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Salman Rushdie am Freitag früh in Frankfurt bei der traditionellen Pressekonferenz mit dem Friedenspreisträger.

© imago/Hannelore Förster

Frankfurter Buchmesse: Tage mit Salman Rushdie

Erst ein Empfang, dann die traditionelle Pressekonferenz mit dem Friedenspreisträger des Deutschen Buchhandels: Salman Rushdie gibt sich in Frankfurt aufgeräumt und humorvoll.

Es ist kurz vor 19 Uhr an diesem Buchmessendonnerstag, und es geht in die Residenz des britischen Honorarkonsuls Andreas Fabritius, nicht weit vom Unseld-Haus in der Klettenbergstraße im Frankfurter Westend gelegen. Hier findet ein Empfang zu Ehren von Salman Rushdie statt, ausgerichtet vom britischen Konsulat und Rushdies Verlag Penguin Random House.

Gleich beim Abbiegen von der Holzhauser- in die Lichtensteinstraße sieht man von weitem schon einen Polizeiwagen und Sicherheitsleute. Mehr als Ausweis und Einladung braucht es am Einlass aber nicht, und unvermittelt und zwanglos steht man dann in Räumen, die voller Bilder und Buchregale sind. Fabritius scheint ein Anhänger von Impressionismus, Fauvismus und Pointillismus zu sein, unübersehbar Philipp Francks Wannsee-Bild an einer der Wände.

Rushdie steht in einer Ecke, einfach so, leicht gebeugt, an seiner Seite zumeist seine viele Jahre jüngere Frau, Rachel Eliza Griffiths, ebenfalls Autorin, wie man später erfährt. Er trägt einen dunklen, nicht so wahnsinnig gut sitzenden Anzug, ein dunkelblaues Hemd, blaue Leinenschuhe, dazu die Brille mit dem dunkelgetönten Glas über dem rechten Auge – und plaudert, stets ein Glas Wasser in der Hand.

Man kann Rushdie also ganz nahe sein, trotz der vielen, unübersehbaren Männer vom LKA in den Räumen. Nach und nach bilden sich Warteschlangen: Rushdie empfängt, praktisch alle der knapp einhundert Gäste schütteln ihm die Hand und wechseln ein paar Sätze mit ihm. Das Gesicht neigt er dabei meist leicht nach links, das rechte Ohr dem Sprecher zugewandt. Das hat womöglich damit zu tun, dass er eben nur noch mit dem linken Auge sieht.

Später richtet er im Foyer, auf einer Treppe stehend, ein paar aufgeräumte, auch launige Worte an seine Gäste. Dass nichts über das Geschichtenerzählen gehe, sagt er beispielsweise, „we are the storytelling animal“. Dass es für ihn immer ein Privileg gewesen sei, genau das zu machen, Geschichten zu erzählen, „das, was uns zu menschlichen Wesen macht“.

Der Friedenspreis sei eine Ehre, gerade mit den vielen Berühmtheiten und einigen Freunden von ihm als Vorgänger in der Preisliste. Niemals hätte er gedacht, diesen Preis einmal zu bekommen. Und überhaupt: „Ich bekomme nicht oft so eine Ehrung ausgerechnet in einer Kirche.“

We are the storytelling animal.

Salman Rushdie, Weltautor und Friedenspreisträger

Einen Tag später, morgens um 10 Uhr, ist wieder Salman-Rushdie-Time. Dieses Mal in einem ungleich nüchternen Ambiente im Congress Center der Messe, passenderweise in dem Saal, der „Illusion“ heißt, warum auch immer (ein anderer heißt „Harmonie“). Es ist dies die traditionelle Pressekonferenz mit dem jeweiligen Friedenspreisträger, der jeweiligen Friedenspreisträgerin. Rushdie schaut jetzt auch etwas offiziöser aus. Sein Hemd ist weiß, da drüber eine Weste, der schwarze Anzug sitzt besser.

So wie er den Abend zuvor gewissermaßen seinen Gastgeberpflichten stoisch freundlich und humorvoll nachgekommen ist, gibt er sich jetzt professionell. Der Börsenverein und er scheinen ein festes Zeitlimit für die Fragerunde abgesprochen zu haben, eine knappe halbe Stunde. Ganz am Ende wird er auf die Frage, wie wohl und insbesondere sicher er sich gerade in Frankfurt fühle und ob er auch deutsche Autoren treffe, antworten: „Ich treffe mich ausschließlich mit Journalisten. Was kann schöner sein?“

Es ist dann eine muntere halbe Stunde, in der Rushdie die unterschiedlichsten Fragen beantwortet. Zu den Kriegen in der Ukraine und im Nahen Osten sagt er kaum etwas. Auf diesbezügliche Fragen reagiert er eher einsilbig-unbestimmt: „Ich bin gegen Krieg, in Kriegen sterben unschuldige Menschen. Die Wahrheit bleibt auf der Strecke, weshalb es immer schwer zu sagen ist, was wirklich passiert. Der Hamas-Terror erfüllt mich mit Horror, und ich ahne, wie Netanjahu darauf antworten wird“.

