zum Hauptinhalt
Marcel Proust

© picture alliance/dpa / dpa

Proustbetrieb: Zu Abend gespeist mit Lucien Daudet

Wie Marcel Proust in der „Recherche“ und in Zeitungen die stilistischen Eigenheiten der Gebrüder Goncourt imitierte.

Eine Kolumne von Gerrit Bartels

Nachdem Marcel Proust im Dezember 1919 den Prix Goncourt erhalten hatte, für den zweiten Teil der „Recherche“, den Band „Im Schatten junger Mädchenblüte“, schrieb er zweieinhalb Jahre später in einem Artikel für den „Gaulois“, dass ihm damit „ein Stück des Vermögens von Monsieur Goncourt übereignet“ worden sei.

„Stolzer, schüchterner Greis“

Das ist hübsch gesagt. Selbst angeeignet aber hatte sich Proust das Werk der Gebrüder Edmond und Jules de Goncourt schon von jungen Jahren an..

Edmond hatte das berühmte Tagebuch beider nach dem Tod des Bruders 1870 bis zu seinem eigenen Tod 1896 fort geführt, und Proust hatte ihn noch im Alter von 20 Jahren bei Alphonse Daudet und der Prinzessin Mathilde kennengelernt, als „stolzen und schüchternen Greis.“ Erst in seinen Briefen und später vor allem in Form von Pastiches auch in seinem Werk zeigte er sich höchst vertraut mit den Goncourt und ihrem Stil.

Am berühmtesten ist wohl das Pastiche in „Die wiedergefundene Zeit“, dem letzten Band der „Recherche“, das gleich zu Beginn kommt, ziemlich überraschend, fast unvermittelt.

Der Erzähler hält sich bei Gilberte in Tansonville auf, es ist seine letzte Nacht dort nach vielen Gesprächen über verflossene Lieben, und sie borgt ihm einen Band „des unveröffentlichten Tagebuchs der Brüder Goncourt“. Als „Pseudo-Nachlasstext der Goncourt“ bezeichnet Proust den Band im „Gaulois“.

Es wird eine ambivalente Lektüre. Sie erschüttert seinen Glauben, dass aus ihm noch einmal ein Schriftsteller wird. Zumal „die Literatur nicht war, wofür ich sie gehalten hatte.“ Sie bestärkt ihn aber auch darin, dass gesellschaftliche Betrachtungen durchaus ihren literarischen Wert haben und lehren, „den Wert des Lebens höher anzusetzen.“

Der Kunstkritiker Verdurin

In dem zwölf Seiten fassenden Pastiche selbst taucht ein Teil des Personals der „Recherche“ auf: Monsieur Verdurin etwa ist Kunstkritiker und Verfasser eines Buches über Whistler. Meistenteils ist diese Nachahmung eine Beschäftigung mit der Kunstkritik.

Unterhaltsamer und lustiger ist die Imitation, die Proust 1908 für den „Figaro“ geschrieben hatte. Sie beginnt à la Goncourt mit dem Satz „Zu Abend gespeist mit Lucien Daudet.“

Darin porträtiert Proust sich unter anderem selbst, als Mensch, „der völlig in Verzückung leben soll, in der Sakralverkitschung gewisser Landschaften, gewisser Bücher.“ Später ohrfeigt dieser Pastiche-Proust niemand Geringeren als Émile Zola, „dass dieser zehn Schritte weit wegflog, alle viere in die Luft“. Es kommt zu einem Duell. Hier drückt sich schon früh der Humor von Proust aus, der bekanntermaßen auch in der „Recherche“ nie zu kurz kommt.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false