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Männer diskutieren, Frauen bedienen. In der Anfangszeit des „Internationalen Frühschoppens“ mit Werner Höfer als Moderator waren die Rollen klar verteilt.

© obs/WDR_KLAUS_BARISCH

Die Mutter aller politischen Talks feiert Jubiläum: Wein, Weib und Werner Höfer

Vor Jahren startete der „Internationale Frühschoppen“. 1987 kam für Moderator Werner Höfer der tiefe Fall, als seine journalistische Tätigkeit während der NS-Zeit zum Thema wurde.

Der „Internationale Frühschoppen“ wurde auch in Farbe ausgestrahlt. Stärker in Erinnerung geblieben sind tatsächlich aber die Anfangsjahre der am 30. August 1953 im Schwarz-Weiß-Fernsehen gestarteten Sendung, als Moderator Werner Höfer mit seinen Gästen dem Wein zusprach und die Runde mehr und mehr hinter Rauchschwaden verschwand.

Nazi-Vergangenheit

Im Dezember 1987 verschwand auch Werner Höfer vom Bildschirm. Der WDR trennte sich von seinem Moderator, nachdem Berichte über die Nazi-Vergangenheit Höfers bekannt geworden waren. Es war ein tiefer Fall. Denn der „Internationale Frühschoppen“ gehörte in der nach Anerkennung und Weltläufigkeit strebenden Bonner Republik schnell zum sonntäglichen Ritual in vielen Familien. „Für meinen Vater war der ,Internationale Frühschoppen’ der Gottesdienst nach dem Gottesdienst“, gab die Grünen-Politikerin Christa Nickels einmal zu Protokoll.

Für drei Jahrzehnte übernahm Höfer höchstselbst die Rolle des Gastgebers und Zeremonienmeisters. Der Mann mit der markanten Brille und der sonoren Stimme fragte die Ansichten seiner mehr oder weniger weit gereisten Kollegen zum Weltgeschehen ab - wenn er nicht gerade selbst zu mehr oder weniger längeren Exkursen ansetzte. An dem bumerangförmigen Tisch nahmen unter anderen Platz: Publizist Johannes Gross, Henri Nannen vom „stern“ oder „Spiegel“-Chef Rudolf Augstein, dazu beispielsweise die britische Reporterlegende Charles Wheeler, der sowjetische Journalist und spätere Berater von Michail Gorbatschow, Nikolai Sergejewitsch Portugalow, oder der US-Amerikaner Don Franklin Jordan.

Frauen kamen beim „Internationalen Frühschoppen“ lange über Statistenrollen kaum hinaus. Als Kellnerinnen hatten sie dafür Sorge zu tragen, dass die Kehlen der Diskutanten während der Sendung nicht austrockneten. Es herrschte „Weinzwang“, nur in Ausnahmefällen floss Wasser oder Saft. Über Herkunft und Qualität der dargereichten Tropfen kursieren unterschiedliche Angaben. Höfer legte in einem Zeitungsinterview 1973 jedenfalls Wert auf die Feststellung, die Zeche für einen „Frühschoppen“ überschreite nicht die Grenze von 50 D-Mark.

 Für meinen Vater war der ,Internationale Frühschoppen’ der Gottesdienst nach dem Gottesdienst

Grünen-Politikerin Christa Nickels

Zur 1.000. Ausgabe des „Frühschoppens“ am 21. März 1971 kam der damalige Bundeskanzler Willy Brandt ins Studio und gratulierte persönlich. Höfer war da längst eines der bekanntesten Gesichter des deutschen Fernsehens. Die Liste der Auszeichnungen für die Mutter aller politischen Talks reichte vom renommierten Grimme-Preis 1967 bis zum „Mainzer Schoppenstecher“ 1973. Der Moderator habe „Wein und Politik gleichermaßen populär gemacht“, hieß es zur Begründung.