Schreiben macht optimistisch

Die Welt sei zwar „in keinem guten Zustand“, trotzdem gehe ihm – „völlig unbegründet“, wie er einfügt – der Optimismus nicht verloren: „Schreiben ist eine Art von Optimismus, mehrere Jahre damit zu verbringen, ein Buch zu produzieren. Schriftsteller sind optimistische Wesen, selbst wenn die Realität düster ausschaut“.

Literatur darf keinen Nutzen haben

Auf die Frage, was die Kultur ausrichten könne angesichts des Zustands der Welt, sagt er frank und frei: „Ich habe keine Ahnung“. Um doch anzufügen: „Literatur kann zeigen, wie reich und komplex die Welt ist, eine Welt von Offenheit, Vielfalt und Toleranz.“

Später ist es ihm noch ein Anliegen zu sagen, dass Literatur eigentlich nutzlos sei: „Was ist der Nutzen von ,Alice im Wunderland’, von ,Herr der Ringe’, von ,Mrs Dalloway’? Ihr Nutzen sollte darin bestehen, Schönheit hervorzubringen und den Geist zu inspirieren: „Ich schätze keine Bücher, die mir vermitteln wollen, wie und was ich zu denken habe. Ich mag Bücher, die mich zum Denken anregen.“

Am schönsten ist es an diesem düster-trüb-warmen Freitagvormittag, als Rushdie ins Plaudern kommt, er sich an Begegnungen in anderen europäischen Ländern erinnert. Ein polnischer Kollege fragt ihn nach seiner Angst vor der Fatwa, die er vor ein paar Jahren in Warschau kaum noch zu haben meinte, das sei nur ein Thema der Medien, und was nun nach der Messerattacke seine Meinung über die damalige Meinung sei.

Rushdie erinnert sich bei der Frage lieber an Besuche in Polen: an Adam Michnik, der ihn einmal eingeladen hatte, an Ryszard Kapuściński, der ihm, als dieser noch lebte, Warschau gezeigt hatte, an ein schönes Treffen mit Adam Zagajewski. „Ich bewundere die polnische Literatur, Zagajewski, Zbigniew Herbert und andere.“

Und dann erzählt Rushdie noch: „Kurz bevor die Taschenbuchausgabe von ,Mitternachtskinder‘ herauskam, sagte mein Verleger zu mir: ,Du musst unbedingt Kapuścińskis ,Imperium‘ lesen, das ist das beste Buch, was ich in diesem Jahr veröffentliche’“ Rushdie freut sich, als er das erzählt: „Ich tat mein Bestes, und danach wurden Kapuściński und ich Freunde.“

Begegnung mit Italo Calvino

Auch an eine Begegnung mit Italo Calvino erinnert er sich im Zusammenhang einer Frage nach Roberto Saviano durch einen italienischen Journalisten (natürlich ist Saviano „a good friend of mine“, wie so viele): „Calvino kam nach London genau zu der Zeit, als ,Wenn ein Reisender in einer Winternacht‘ veröffentlicht wurde. Ich sollte die Einführung bei einem Event mit ihm halten und hatte totalen Bammel. Calvino wollte dann vor der Lesung, dass ich ihm zeigte, was ich geschrieben hatte. Als er sah, dass ich gleich zu Beginn einen Teil seines Werkes mit den „Metamorphosen“ von Apuleius vergleichen hatte, mit „The Golden Ass“, rief er, ,aaaah Apuleius, sehr gut’, und somit bekam ich die Erlaubnis, vor seiner Lesung zu sprechen.“

Calvino hat dann, so Rushdie noch, in der „La Repubblica“ eine große Besprechung seines Romans „Mitternachtskinder“ geschrieben und ihn in Italien bekannt gemacht.

Geschichten wie solche hätte man gern noch mehr von Salman Rushdie gehört, da ist er besser, als wenn er immer wieder wie ein Orakel zum Zustand der Welt und was aus ihr werden soll, befragt wird. Aber die Zeit war schon um. Die Frankfurter Rushdie-Tage jedoch gehen weiter: Am Samstagabend ist Rushdie bei der großen Literaturgala im Congress Center mit dabei, und am Sonntag bekommt er in der Paulskirche den Friedenspreis verliehen.     

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