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Kindergartenpflicht für alle? Das ist falsch, findet Jost Müller-Neuhof.

© Picture Alliance / dpa

Erziehung: Kindergartenpflicht für alle?

Raed Saleh fordert sie, die Kindergartenpflicht. Das ist weder eine gute Idee noch rechtmäßig, meint Jost Müller-Neuhof. Stattdessen fordert er mehrsprachige Kitas, um die Integration zu fördern.

„Rechtlich problematisch“ nennt die Berliner CDU den Vorschlag des SPD-Fraktionschefs und Zwillingsvaters Raed Saleh für eine Kindergartenpflicht. Die CDU untertreibt. Rechtlich ist es ausgeschlossen. Eine Art Vorschuljahr dürfte noch zu rechtfertigen sein, bei den Kleineren dagegen regiert das im Grundgesetz geschützte Elternrecht, das aus Sicht Salehs offenbar ein überkommenes Familienbild konserviert. Tatsächlich handelt es sich dabei nicht zuletzt um eine Reaktion auf die Zwangserziehung der Nazis, ein möglicherweise alter Zopf, den man als überzeugter Modernisierer, für den Saleh sich hält, langsam mal abzuschneiden hätte. Schließlich könnte der Berliner Kitapflicht analog zum Paragrafen 1 des Schulgesetzes der Auftrag beigegeben werden, die Kinder zu antifaschistischen Widerständlern heranzuziehen.

Kitapflicht ist keine Anschnallpflicht

Ist das realistisch? Saleh müsste, nach seinem Interview in der „Bild“, einen zweiten, schwereren Schritt gehen und eine Zweidrittelmehrheit im Bundestag organisieren, die an betreffender Stelle das Grundgesetz ergänzt. Dass dies kaum gelingen wird, liegt weniger an konservativen Beharrungskräften als daran, dass die geforderte Kitapflicht angesichts einer Überzahl muttersprachlich deutscher Kinder aus nicht prekären Haushalten schlicht unverhältnismäßig ist. Die Kita ist gut für alle Kinder, halten Befürworter dagegen, was stimmen mag. Gut für alle Kinder ist es auch, weniger fernzusehen oder im Internet abzuhängen und draußen zu spielen. Trotzdem gibt es keine Pflicht dazu. Eine Kitapflicht ist etwas anderes als als eine Anschnall-, Helm- oder auch die Schulpflicht. Sie ist ein Eingriff im Leben in einer Zeit, in der sich gerade das Bewusstsein entwickelt, in der Kind und Eltern noch eng aufeinander bezogen sind. Das spricht nicht gegen den Kitabesuch als solchen, sondern nur dagegen, aus ihm eine Vorschrift zu machen.

Mehrsprachige Kitas wären ein Lösungsansatz

Ein Schritt in die Moderne wäre eine Kitapflicht vielleicht dann, wenn Kitas jene Freiheit und Vielfalt böten, die nach dem Status quo durch einen verbindlichen Besuch eingeschränkt würden. Zum Beispiel beim Spracherwerb. Derzeit wird Migranteneltern vorgehalten, mit dem Beibehalten ihrer Herkunftssprache die Bildungschancen ihrer Kinder zu verringern. Das mag zutreffen, enthält aber eine Diskriminierung. Mit seinem Kind in der Sprache zu reden, die man selbst als Kind erlernt hat, ist ein Menschenrecht, das auch Raed Saleh zu schätzen wüsste, zöge er seine Zwillinge im Ausland groß. Er würde es zurecht als anmaßend empfinden, dies ständig vorgeworfen zu bekommen. Folglich könnte es beispielsweise türkisch- und arabischsprachige oder zweisprachige Kitas geben, vielleicht auch muslimische Kitas. Nur als Angebot. Ein Pflichtbesuch hier wäre immer noch besser als gar keiner. Und die Rechte von Kindern und Eltern würden besser respektiert.

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