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Bundeskanzler Olaf Scholz besucht das Einsatzführungskommando der Bundeswehr in Schwielowsee. Braucht es einen Raketenschutzschirm für Deutschland?

© IMAGO/Christian Spicker

100 Milliarden für die Bundeswehr: Warum ein Raketenschutzschild über Deutschland geprüft wird

Olaf Scholz lässt den Kauf einer „Eisernen Kuppel“ wegen der russischen Bedrohung prüfen. Derweil erhebt der ukrainische Botschafter schwere Vorwürfe.

Angesichts des Ukraine-Kriegs und der Bedrohung durch Russland prüft die Bundesregierung die Errichtung eines Raketenschutzschilds über dem Bundesgebiet.

Nach Tagesspiegel-Informationen ist das Thema bei einer Beratung von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) mit Generalinspekteur Eberhard Zorn und Verteidigungsministerin Christina Lambrecht (SPD) über die Verwendung des 100-Milliarden-Euro-Sondervermögens für die Bundeswehr angesprochen worden. Als erstes hatte die „Bild am Sonntag“ darüber berichtet, dass wie in Israel eine Art „Eiserne Kuppel“ gespannt werden könnte.

Im Fokus steht dabei das Arrow-3-System aus Israel, das mehrere Milliarden Euro kosten würde. An drei Standorten in Deutschland würden dem Bericht zufolge Flugkörper-Radarsysteme vom Typ Super Greene Pine aufgestellt. Ihre Überwachungsdaten würden zum Zentrum Luftoperationen in Uedem (NRW) gemeldet.

Würde ein Angriff entdeckt, würde eine Arrow-3 abgeschossen, die zum Beispiel eine russische Iskander-Rakete im Weltall abfangen und sie dort zerstören könnte. Die Radarsysteme könnten auch für Polen und das Baltikum Angriffe mit erkennen, so dass quasi gemeinsam mit diesen Ländern  ein Abwehrsystem aufgebaut werden könnte – was auch ein besonderer Vertrauensbeweis wäre.

Mit Sorge wird auf die von Russland hochgerüstete Exklave Kaliningrad zwischen Litauen und Polen geblickt, 530 Kilometer Luftlinie sind es von dort bis Berlin. Sollte es zu einem Konflikt  mit der Nato kommen, würde Kaliningrad eine Schlüsselrolle spielen. Eine Iskander-Rakete schlägt keine fünf Minuten später in Berlin ein.  

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Das System würde der Zeitung zufolge nach Informationen aus Sicherheitskreisen zwei Milliarden Euro kosten. Da es marktverfügbar sei, könnte es demnach bereits 2025 einsatzfähig sein.

Die Vorsitzende des Verteidigungsausschusses, Marie-Agnes-Strack-Zimmermann (FDP) zeigte sich offen: „Letztendlich müssen wir uns schnellstmöglich damit auseinandersetzen, was es für russische Bedrohungsszenarien gibt. Daraus folgt der militärische Bedarf und daraus folgt möglicherweise die entsprechende Beschaffung“, sagte sie dem Tagesspiegel. "Es gibt also viele unterschiedliche Optionen, die wir besprechen müssen. Allerdings nicht Industrie getrieben, sondern militärisch begründet.“

Auch von SPD-Seite gibt es Offenheit. Der Hauptberichterstatter im Haushaltsausschuss für den Verteidigungsetat, Andreas Schwarz (SPD), sagte der "Bild am Sonntag": "Wir müssen uns besser vor der Bedrohung aus Russland schützen. Dafür brauchen wir schnell einen deutschlandweiten Raketenschutzschirm." Das israelische System Arrow 3 sei dafür eine gute Lösung

Weitere Waffenlieferungen und schwere Vorwürfe des Botschafters

Neue Debatten löste unterdessen der ukrainische Botschafter in Berlin, Andrij Melnyk aus. Der Einzige in der Bundesregierung, der bei der Ukraine und ihrem Botschafter in Berlin weiterhin uneingeschränkte Wertschätzung genießt, ist Robert Habeck. Andrij Melnyk unterscheidet inzwischen zwischen denen, die es ernst meinen mit der Ukraine und jenen, die seiner Meinung nach nur nach außen so tun. 

Der damalige Grünen-Chef bekam mächtig Schelte, als er vor knapp einem Jahr vor einer Eskalation in der Ukraine warnte, an der Front in der Ostukraine war und präventive Waffenlieferungen forderte. Deutschland war im Wahlkampf, der Konflikt mit Russland fast kein Thema. Habecks Warnungen und Forderungen verpufften.

Grünen-Chef Robert Habeck im Mai 2021 in der Ostukraine.
Grünen-Chef Robert Habeck im Mai 2021 in der Ostukraine.

© Klaus Remme/dpa

Heute ist Habecks Position Regierungskonsens - und der neue Bundeswirtschaftsminister lässt nicht locker, nun werden noch nochmal tausende Panzerfäuste und wie berichtet weitere Strela-Flugabwehrraketen aus DDR-Beständen geliefert. Habeck war schon nach Kriegsbeginn der Treiber, forderte eine mutigere Haltung, während Kanzler Olaf Scholz (SPD) noch zögerte. Und Habeck zeigt auch offen, wie ihn das Ganze mitnimmt, er verbirgt seine ganzen Dilemmata in diesen Krieg nicht.

Melnyk hatte nach Kriegsausbruch nach seiner Darstellung zwei Begegnungen, die unterschiedlicher nicht sein konnten. Habeck sei bei ihm gewesen, berichtete Melnyk der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“. „Am Boden zerstört und beschämt“, weil er sich habe kleinkriegen lassen, nicht präventiv Waffen zum Selbstschutz der Ukraine zu liefern.

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Und dann war der Botschafter noch bei Finanzminister Christian Lindner (FDP). Über dieses Gespräch - kein Vier-Augen-Gespräch - gehen die Aussagen weit auseinander.

Lindner will sich bisher nicht öffentlich dazu äußern, wissend, dass in dieser Situation fast jedes Wort falsch sein kann.

Nach Melnyks Darstellung sagte Lindner, dass Schicksal der Ukraine sei ohnehin besiegelt. „Euch bleiben nur wenige Stunden“. Waffen zu liefern oder Russland vom Bankensystem Swift auszuschließen, sei sinnlos. Russland werde in der Ukraine bald eine Marionettenregierung installieren. Melnyk spricht vom schlimmsten Gespräch seines Lebens. Aber kann Lindner das so stehen lassen, wenn es vielleicht so nicht den Tatsachen entspricht?

Zu den unbestreitbaren Tatsachen gehört, dass noch vor dem 24. Februar undenkbares denkbar wird - wie ein Raketenschutzschirm. Und angesichts der Schwierigkeiten Russland bei seinem Krieg in der Ukraine werden auf allen Ebene weitere Waffenlieferungen geprüft, auch durch Ankauf auf dem Weltmarkt - dafür ist Habecks Wirtschaftsministerium zuständig.

Aber aus Sorge vor russischen Angriffen auf Lieferungen, wird das alles als geheime Kommandosache behandelt.

"Wir haben ja gesagt, dass wir uns hier zu der Frage von Waffenlieferungen nicht im Detail äußern. Wie Sie wissen, können die Bundestagsabgeordneten Informationen über das, was geliefert worden ist, in der Geheimschutzstelle einsehen. Aber wir äußern uns öffentlich nicht dazu", betont erst zuletzt wieder die stellvertretende Regierungssprecherin Christiane Hoffmann.

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