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Das Establishment und die Piraten: Hallo, Grüne, aufwachen!

Das Saarland mag in vielerlei Hinsicht ein politischer Sonderfall sein. Was den Erfolg der Piraten angeht, ist es das nicht. Das sollte dem politischen Establishment zu denken geben - deutlich mehr, als am Wahlabend zu erkennen war.

So kann man jemanden, den man nicht mag oder dessen Konkurrenz man fürchtet, auch stark machen: Wenn da einer wie FDP-Generalsekretär Patrick Döring die diffizilen innerparteilichen Mechanismen der Piraten denkbar undifferenziert eine "Tyrannei der Masse" nennt, wenn Focus-Herausgeber Helmut Markwort der jungen Partei unterstellt, ihre Wähler im Netz "zusammenzukratzen", dann wirkt das fast, als wollten sie es so: dass sich immer mehr Menschen den Piraten zuwenden. Aus Protest gegen die etablierten Parteien einerseits. Aus Protest gegen die Art von Borniertheit, die den Piraten aus dem politischen System entgegenschlägt, andererseits.

Dabei sind diese Ausfälle gar nicht einmal das Bedenklichste. Mindestens genau so seltsam erscheinen die, die das Mobilisierungspotenzial der jungen Partei immer noch unterschätzen und lieber gar nichts zu deren Erfolg sagen. Dass Grünen-Chef Cem Özdemir nach dem schwachen Abschneiden seiner Partei am gestrigen Abend lieber davon schwadronierte, dass das Saarland ein "spezieller Fall" und eben "kein grünes Stammland" sei, anstatt von der neuen Konkurrenz zu sprechen, zeigt, wie wenig gerade die Grünen verstanden haben. Die Piraten mögen derzeit vor allem Nichtwähler mobilisieren. Dass sie sich dabei aber auch als innovative Kraft im politischen Diskurs, als Chiffre für Modernität, etablieren, sollte gerade den Grünen zu denken geben.

Es ist spätestens jetzt an der Zeit, die Piraten ernst zu nehmen: Im Berliner Abgeordnetenhaus hat sich die Fraktion bis dato nicht - wie von vielen erhofft - zerlegt, ihre Pressearbeit ist rege, ihre Vorstöße werden zielgerichteter. Im Saarland haben die Piraten binnen kürzester Zeit einen Wahlkampf konzertiert, der offenbar gesehen wurde. Wenn auch das Programm noch schmal ist, wenn auch viele Wähler vor allem der Reiz des demokratischen Neuen fasziniert - der Partei gelingt es, Aufmerksamkeit zu binden. Das müssen die etablierten Parteien ernst nehmen. Auch auf die Gefahr hin, dass die Piraten genau damit ihr vordringlichstes und auch an diesem Wahlabend immer wieder betontes Ziel erreicht hätten: die Politik insgesamt zu verändern.

Dabei muss man die Piraten gar nicht schonen: Deren Verachtung für die gesamte etablierte Politik nervt genau so sehr wie die Verachtung, die den Piraten aus der etablierten Politik entgegenschlägt. Die Selbstherrlichkeit etwa, mit der die saarländische Spitzenkandidatin Jasmin Maurer ihre Wähler via Facebook dazu aufforderte, die Politik im Saarland am Tag der Uhrumstellung um "ein Jahrhundert" vorzustellen, lässt durchaus Zweifel an deren charakterlicher Reife und ihrem Willen zur demokratischen Zusammenarbeit zu. Diese Zweifel gilt es differenziert zu artikulieren. Pöbeleien und Ignoranz werden nur dazu führen, dass sich die Piraten und ihre Anhängerschaft noch tiefer im Bewusstsein des Erwecktseins und des "Wir gegen den Rest" verkapseln. Damit ist keinem gedient.

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