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Hillary Clinton auf der Münchener Sicherheitskonferenz.

© dpa

EU und USA: Das Gewicht der Freundschaft

Obama will Asien mehr Aufmerksamkeit widmen. Europa fühlt sich im Stich gelassen – zu Unrecht. Das zeigt die Münchener Sicherheitskonferenz.

Die drei Hauptgründe, warum Menschen sich treffen: Sie finden sich gegenseitig so nett, dass sie Zeit miteinander verbringen wollen. Oder sie müssen eine Lösung für ein dringendes Problem finden. Oder sie sind generell so wichtig füreinander, dass sie Kontakt halten müssen – unabhängig davon, ob sie sich sympathisch sind oder nicht.

Der erste Grund, Zuneigung, scheidet in der internationalen Politik aus. Staaten unterhalten nicht Liebesbeziehungen, sondern haben Interessen und wollen sie durchsetzen. Zudem sind die Terminkalender des Führungspersonals ohnehin viel zu voll. Drängende Probleme, für die Amerika und Europa eine Lösung suchen, gibt es zwar genug, um einzelne Ministertreffen zu rechtfertigen. Wenn aber die Außenministerin und der Verteidigungsminister der USA im Doppelpack einschweben, darf man das als ultimativen Beweis für die Bedeutung ihrer Gastgeber nehmen.

Wer Hillary Clinton und Leon Panetta in München reden hörte, muss fragen, ob Deutschland seit Wochen eine Geisterdebatte führt. Vordenker in Medien und Wissenschaft behaupten, dass sich zurzeit die geopolitischen Machtverhältnisse verschieben – und zwar fundamental. Die USA interessieren sich angeblich kaum noch für Europa, sie schauen nach Asien. Das Bündnis über den Atlantik steht für Vergangenheit, der Blick über den Pazifik für Zukunft.

Hillary Clinton sagte in München so ziemlich das Gegenteil: Europa bleibt unser Vorzugspartner und allererste Anlaufstelle. Leon Panetta rückte die Debatte um den Abzug einzelner US-Militäreinheiten aus Deutschland zurecht: Auch danach werden in Europa mehr US-Soldaten permanent stationiert sein als auf jedem anderen Kontinent.

Wie konnte es dann zu der breiten Wahrnehmung kommen, Europa sei schon jetzt oder werde in ganz naher Zukunft für Amerika weniger wichtig sein als Asien?

Der Auslöser war eine Rede, in der Präsident Obama Mitte November in Darwin, Australien, die Stationierung von 2500 US-Soldaten ankündigte, die Chancen und Risiken abwog, die sich aus Chinas Aufstieg ergeben, und den Verbündeten in Asien zusicherte, sie könnten sich im Notfall auf Amerika verlassen. Die USA seien schon lange eine pazifische Führungsmacht. Der Präsident griff zu großer Rhetorik: Er rief ein pazifisches Zeitalter aus. Aber im entscheidenden Punkt können sich die deutschen Interpreten nicht auf ihn berufen. Obama sagte nicht, Asien werde aus US-Sicht wichtiger als Europa.

Wer damals im Weißen Haus nach dem Kern der Botschaft fragte, dem gaben die Strategieberater diese Antwort: Amerika habe wegen der Kriege im Irak und Afghanistan jahrelang Asien vernachlässigt. Dort aber lägen die Herausforderungen der Zukunft. Europa bleibe trotz der ökonomischen Turbulenzen militärisch ein Hort der Stabilität. Es gehe also um eine Verlagerung amerikanischer Aufmerksamkeit und Ressourcen vom „Greater Middle East“ (dem erweiterten Mittleren Osten) nach Asien, nicht von Europa nach Asien.

Die ganz andere, in Deutschland verbreitete Interpretation hat wohl auch mit den Selbstzweifeln in der Euro-Krise zu tun. Europas Glaube an die eigene Stärke ist erschüttert. Da wirkt die These einleuchtend, nun orientierten sich die USA an anderen Regionen, die aufgrund ihrer wirtschaftlichen Dynamik attraktiver wirken.

Deutsche Spitzenpolitiker haben gelassen reagiert. Was sei denn so schlimm daran, wenn Amerika sich verstärkt um Asien kümmere und hier Soldaten abziehe, haben Frank-Walter Steinmeier und Thomas de Maizière gefragt. Es sei doch ein gutes Zeichen, wenn Europa nicht mehr das Zentrum der Spannungen sei wie im Kalten Krieg und die USA den Europäern zutrauten, dass sie ihre Probleme selbst lösen.

Doch auch sie haben die Grundthese von der fundamentalen Gewichtsverlagerung nicht infrage gestellt. Stimmt sie überhaupt? Der Atlantik ist das Rückgrat der Weltwirtschaft und bleibt es auf absehbare Zeit. Die US-Investitionen in Europa übersteigen die in Asien um ein Vielfaches – ein klarer Indikator für Zukunftserwartungen. Umgekehrt sind die Investitionen aus einzelnen deutschen Bundesländern in den USA größer als die gesamten deutschen Investitionen in China. Eine Militärallianz wie die Nato wird es auch in Jahrzehnten in Asien noch nicht geben.

Wir erleben eine graduelle Verlagerung, weil Asiens Wirtschaft und Bevölkerung schneller wächst als die in Europa. Doch es wird noch viele Jahre dauern, ehe die vielen kleinen Schritte in der Summe einen fundamentalen Wandel bewirken und Asien wichtiger als Europa wird. Zuletzt: Wer will angesichts der vielen inneren Spannungen in China garantieren, dass Asiens Aufstieg unaufhaltsam weitergeht ?

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