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Händeringen auf hohem Niveau: Emmanuel Macron und seine Chinapolitik

© AFP/LUDOVIC MARIN

Macron als Weltpolitiker: Wo wir dem französischen Präsidenten besser zuhören sollten

Der französische Staatspräsident spaltet mal wieder die Gemüter, in der EU und darüber hinaus. Dabei sind seine Ideen nicht schlecht. Sogar mit Blick auf China.

Ein Zwischenruf von Stephan-Andreas Casdorff

2017, 2019, 2020, 2023 – immer wieder hat Emmanuel Macron versucht, mit Ideen Europa als Ganzes voranzubringen. In vielen Reden, großen Reden, in Briefen an die Kollegen Regierenden, gleich auf welchem Weg, es ging und geht Frankreichs Präsident um Großes: die „Neugründung eines souveränen, geeinten und demokratischen Europas“.

Ob mit 20 Europäischen Universitäten bis 2024, mit einem Eurozonen-Haushalt, einem gemeinsamen Militär oder einheitlicheren Steuern – Macron fordert leidenschaftlich und unablässig Reformen, die die Mitgliedstaaten enger zusammenführen und die Gemeinschaft krisenfester und schlagkräftiger machen. Denn das Europa von heute ist ihm zu langsam, zu schwach, zu ineffektiv.

Und wer hat ihm bei der Verwirklichung der Ideen auf dem Weg zu größerer Autonomie Europas geholfen? Niemand. Kritisiert haben ihn dagegen etliche – wie auch jetzt, da er am Rande seines China-Besuchs aufs Neue eine Art Grundsatzvorlesung über seine Vorstellungen hielt, diesmal nicht an der Universität Sorbonne, sondern in Form eines Interviews. Misslungen, missverständlich, sogar von Sinnen, so liest sich die Reaktion.

Keiner verteidigt ihn? Doch, einer: SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich, langjähriger Außenpolitiker der Partei. Er hält Macrons Äußerungen für berechtigt.

„Wir müssen aufpassen, dass wir nicht Partei in einem Großkonflikt zwischen den USA und der Volksrepublik China werden“, sagt er im „Morgenmagazin“. Europa müsse „schon versuchen, eine eigenständige Rolle so weit wie möglich zu formulieren und nicht als Anhängsel der USA dort in der Region auch zu erscheinen“. Daher „hat Macron recht“, meint Mützenich.

Ob er Gehör findet? Bei einem: Jürgen Trittin, grüner Ex-Minister und inzwischen langjähriger Außenpolitiker seiner Fraktion. Macron habe eine einfache Wahrheit ausgesprochen, nämlich die, dass Europa eine eigenständige Strategie auch gegenüber China benötige, meint Trittin.

„Die Beschreibung einer eigenständigen europäischen Rolle ist im Interesse Europas und nicht gleich anti-transatlantisch.“ Es gebe „keine Scherben zum Zusammenkehren, zumindest keine, die Macron verursacht hat“, erklärt er im Netzwerk RND.

Europa könnte China bisher nicht wirkungsvoll entgegentreten

Was Mützenich und Trittin damit unisono meinen: Macrons eher neutrale Ansicht, dass die Rivalität zwischen China und den USA Europas Handeln nicht allein bestimmen kann. Zumal dieses Europa, das die Ukraine-Krise auf dem eigenen Kontinent nicht selbst löst, wohl im Fall eines chinesischen Angriffs auf Taiwan auch Peking nicht wirkungsvoll entgegentreten könnte.

Dazu ist es Macron gewesen, der Europa schon vor Jahren gedrängt hat, China in die Grenzen zu weisen, ob in der Telekommunikation, in Handelsfragen, bis hin zur Einführung von EU-Zöllen auf die Ausfuhren subventionierter chinesischer Staatskonzerne. Die Auseinandersetzung um Chinas expansives Verhalten im Indopazifik nicht zu vergessen.

Alles das wird dem französischen Staatspräsidenten aber nicht zugute gehalten, nicht jetzt, nicht vorher. Stattdessen steht er international alleine da – und wird nicht zuletzt hierzulande als der hingestellt, der immer wieder der Großmachtattitüde erliegt: Macron, befallen vom Morbus De Gaulle.

Richtig, an seinen Vorgängern Nicolas Sarkozy und Francois Hollande war die Kritik leiser. Allerdings auch deshalb, weil ihre Vorschläge nur halb so laut erschienen, vom Ton wie vom Inhalt. Der Ehrgeiz trägt eher den Namen Macron.

Zugegeben, es ist ein Ehrgeiz, der bisher nicht zum Erfolg führt. Im Gegenteil. Er denkt groß – er scheitert groß, immer wieder. Sein Versuch, ein Gesprächsverhältnis zum Autokraten Wladimir Putin aufzubauen, ist nur eines von vielen Beispielen. Es ist darum dieser Präsident, der in Fragen der EU- und Weltpolitik besonders aneckt.

Weil er, auch richtig, die Weltläufe mindestens mit beeinflussen und Frankreich mehr als zu vorangegangenen Jahren politisch daran beteiligen will – nur nicht ganz allein bestimmend. Von Macrons Angeboten zur Zusammenarbeit könnten die Bundesregierungen von Merkel und Scholz ein Lied singen. Angenommen wurden die Angebote nicht, im Gegenteil. Macron, allein zuhaus‘.

Und dennoch: Gegen keinen wird so viel Misstrauen gehegt wie gegen den heutigen Staatspräsidenten. Auch und gerade in Deutschland, dem Land, das mit Frankreich den Motor Europas bilden muss.

Das sollte hierzulande mindestens auf den Umstand aufmerksam machen: Die Härte, in der Macron kritisiert wird, gibt es bei einem zuweilen irrlichternden US-Präsidenten Joe Biden niemals. Und nicht gegenüber den USA, die ihre Entscheidungen im Letzten nicht von Europa abhängig machen.

Da reden viele immer mal wieder von Antiamerikanismus - vielleicht wird es Zeit, von einem auflebenden Antifrankismus zu reden. Weil man den Franzosen schnell unterstellt, sie dächten nur an sich und folgten ihrer Großmachtattitüde. Was aber so gar nicht zutrifft. Nicht mehr. Charles de Gaulle, Präsident bis 1969, ist schon länger Geschichte. Nur die Idee eines souveränen, geeinten und demokratischen Europas nicht.

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