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Partner der Union? Die Grünen-Spitzenkandidaten Katrin Göring-Eckard und Jürgen Trittin am Wahlabend.

© dpa

Koalitionsbildung: Die Grünen sind Merkels Alternative

Auf lange Sicht kommen Schwarze und Grüne um Koalitionen nicht herum. Denn der Abstieg der FDP verschafft der Ökopartei Platz in der Mitte. Und die Union muss sich überlegen, ob sie nur auf die Wiederauferstehung der FDP setzen will.

Von Antje Sirleschtov

Von ihren Altvorderen lassen sich Parteien nicht gern Ratschläge erteilen. Wer nicht mehr in politischer Verantwortung steht, hat gut reden, heißt es. Besonders empfindlich reagieren die Grünen, wenn Altmeister Joschka Fischer aus sicherer Distanz weise den Finger hebt. Nun spricht Fischer mit Blick auf die Bundestagswahl von einer Zeitenwende und vielleicht sollten die Grünen ihrem Altvater jetzt doch einmal genauer zuhören. Denn das, was Fischer da beschreibt – Ihr seid zu links gewesen –, das könnte, wenn man ernsthaft darüber nachdenkt, eine Tür aufstoßen, die ohnehin nur noch angelehnt ist. Und den Grünen sogar zur Chance gereichen: Schwarz-Grün ist natürlich gemeint.

Klar: In diesem Herbst geht das wahrscheinlich noch nicht. Auch wenn dieser Tage aus allen Ecken der CDU und CSU mit ernster Miene beteuert wird, dass die Gespräche zur Bildung einer Koalition von Union und Grünen keine Alibitreffen sein sollen. Das stimmt wohl irgendwie auch. Aber auch wieder nicht. Vonseiten der Grünen, weil man dort gerade nicht so ganz klar weiß, wer man selbst ist und wo eigentlich die vielen Anhänger von gestern geblieben sind. Aber auch bei der Union: Denn mehr als taktische Überlegungen sind die Lobgesänge auf Schwarz-Grün nicht: Bundeskanzlerin Angela Merkel braucht schlicht eine Alternative, um sich in den Koalitionsverhandlungen nicht allzu sehr in die Hände der SPD begeben zu müssen. Und am Ende wissen Union und Sozialdemokraten, dass den Deutschen der Sinn im Augenblick nach großer Stabilität und nicht nach politischem Neuland steht. Die Antwort heißt darauf: große Koalition.

Auf mittlere Sicht, und da kommt Fischers Zeitenwende wieder ins Spiel, müssen Union und Grüne – jeder für sich – ein großes Interesse daran haben, Koalitionen miteinander zur Normalität werden zu lassen. Denn in dem Maße, wie es zur Aufgabe der Sozialdemokraten und der Linkspartei in den kommenden Jahren gehören wird, eine politische Verbindung miteinander vorzubereiten und aus der Tabuzone herauszuholen, müssen auch die Grünen über ihre künftigen Machtoptionen nachdenken. Wollen sie sich als dritter Partner von Rot-Rot-Grün festmauern oder zur eigenständigen Kraft entwickeln, die ihre politischen Ziele mal eher links und mal eher im Verbund mit der CDU umsetzt?

Das Unglück der Liberalen

Diese Funktion des Züngleins an der Waage haben einige Jahrzehnte lang gern die Liberalen für sich in Anspruch genommen. Und sie sind damit gar nicht schlecht gefahren. Erst die betonharte Bindung an die Union hat sie ins Unglück geführt. Und niemand kann heute vorhersagen, ob es für die FDP überhaupt eine politische Zukunft geben wird und schon gar nicht, ob sie es schafft, 2017 aus der außerparlamentarischen Opposition wieder in den Bundestag zurückzukehren.

Der Abstieg der FDP schafft nun aber Platz für die Grünen. Man muss da gar nicht erst das große Wort vom Liberalismus in den Mund nehmen, den die FDP zum Neoliberalismus umgedeutet und damit aus der gesellschaftlichen Mitte herauskatapultiert hat und der seither nach zeitgemäßer und überzeugender Definition sucht. Es geht auch viel kleiner, Grünen-freundlicher. Allein die Frage, wo in Zukunft gesellschaftliche Minderheiten Interessenvertretung finden, zeigt die Weite des Raumes. Grüne sind traditionell dort verankert, wo Bürger im besten bürgerlichen Sinn nach Freiräumen suchen und sich selbst engagieren. Ob in Bildungsfragen oder auch im Umwelt- und Energiebereich: Grüne gründen alternative Schulen und Kindergärten, mit grüner Technik werden enorme Renditen erwirtschaftet. Überall entwickelt sich Eigeninitiative, sind Begriffe wie Freiheit und Verantwortung keine Fremdwörter. Man könnte sagen: Die Mittelständler von morgen sind wirtschaftlich nach Erfolg strebend und im gleichen Maß sozial sensibel. In der FDP haben sie keine Heimat gefunden. Die Grünen können diesen Platz einnehmen.

Lockerungsübungen in Sachen Schwarz-Grün

Aber auch die Union hat ein eigenes Interesse an neuen Machtmöglichkeiten und politischer Verbreiterung ihres Spektrums. Und zwar nicht nur im Bund, sondern in erster Linie in den Ländern. Denn auch dort stellt sich die Frage: Was bleibt der CDU noch, außer auf eine Wiederbelebung der FDP zu hoffen oder eben der großen Koalition? Die Antwort ist klar: Lockerungsübungen in Sachen Schwarz-Grün und im Ernstfall Mut zu diesen Koalitionen. Nur der praktische Beweis, dass die Zusammenarbeit funktionieren kann, wird dem Bündnis den Geruch des Risikohaften und Experimentellen nehmen. Und erst schwarz-grüne Bündnisse in den Ländern werden auch das Argument entkräften, eine schwarz-grüne Bundeskoalition besitze keine Stimme im Bundesrat und könne deshalb nur wenige Gesetze durchbringen.

Und inhaltliche Differenzen, die nicht überbrückbar wären? Ach Gott, wenn das ein koalitionsausschließendes Argument wäre, dürfte Angela Merkel mit keinem einzigen Sozialdemokraten verhandeln.

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