dieser Parodie eine Strategie der künstlerischen Selbstbehauptung. Es war, so Ochaim, Josephine Bakers Art auf den kolonialen Blick des Publikums zu reagieren und in der Übertreibung zu entlarven.

Eine Aufnahme der Ikone aus dem Jahr 1929.
Eine Aufnahme der Ikone aus dem Jahr 1929.

© George Hoyningen-Huene Estate Archives

Diese Selbstbestimmtheit, das Spiel mit den Grenzen der „Otherness“, wurde in den folgenden Jahren zur treibenden Kraft der transformativen Kulturfigur. Zusammen mit ihrem damaligen Lebenspartner und Manager „Graf“ Pepito Abatino begann sie, sich selbst zu vermarkten: Sie gründete einen Club mit ihrem Namen, schrieb zahlreiche Autobiografien, in der sie ihre eigene Lebensgeschichte immer wieder neu erfand, sie lancierte Kosmetiklinien, machte Plattenaufnahmen und nahm lukrative Filmrollen an. Nackt, leicht bekleidet oder mit schillernden Kostümen wurde sie von allen namhaften Fotografen jener Jahre porträtiert. 1934 galt sie als reichste afroamerikanische Künstlerin der Welt.

Triumphzug in Berlin

Auch in Berlin lag man Josephine Baker zu Füßen. Ab 1926 gastierte die „Revue Nègre“ im Berliner Nelson-Theater, Max Reinhardt wollte sie für das Deutsche Theater engagieren. Sie trat im Metropol-Theater auf. Überall verzauberte sie das Publikum und inspirierte die Berliner Bohème – ein Kapitel ihres Lebens, das die Berliner Ausstellung über einige Werke und Fundstücke aus den Sammlungen befreundeter Museen einfängt.

Zu sehen sind beispielsweise eine Skizze des österreichischen Architekten Adolf Loos, der nach einer Begegnung mit Josephine Baker ein Haus für sie entwarf (das leider nie gebaut wurde) oder ein von Paul Klee gezeichnetes Porträt von ihr mit dem Titel „Negride Schönheit“ (1927). In ihren Memoiren schreibt sie später: „Berlin, das ist schon toll! Ein Triumphzug. Man trägt mich auf Händen. In keiner anderen Stadt habe ich so viele Liebesbriefe bekommen, so viele Blumen und Geschenke.“

Josephine Baker auf der Bühne.
Josephine Baker auf der Bühne.

© Getty Images/Keystone Features

Ende des Liebestaumels

Wie schnell die Leichtigkeit jener goldenen Jahre verschwand, wie schnell sich das Blatt der Geschichte wendete, zeigt eine andere kleine Fotografie aus dem Jahr 1944. Hier sieht man Josephine Baker in der strengen französischen Uniform eines „Sous-Lieutenant“.

Schon als Josephine Baker 1929 für ein zweites Gastspiel nach Berlin kam, war die Stimmung in der Stadt eine andere. Sie wurde angefeindet, ihre Aufführungen wurden gestört. Am Ende reiste sie früher als geplant ab. Nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten wurde sie ganz von den Berliner aber auch den Pariser Bühnen vertrieben. Eben noch ein gefeierter Superstar, war sie für die neuen Machthaber ein „unmoralischer Untermensch“.

Josephine Baker sah sich gezwungen, sich auch in diesen neuen politischen Realitäten zu behaupten. Sie entschied sich als Spionin im französischen Widerstand zu kämpfen, ab 1941 verweilte sie in Französisch-Afrika und trat als Entertainerin für die amerikanischen Streitkräfte auf.

Weiblicher Superstar

Unermüdlich kämpfte Josephine Baker auch nach dem Krieg weiter. Sie wurde zu einer Protagonistin der amerikanischen Bürgerrechtsbewegung, setzte sich für Gleichberechtigung und Humanität ein. Noch spät gründete sie ihre Rainbow-Familie mit zwölf adoptierten Kindern aus verschiedenen Ländern, um auch in ihrem Privatleben das Konzept der universalen Menschenrechte zu leben. Sie verlor alles, tanzte weiter und wurde nicht müde immer und immer wieder die ihr gesetzten Grenzen zu überwinden.

All dies verhandelt die Ausstellung auf wenig Raum und feiert Josephine Baker dabei als Künstlerin und Autorin ihres eigenen Lebens. Auch deswegen haben die Kuratorinnen Terri Francis, Mona Horncastle und Kandis Williams die historischen Film-, Foto und Schriftmaterialien durch die Arbeiten zeitgenössischer Künstler und Künstlerinnen ergänzt, die die anhaltende Inspiration dieser einzigartigen Frau in ihren Arbeiten visualisieren und reflektieren.

Im April 1973 hatte Josphine Baker ihren letzten Auftritt. Nach über 50 Jahre Tanz wollte sie in ihrer Revue im Pariser Bobino die wichtigsten Abschnitte ihres Lebens in 33 Stationen erzählen. Am Ende der zweiten Vorstellung verabschiedete sie sich mit den Worten „Goodnight ladies and gentlemen, buona sera, buenas noches, shalom, shalom, ciao ciao,“ so schreibt es Mona Horncastle, Mitkuratorin der Ausstellung, eindrücklich.

Zwei Tage später verstarb sie. 2021 wurde Baker als sechste Frau und erste Schwarze Frau posthum in den Panthéon aufgenommen, dem Ruhmestempel der französischen Nation. Eine würdige Anerkennung, sie kam nur zu spät.

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