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Selbstporträt der Künstlerin Marina Hoppmann

© Marina Hoppmann

Künstlerin Marina Hoppmann im Gespräch: „Trauer ist eine besonders starke Form der Liebe“

Marina Hoppmann ist 17, als ihre Mutter stirbt. Den Verlust verarbeitet die heute 32-jährige Fotografin in ihrem Projekt „Mothers and Daugthers“, das am Wochenende in Berlin zu sehen ist.

Frau Hoppmann, für Ihr Fotoprojekt „Mothers and Daugthers“ porträtieren Sie Frauen, die früh ihre Mutter verloren haben – so wie Sie selbst. Wie war Ihre Mutter?
Meine Mutter Ria war ein sehr positiver Mensch, trotz aller Umstände. Als sie zum ersten Mal an Brustkrebs erkrankte, war ich sieben Jahre alt. Sie wurde wieder gesund, blieb es auch zehn Jahre. Als der Krebs zurückkam und sie daran starb, war ich 17. Die Krankheit hat sie körperlich gezeichnet, aber dennoch war sie ein sehr aktiver und kreativer Mensch. Meine Mutter war Möbelrestaurateurin, mein Vater stellt Holzblasinstrumente her und wir Kinder haben dadurch immer viel Zeit in der Werkstatt verbracht.

Und sie war eine mutige, couragierte Frau. Wenn sie auf der Straße eine Ungerechtigkeit beobachtete, ist sie eingeschritten, statt einfach weiterzugehen. Ja, meine Mutter war ein durch und durch lebensbejahender Mensch – obwohl das Leben oft schwierig war.

Seit dem Tod meiner Mutter ist in mir eine Wunde, die immer wieder aufgeht, sobald etwas emotional Herausforderndes passiert.

Marina Hoppmann

Wie hat Sie dieser Verlust, in einer so wichtigen Phase des Heranwachsens, in Ihrer Entwicklung als Frau beeinflusst?
Das ist gar nicht so einfach zu beantworten, da ich nicht weiß, wer ich geworden wäre, wenn ich meine Mutter nicht so früh verloren hätte. Ich bin auf jeden Fall ein sehr emotionaler Mensch, was sicherlich stark mit dieser Erfahrung zusammenhängt. Wenn ich beispielsweise traurig bin, dann habe ich immer das Gefühl, dass ich „doppelt“ traurig bin.

Seit dem Tod meiner Mutter ist in mir eine Wunde, die immer wieder aufgeht, sobald etwas emotional Herausforderndes passiert. Gleichzeitig hat mich dieser Verlust gestärkt und in vielerlei Hinsicht positiv beeinflusst. Dadurch, dass diese starke Verbindung so früh gekappt wurde, sind mir heute Beziehungen jeder Art, insbesondere zu meinen Freundinnen, ungemein wichtig.

Marina und ihre Mutter Ria.
Marina und ihre Mutter Ria.

© Marina Hoppmann

Den Schritt, Ihre Trauer künstlerisch zu verarbeiten, sind Sie erst vor wenigen Jahren gegangen. Wie kam es dazu?
Ich trug den Gedanken, diese Erfahrung künstlerisch aufzugreifen, zwar schon länger in mir, hatte aber eigentlich nicht vor, mich und meine persönlichen Erfahrungen so ins Zentrum zu rücken beziehungsweise so viel von mir preiszugeben. In meinem Bekanntenkreis sind gleich mehrere junge Frauen, die ihre Mütter früh verloren haben. Wirklich angefangen hat es aber über einen Instagram-Kontakt: Zsuzsanna hat regelmäßig Fotos ihrer verstorbenen Mutter Zsuzsa geteilt; darüber kamen wir in den Austausch und sie war die erste, die ich porträtiert habe.

Ihr Projekt bedeutet aber auch, dass Sie immer wieder mit dieser inneren Wunde, wie Sie sagten, konfrontiert werden.
Diese Wunde ist ohnehin immer präsent. Ich trage die Trauer um meine Mutter in meinen Gedanken und meinem Herzen. Während der Umsetzung des Projekts habe ich immer mal wieder Abstand gebraucht. Zwischendurch konnte ich ein halbes Jahr niemanden im Rahmen des Projektes fotografieren – es war einfach zu viel.

