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In Michael Müllers (links) Berliner Koalition herrscht angeblich Einigkeit darüber, gegen Horst Seehofer zu klagen.

© Michael Kumm/dpa

Abgelehntes Flüchtlingsprogramm: Berliner Koalition einig über Klage gegen Seehofer

R2G gehe „mit großen Schritten auf eine Klage zu“, heißt es. Auch Juristen zweifeln an der Qualität des Minister-Neins gegen die Aufnahme von Kindern.

Das Land Berlin ist kurz davor, gegen Bundesinnenminister Seehofer vor Gericht zu ziehen, weil er sein Veto gegen die Aufnahme traumatisierter Flüchtlinge und geflüchteter Kinder eingelegt hat. Nach Informationen des  Tagesspiegels herrschte am Mittwoch im Koalitionsausschuss, der regelmäßig offene Fragen zwischen den Koalitionspartnerinnen SPD, Grünen und Linken klärt, Einigkeit darüber. „Wir bewegen uns mit großen Schritten auf eine Klage zu“, sagte Bettina Jarasch dem Tagesspiegel, die Sprecherin der Grünen-Fraktion für Flucht und Integrationspolitik im Berliner Abgeordnetenhaus.

„Berlin kann und will die Blockadehaltung Seehofers nicht akzeptieren“, sagt auch  Katina Schubert, Landesvorsitzende der Linken in Berlin und Mitglied des Koalitionsausschusses. „ Damit wird das Recht der Länder zu humanitärer Aufnahme ad absurdum geführt.“ Deshalb prüfe man nun „mit hoher Intensität eine Klage“ und wolle „weitere Bundesländer für diesen gemeinsamen Weg gewinnen“. Der Landesvorstand der Berliner SPD hatte bereits vor Wochen einen entsprechenden Beschluss gefasst und dem eigenen Innensenator empfohlen, im Falle eines Neins von Seehofer den Rechtsweg zu beschreiten.

Fachjuristen: Seehofer argumentiert schlecht

Berlin hat, wie auch Thüringen, ein Landesaufnahmeprogramm beschlossen, mit dem man mehrere hundert Menschen aus den Elendslagern der griechischen Ägäis-Inseln holen wollte. Das ist nach Paragraf 23 des Aufenthaltsgesetzes möglich, braucht aber das Einverständnis des Bundesinnenministeriums. Frühere Programme, etwa die für Frauen der verfolgten syrischen Jesiden-Minderheit, erhielten das Ja Seehofers, die Pläne der beiden rot-rot-grün regierten Länder jedoch nicht.

Seehofer begründete seine Absage in Schreiben an Berlins Innensenator Andreas Geisel (SPD) und den thüringischen Justizminister Dirk Adams (Grüne) mit der „Bundeseinheitlichkeit“, die gewahrt werden müsse, und europäischen Rücksichten. Unter anderem lasse sich ein Länderprogramm nicht mit den Regeln der Dublin-III-Verordnung vereinbaren. Dort ist die Zuständigkeit von EU-Mitgliedern für Asylverfahren geregelt.  

Gegen diese Sicht gibt es jetzt erste Einwände von Juristinnen und Juristen. Die Hamburger Migrationsspezialistin Helene Heuser, die über Aufnahmerechte von Kommunen promoviert, schreibt im Editorial für die Augustausgabe des Fachblatts „Zeitschrift für Ausländerrecht und Ausländerpolitik“, dass Seehofers Begründung seines Neins „einer rechtlichen Prüfung kaum stand“ halte. Dublin III betreffe zudem Landesprogramme gar nicht. Beides, Länderinitiativen und europäisch geregelte Aufnahmen, ergänzten sich und könne nicht gegeneinander ausgespielt werden.  

Zu einer ähnlichen Bewertung kommt Helmut Aust, Professor für Öffentliches Recht an der Freien Universität Berlin. Dem Tagesspiegel sagte Aust, Seehofers Argumentieren mit der Bundeseinheitlichkeit von Aufnahmeprogrammen sei heikel.

Grüne Jarasch sieht Eigenstaatlichkeit der Länder angegriffen

Schließlich spreche ja „der Wortlaut des Gesetzes gerade dafür, dass hier auch einzelne Bundesländer handeln dürfen“. Auch sein Verweis auf Dublin III überzeuge nicht.  Die Verordnung solle verhindern, dass Flüchtlinge lange zwischen Baum und Borke hingen, indem sie die Zuständigkeit für sie klar EU-Ländern zuteilt. „Das Dublin-System verhindert nicht, dass Geflüchtete von andern Mitgliedsstaaten übernommen werden – jedenfalls dann nicht, wenn die beteiligten Länder sich dabei absprechen.“

Aust rät allerdings von einer Klage der Länder gegen Seehofer ab. Der Bundesinnenminister habe eine Ermessensentscheidung getroffen, von der unklar sei, ob sie rechtswidrig sei und ob dies überhaupt vor Gericht geklärt werden könne. 

Die Berliner Grüne Bettina Jarasch allerdings würde eine Klage begrüßen, aus politischen Gründen: „Es geht hier um eine prinzipielle Frage. Die Länder und Kommunen haben sich an die Spitze der Bewegung gesetzt, seit sie im Sommer 2018 ihre Aufnahmebereitschaft für Seenotgerettete erklärt haben, obwohl die Aufnahme in der EU blockiert wurde. Das wiederholt sich jetzt im Blick auf die Zustände in den griechischen Lagern.“ Indem Seehofer das Berliner Landesaufnahmeprogramm ablehne, wolle er „diesen politischen Druck von unten ein für allemal los“ werden, so Jarasch.

Genau das aber könnten sich „die Bundesländer angesichts der verfassungsrechtlich garantierten Eigenstaatlichkeit der Länder in unserem förderalistischen System nicht gefallen lassen." Seehofer hat, wie diese Woche durch eine Frage der Berliner Bundestagsabgeordneten Petra Pau (Linke) bekannt wurde, das Bundeskabinett nicht in seine Entscheidung in dieser politisch heiklen Fragen eingebunden. 

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