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Kanzlerin und Vize-Kanzler auf der Regierungsbank

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SPD im Umfragetief: Kein Rezept gegen Angela Merkel

Die SPD-Minister mühen sich, der Großen Koalition ihren Stempel aufzudrücken, dennoch verharrt die SPD im Umfragetief. Die Sozialdemokraten regieren das Land, die Kanzlerin die Umfragen.

So selbstbewusst und so geschlossen wie zuletzt hat man Deutschlands Sozialdemokraten schon lange nicht mehr erlebt. Vergessen das schlechte Wahlergebnis, vergessen die quälenden Koalitionsverhandlungen, vergessen die unappetitliche Affäre Edathy. Unermüdlich sind die sozialdemokratischen Minister darum bemüht, der ungeliebten Großen Koalition ihren Stempel aufzudrücken. Arbeitsministerin Andrea Nahles drückt bei der Rente mit 63 mächtig aufs Tempo, Energieminister Sigmar Gabriel versucht, die Energiewende neu zu erfinden und Außenminister Frank-Walter Steinmeier profiliert sich als internationaler Krisenmanager. Selbst einem Koalitionsstreit um die doppelte Staatsbürgerschaft geht die SPD nicht aus dem Weg. Die Stimmung der Genossen ist prächtig. „Und wo ist Kanzlerin Merkel“, fragen sie stolz und spotten: „abgetaucht.“

Die Strategie der Sozialdemokraten ist klar, sie wollen sich starkreden und als politischer Reformmotor der Bundesregierung profilieren. Unter den Anhängern sollen gar nicht erst Zweifel daran aufkommen, dass diese dritte Große Koalition ein sozialdemokratisches Herz hat.

Sigmar Gabriel gratuliert Martin Schulz, dem Spitzenkandidaten der europäischen Sozialdemokraten
Sigmar Gabriel gratuliert Martin Schulz, dem Spitzenkandidaten der europäischen Sozialdemokraten

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Ohne ein beträchtliches Maß an Autosuggestion lässt sich dieses Selbstbewusstsein jedoch kaum erklären. Denn tatsächlich ist die Stimmung in der SPD wesentlich besser als die Lage.

Da sind zunächst einmal die Umfragen. Obwohl die SPD nicht nur die Koalitionsverhandlungen dominiert hat und auch jetzt die Schlagzeilen der Innenpolitik bestimmt, wird dies vom Wähler nicht goutiert. Die Partei verharrt im Stimmungstief, daran können selbst die guten Sympathiewerte für Außenminister Steinmeier nichts ändern. Wie schon im Bundestagswahlkampf fokussiert die SPD auch ihre Politik in der Regierung sehr stark auf die Stammwählerschaft, auf klassische Arbeitnehmerinteressen und auf traditionelle Gewerkschaftsthemen. Für mehr als 20+X Prozent ist eine solche Politik offenbar nicht gut. Eine Strategie hingegen, wie die SPD neue Wähler gewinnen will, ist nicht zu erkennen. Bei der Bundestagswahl schnitt die SPD nicht nur im Osten und im Süden der Republik unterdurchschnittlich ab, sondern auch bei den Frauen und den Jungwählern. Eine Trendwende ist nicht in Sicht.

Das letzte Wort in Europa haben die Regierungschefs

Knapp drei Monate vor der Europawahl, bei der die Sozialdemokraten traditionell große Mobilisierungsschwierigkeiten haben, sind dies keine besonders rosigen Perspektiven. Viele SPD-Anhänger sind europaskeptisch. Daran kann auch Martin Schulz wenig ändern, der als Spitzenkandidat der europäischen Sozialdemokratie in den Europawahlkampf zieht. Früher oder später wird sich im Europawahlkampf zudem herumsprechen, dass die Spitzenkandidatur ein Etikettenschwindel ist. Nicht das neu gewählte Europaparlament bestimmt den nächsten Kommissionspräsidenten, sondern die Staats- und Regierungschefs der 28 EU-Länder behalten sich das letzte Wort vor. Und die haben längst deutlich gemacht, dass ihre Neigung gering ist, sich dem Willen der EU-Parlamentarier zu beugen. Allen voran die Christdemokratin Merkel wird den Sozialdemokraten Schulz auflaufen lassen.

Spätestens nach dem 25. Mai also könnten viele SPD-Mitglieder wieder nervös und ungeduldig werden. Denn noch immer, wenn die SPD regierte, ging es den Genossen nicht schnell genug, gingen die Reformen nicht weit genug. Wann immer die SPD regierte, hatten viele von ihnen den Eindruck, die Minister verlören von Zeit zu Zeit die sozialdemokratischen Visionen aus den Augen. Es wird also nur eine Frage der Zeit sein, bis in der SPD der Unmut über die Große Koalition wieder zunimmt.

Das SPD-Trauma Linkspartei

Wenn die Genossen nicht alleine darauf kommen, dann wird sie die Linkspartei daran erinnern. Wenn der Mindestlohn kommt, wird die Linke behaupten, es gäbe zu viele Ausnahmen. Egal wie hoch der Mindestlohn sein wird, die Linke wird verkünden, das reiche nicht. Und wenn sich die Bundeswehr in Afrika in Friedensmissionen engagiert, wird die Linke von Krieg sprechen. Deren Lebenselixier ist, rot-rote Annäherung hin oder her, noch immer der Verrat der SPD an den alten sozialdemokratischen Idealen.

Gregor Gysi und die Linkspartei sind für die SPD immer noch ein Trauma.
Gregor Gysi und die Linkspartei sind für die SPD immer noch ein Trauma.

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Das Rot-Rot-Dilemma

Das sozialdemokratische Rot-Rot-Dilemma könnte sich schon bald wieder zuspitzen. Auf die Europawahl folgen im Spätsommer drei Landtagswahlen in Ostdeutschland – und damit steht Rot-Rot wieder auf der politischen Agenda. In Brandenburg müssen SPD und Linke ihre Macht verteidigen, in Sachsen und vor allem in Thüringen hat ein Linksbündnis nur dann eine Chance, wenn die SPD den Anspruch der Linken auf das Ministerpräsidentenamt anerkennt. Doch danach sieht es nicht aus. Und den Genossen könnte klar werden, dass sie jenseits der Großen Koalition auf absehbare Zeit keine realistische Machtperspektive haben, Rot-Rot-Grün eine Kopfgeburt ist. Denn auch die Grünen werden die nächsten Monate nutzen, um sich auch bundespolitisch aus der strategischen Abhängigkeit von der SPD zu befreien und um sich Machtperspektiven jenseits von Rot-Grün zu eröffnen. Schwarz-Grün in Hessen ist dafür ein Beispiel.

Bleibt jene Option, die aus Sicht der Sozialdemokraten eigentlich nur ein maximal vierjähriges Zwischenspiel sein soll, eine Etappe auf dem Weg zu neuen Mehrheiten. Bleibt die Große Koalition, bleibt die Rolle des Juniorpartners. Denn: Reformmotor hin, Tatenlosigkeit der Kanzlerin her. Die SPD findet überhaupt kein Rezept gegen die Popularität von Angela Merkel und ihren präsidialen Regierungsstil. Der Bundeskanzlerin kann es durchaus Recht sein, dass sich die Sozialdemokraten in der Großen Koalition mächtig ins Zeug legen. Viel spricht derzeit dafür, dass sie am Ende die Ernte einfahren wird.

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