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Das Solostück „Landsfrau“ von Mariann Yar zusammen mit dem Kollektiv Doris Crea lief im Berliner Ringtheater.

© Cornelius Reitmayr

Open Call im Berliner Ringtheater: „Ist dein Vater Osama bin Laden?“

Das Ringtheater will ein Ort für den Einstieg in die Berliner Theaterszene sein. Entschieden wird im Kollektiv. Der Soloabend „Landsfrau“ ist ein Beispiel dafür. Ein Ortsbesuch.

Orte, an denen Utopien blühen, sehen nicht unbedingt spektakulär aus. Den ebenerdigen Saal in der Alten Münze erreicht das Publikum über den Eingang eines Kulturlokals, drinnen sind zwei Podeste für 75 Menschen und die Technikpulte aufgebaut, die Bühne selbst ist so karg wie die unverputzten Wände.

Das Stück, das auf dem Spielplan des Berliner Ringtheaters steht, heißt „Landsfrau“, geschrieben und inszeniert hat es die Schauspielerin Mariann Yar, zusammen mit dem Kollektiv Doris Crea. Auf der Bühne steht sie allein – und zieht augenblicklich in den Bann.

„Ist dein Vater Osama bin Laden?“, „Wie schätzt du die aktuelle Lage in Afghanistan ein?“, „Wie stehst du zur Beschneidung der Frauenrechte unter den Taliban?“. Aus einem biografischen Crescendo an Zuschreibungen und Überforderung entwickelt Yar eine universelle Erzählung, die den Bogen zwischen den Jahren 2001 und 2021 spannt, von 9/11 bis zum Abzug der westlichen Truppen. Und die dabei eine ganz eigene Frage aufwirft: Was bedeutet es, als Kind afghanischer Eltern in Deutschland aufzuwachsen?

Theater im Kollektiv

„Landsfrau“ ist eine Performance, die durchaus repräsentativ für den Spielplan des Berliner Ringtheaters steht: politisch und mit einfachen Mitteln maximale Kraft entfaltend. Das allein macht diese Spielstätte natürlich noch nicht zu einem utopischen Ort. Aber die Strukturen, auf denen das Theater aufgebaut ist, lohnen einen genaueren Blick.

Gegründet wurde das Ringtheater 2017 von dem Dramatiker Lars Werner, zusammen mit neun weiteren Menschen, die „einen machtkritischen Ort für die Freie Szene mit neuem Theater“ schaffen wollten – so erzählt es Johannes Bellermann, der als einziges Mitglied aus dem Gründungsteam noch an Bord ist.

Nach wie vor aber teilen sich zehn Menschen die künstlerische Leitung gleichberechtigt. „Dahinter steht auch eine politische Forderung“, sagt Sophie Lembcke, die ebenfalls dem Kollektiv angehört: „Wir wollen den oft missbräuchlichen Machtstrukturen vieler Häuser ein anderes Modell entgegensetzen.“

Open Call für die Kunst

Klingt fast zu schön, um zu funktionieren. Brauchen kreative Prozesse nicht letztlich doch Hierarchie? Nein, widerspricht Dandan Liu, die neben der Künstlerischen Leitung auch die Betriebsleitung des Ringtheaters verantwortet. „Wir haben in den vergangenen sechs Jahren sehr ausdifferenzierte Strukturen entwickelt und schauen genau: Welche Entscheidungen müssen wir in der großen Gruppe diskutieren, welche delegieren wir an kleinere Teams oder den Betrieb?“

Das Berliner Ringtheater: Ort für politisches Theater, das trotzdem „andockfähig“ ist.

© Toni Petraschk

Von allen bestimmt wird der Spielplan. Fünf bis sechs Produktionen zeigt das Ringtheater pro Jahr in rund 40 Vorstellungen. Jeden Sommer gibt es einen Open Call, gerade auch für solche Theaterproduzierende, mit denen das Haus noch nicht zusammengearbeitet hat. Das Ringtheater will explizit ein Ort für den Einstieg in die Berliner Szene sein.

Raus aus der Bubble

Die ausgewählten Projekte werden dann von einer Hausdramaturgie begleitet und bei der Fördermittelakquise unterstützt. Auch Mariann Yar – die zum Leitungskollektiv zählt – hat „Landsfrau“ bei diesem Open Call eingereicht. Künstlerische Freibriefe für die Mitglieder gibt es nicht.

Das Programm des Ringtheaters soll genauso vielfältig und perspektivreich aufgestellt sein wie das künstlerische Leitungsteam selbst. „Unser Ziel ist es, diverse künstlerische Experimente zu ermöglichen – aber wir erreichen damit auch ein Publikum außerhalb der Freie-Szene-Bubble“, betont Dandan Liu. Politisch sollen die Arbeiten sein, aber andockfähig. Auch dafür ist „Landsfrau“ ein Beispiel. Oder die kommende Tanztheaterpremiere „Another Space / Memory“ vom femBlack Performance Collective.

Neue Zukunft

Das Modell Ringtheater funktioniert allerdings nur, weil die Mitglieder des künstlerischen Leitungskollektivs ehrenamtlich arbeiten, bezahlte Stellen (auf Minijob-Basis) gibt es nur im Betrieb, etwa die technische Leitung oder im Projektmanagement, manche Mitarbeitende sind in beiden Bereichen tätig. Das Theater erhält nur eine überschaubare Spielstättenförderung (aktuell 60.000 Euro), und wenn sie einen Wunsch an die Kulturpolitik formulieren dürfte, wäre es „ein eigenes Produktionsbudget“, sagt Sophie Lembcke.

Und dann ist da noch der Spielort. In den ersten Jahren war das Berliner Ringtheater auf dem Gelände der ZUKUNFT am Ostkreuz beheimatet (nahe der Ringbahn, daher auch der Name). Bis dort – ein Berliner Klassiker – wegen der Bebauungspläne eines Investors keine Planungssicherheit mehr gegeben war.

Die Theatermacher:innen waren froh, in der Alten Münze (dank der Unterstützung der Spreewerkstätten) eine Ausweichheimat für zwei Jahre zu finden. Bezüglich der ZUKUNFT gibt es allerdings gute Nachrichten. Anfang September eröffnet sie auf einem Gelände in der Nähe der Wilden Renate in Alt-Stralau neu. Und ab 2024, erzählt Johannes Bellermann, „wird auch das Ringtheater dort wieder spielen“.

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