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Auf der Suche nach Corona-Literatur? Ein Kunde steht mit Mundschutz in einem Buchladen in Regensburg

© Armin Weigel/ picture alliance/dpa

Wie Corona schnell in Vergessenheit geriet: Verdammt lange her

Der Krieg in der Ukraine und die sogenannte Zeitenwende haben die Pandemie in den Hintergrund gedrängt - die Literatur dagegen versucht sich zu erinnern.

Ein Kommentar von Gerrit Bartels

Noch ist die Pandemie von der WHO offiziell nicht für beendet erklärt worden, und doch hat man den Eindruck, auf Parties, in der U-Bahn, im Fußballstadion, im Büro oder wo auch immer, dass wieder alles ist wie vor Corona. War da was? Das Vergessen hat schon seine Vorteile, die wiederum von der Literatur nicht unbedingt goutiert werden: Hier geht es um nicht zuletzt um Erinnerung, um das Bewahren von Dingen, die in Vergessenheit geraten sind.

So mutet Dirk von Lowtzows Corona-Tagebuch „Ich tauche auf“ tatsächlich wie aus einer anderen, fernen Zeit an, obwohl es erst drei Jahre her ist, dass es in Deutschland den ersten Lockdown gab und die Gesetzmäßigkeiten der Gegenwart außer Kraft gesetzt wurden und man nicht mehr zwischen Stillstand und rasender Zeit unterscheiden konnte. Corona-Tagebücher, so scheint es, hat es zur hohen Zeit der Pandemie mehr gegeben als jetzt, da die Literatur erst anfängt, sich mit dem Zurückliegenden zu beschäftigen.

Gstrein und Boccaccio

Doch Einlass in Bücher, die womöglich anders geplant waren, hat die Pandemie schon gefunden, nicht als Hauptstrang, sondern zumeist wie nebenher. So bei Norbert Gstrein, in dessen Roman „Vier Tage, drei Nächte“ die drei Hauptfiguren einmal so tun, als seien sie in Boccaccios Florenz des 14. Jahrunderts, und sich Geschichten erzählen.

Oder in Juli Zehs Roman „Über Menschen“, in dem sich Coronaskeptiker und Lockdownbefürworter gegenüberstehen. Oder in Virginie Despentes E-Mail-Roman „Liebes Arschloch“ - hier treffen sich die Drogenabhängigen bei den Meetings der Narcotics Anonymous irgendwann nur noch per Zoom und berichten von ihren Erfahrungen und ihren Erfolgen.

Auch in Judith Hermanns Poetikvorlesung, die nächste Woche unter dem Titel „Wir hätten uns alles gesagt“ als Buch herauskommt, spielt die Pandemie mit herein; da können, als es um die Familie geht, ihre Geschwister nicht heiraten oder Hermann wundert sich über ein Foto ihrer Schwester mit der Mutter während eines Lockdowns (Abstand?). Die Pandemie werde „die Struktur von Zeit und Erinnerung ein für allemal verändern“, schreibt Judith Hermann an einer Stelle, mutmaßlich mitten in einem Lockdown. So wie es sich im Moment darstellt, kann es sein, dass sie sich geirrt hat.

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