Der Riss kam im Dezember 1987. Die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ und wenig später der „Spiegel“ berichteten ausführlich über die journalistische Tätigkeit Höfers in der NS-Zeit. Im September 1943 war unter seinem Namen ein Artikel im „12-Uhr-Blatt“ erschienen, der kaum verbrämt die Hinrichtung des Pianisten Karlrobert Kreiten wegen Wehrkraftzersetzung begrüßte. Die Episode war bereits länger bekannt, aber anders als früher nahm die Öffentlichkeit Höfers Erklärungen, die Passage sei ihm „hineinredigiert“ worden, nicht mehr ab.

Das abwiegelnde Verhalten des Moderators wurde zum Thema. Es sei weniger die Unfähigkeit zu trauern gewesen als vielmehr „die Unfähigkeit, sich öffentlich zu bekennen“, die am 20. Dezember 1987 zum Sendeschluss für Höfer und zur vorläufigen Sendepause für den „Frühschoppen“ führte, bilanzierte der Journalist Uwe Kammann.

Die Sendung wurde fünf Jahre später durch das vom WDR verantwortete ARD-Format „Presseclub“, sonntags zur Mittagsstunde, ersetzt. Phoenix, der gemeinsame Ereignis- und Dokumentationskanal von ARD und ZDF, ließ den „Internationalen Frühschoppen“ im Oktober 2002 wieder aufleben und zeigt die Traditionssendung immer dann, wenn der „Presseclub“ im Ersten ausfällt.

Auch ARD-Programmgeschäftsführerin Eva Lindenau moderiert den „Internationalen Frühschoppen“ im Phoenix-Programm.

© phoenix/WDR/Annika Fußwinkel

Diese unregelmäßige Frequenz ist überaus schade, denn nur in dieser Talkrunde wird über den deutschen Tellerrand hinausgeschaut. Was bemerkenswert ist: Der „Internationale Frühschoppen“ erfreut sich beim Publikum nach wie vor großer Beliebtheit. Die Sendung ist der Quotenhit im Phoenix-Programm: Mit einem durchschnittlichen Marktanteil von 4,0 Prozent und durchschnittlich 521.000 Zuschauer:innen in 2022 ist er die mit Abstand beliebteste Sendung des Ereignis- und Dokumentationskanals, meldet der Sender. Die meisten Zuschauer:innen bei Phoenix erzielte der „Frühschoppen“ im Februar 2021 mit dem Corona-Thema „Lockdown-Überdruss – Öffnen trotz dritter Welle?“, den 773.000 Menschen sahen. Insgesamt hat phoenix bisher 162 „Frühschoppen“-Ausgaben gesendet, in diesem Jahr bisher acht.

Phoenix-Programmgeschäftsführerin (ARD) und „Frühschoppen“-Moderatorin Eva Lindenau sagte zum Jubiläum: „70 Jahre nach der ersten Sendung ist der Internationale Frühschoppen das Gesprächsformat für eine Zeit mit enormen geopolitischen Veränderungen. Die Menschen schalten ein, weil im Frühschoppen internationale Themen von Journalist:innen aus unterschiedlichen Ländern und mit verschiedenen Perspektiven diskutiert und eingeordnet werden. Das weitet den Blick und hilft Entwicklungen besser einordnen zu können – vor allem seit dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine.“

Mehr „Frühschoppen“ wäre ein unbedingter Gewinn für das Publikum, weswegen ein wöchentlicher Wechsel zwischen „Presseclub“ und „Frühschoppen“ angeraten wäre. Auch müssten die Sendungen am Sonntag nicht ausfallen. Dieser unselige Wintersport-Marathon am Sonntag im Ersten könnte eine ernsthafte Pause gut vertragen. Dem Hörfunk ist die politische Talkshow nach wie vor eng verbunden. Der Frühschoppen wird parallel bei WDR 5 übertragen und im anschließenden „Internationaler Frühschoppen Nachgefragt“ können die Zuschauerinnen und Zuschauer über die WDR 5-Hotline weiterdiskutieren und Fragen stellen. Außerdem wird der Internationale Frühschoppen vom Deutschlandfunk live und von tagesschau24 zeitversetzt ausgestrahlt.

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