Gleichzeitig finde ich die Vorstellung sehr schön, durch diese Arbeit die Erinnerungen an unsere Mütter lebendig zu halten. Eine meiner größten Ängste ist, dass Ria und unsere Beziehung zueinander in Vergessenheit geraten. Deshalb ist es für mich auch wichtig, mich immer wieder mit dem Schmerz des Verlusts zu konfrontieren – und ihn auch sichtbar zu machen.

Tod und Trauer werden in unserer Gesellschaft normalerweise eher verdrängt.
Das stimmt. Ich habe oft wahrgenommen, dass lange Trauerphasen gesellschaftlich nicht wirklich akzeptiert sind. Wenn jemand „zu lange“ traurig ist, kann das bei anderen Irritationen und Unbehagen auslösen. Dabei ist Trauer doch eine besonders starke Form der Liebe. Diese Trauer und die Liebe zu meiner Mutter werden mich ein Leben lang begleiten; genauso verhält es sich auch bei den Frauen, die ich porträtiert habe. Dieses Gefühl möchte ich normalisieren und sichtbar machen.

Sie wurden durch „Mothers and Daugthers“ auch mit der Trauer und den Verarbeitungsprozessen anderer Menschen konfrontiert. Was haben Sie daraus für sich mitgenommen?
Trauer ist etwas zutiefst Individuelles. Es macht einen großen Unterschied, wenn man, wie es bei meinem Vater der Fall war, die Partnerin verliert, mit der man jahrzehntelang zusammen war, oder wenn man als 17-jährige Tochter die Mutter verliert. Ich bin meiner Mutter nie als erwachsene Frau begegnet. Es gibt so viel, dass ich gerne noch mit ihr erlebt hätte.

Ich identifiziere mich sehr stark mit meiner Mutter, auch mit ihrem Körper. 

Marina Hoppmann

Erst über den Austausch mit den Frauen meines Projektes habe ich verstanden, dass es ein riesiger Unterschied ist, ob man die Mutter im Alter von sechs Jahren verliert oder wie bei mir mit 17. Jedes zusätzliche Jahr, das man mit einem Menschen verbringen konnte, verändert unglaublich viel im Umgang mit Tod und Trauer. Ich habe das Glück, relativ viele Erinnerungen an Ria zu haben. Aber je jünger man ist, desto mehr Fragen bleiben offen.

Welche Fragen sind bei Ihnen offengeblieben?
Viele. Ich identifiziere mich zum Beispiel sehr stark mit meiner Mutter, auch mit ihrem Körper. Das ist etwas, was so vermutlich nur Frauen nachvollziehen können. Wir werden von unseren Müttern geboren, kommen aus ihren Körpern und werden irgendwann möglicherweise selbst aus unseren Körpern neues Leben hervorbringen. Darin liegt eine große spirituelle Verbindung zur eigenen Mutter.

Zsuzsanna in Bluse und Jeans ihrer verstorbenen Mutter Zsuzsa.
Zsuzsanna in Bluse und Jeans ihrer verstorbenen Mutter Zsuzsa.

© Marina Hoppmann

Sollte ich jemals schwanger werden, würde ich meine Mutter so gern nach ihren Erfahrungen fragen. Ich würde mit ihr über den Krebs sprechen wollen – denn immerhin bestehe ich zur Hälfte aus den gleichen Zellen wie sie und habe durchaus Angst davor, ebenfalls zu erkranken.

Sie haben inzwischen auch zwei weitere Fotoprojekte begonnen und stellen die Arbeiten teilweise zusammen mit der „Mothers and Daugthers“-Reihe aus. Erzählen Sie davon.
Zum einen zeige ich Porträts von mehreren Frauen, die ich in den Kleidungsstücken ihrer verstorbenen Mutter fotografiert habe. Einige dieser Frauen sind nun auch selbst Mutter geworden und ich habe sie zusammen mit ihren Kindern porträtiert, begleitend wird es in der Ausstellung Tonaufnahmen geben. Mir ist wichtig zu zeigen, dass Trauer ein andauernder Prozess ist, der einen zuweilen ein Leben lang begleiten kann.

In einer weiteren neuen Fotoreihe habe ich Frauen porträtiert, die wie meine Mutter an Brustkrebs erkrankt sind. Ich wollte diesen von der Krankheit gezeichneten Körpern Sichtbarkeit verleihen. Ich möchte Frauen, die den Krebs überlebt haben, ermutigen, sich und ihren Körper voller Stolz zu zeigen.

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